Verfassungsgerichtshof
ORF.at/Roland Winkler
CoV-Regelungen

Klare Entscheidung, unklare Folgen

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in einem am Mittwoch veröffentlichten Erkenntnis gleich zwei Verordnungen des Gesundheitsministers in der CoV-Krise nachträglich aufgehoben. Sowohl die Verordnung zu den Betretungsverboten als auch die Verordnung zur Geschäftsöffnung im April sei gesetzwidrig gewesen. Welche Strafen nun aber tatsächlich erlassen werden, ist noch offen. Relevanz könnten die Entscheidungen aber vor allem in der Zukunft bekommen.

Der Opposition brachte der Mittwoch offenkundig eine Genugtuung. Für die SPÖ hat der VfGH „den schlampigen Umgang der Regierung mit dem Rechtsstaat“ bestätigt. Die FPÖ sah ein deutliches Zeichen für die Überforderung der zuständigen Minister. NEOS hielt der Regierung vor, über Monate bewusst gesetzwidrig gehandelt zu haben. Unisono forderten die Koalitionsparteien erneut eine Amnestie für jene Menschen, die zu Unrecht auf Basis der per Verordnung festgeschriebenen Betretungsverbote bestraft worden waren.

Der VfGH hatte zuvor festgestellt, dass Teile der Verordnung Anschobers zu den Betretungsverboten rechtswidrig waren. Konkret ging es um die Passagen, die das Betreten des öffentlichen Raumes grundsätzlich verboten und nur vier – oftmals zitierte – Ausnahmen vorsahen: Berufsarbeit, Hilfe, dringende Besorgungen und Spaziergänge. Ein solches generelles Verbot sei vom Covid-19-Gesetz nicht gedeckt, so der VfGH. Auch die Verpflichtung, Gründe für das ausnahmsweise Betreten des öffentlichen Raumes bei einer Kontrolle durch die Polizei glaubhaft zu machen, ging laut Höchstgericht über die vom Gesetz vorgegebenen Grenzen hinaus.

VfGH: Betretungsverbote teilweise rechtswidrig

Der Verfassungsgerichtshof hat am Mittwoch Teile der Coronavirus-Verordnung aufgehoben. Was das für Auswirkungen auf bereits bezahlte Strafen hat, ist unklar.

„Bürgerfreundliche Regelung“ noch ohne Details

Wirklich überraschend kam das Erkenntnis des VfGH nicht. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verordnung standen bereits länger im Raum. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte freilich auch am Mittwoch, die Juristen der Regierung hätten „alles nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt, es musste alles in kurzer Zeit geschehen“. Das Covid19-Maßnahmengesetz sei außerdem in seinen inhaltlichen Bestimmungen bestätigt worden.

Ob nun aber doch im großen Stil Strafen erlassen werden, ließ die Regierung am Mittwoch unbeantwortet. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) sagte, sie habe „höchsten Respekt und Anerkennung“ für das Erkenntnis, müsse es aber erst im Detail prüfen. „Wir werden die Lehren daraus ziehen“, so die Ministerin. Etwas verbindlicher gab sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und stellte eine „bürgerfreundliche Regelung“ in Aussicht. Was das genau bedeuten könnte, ließ aber auch er offen.

Bezahlte Strafen als offene Frage

Klar ist: Einem Großteil derjenigen, die dagegen Beschwerde eingelegt haben, dürfte der Entscheid des Höchstgerichts den Rücken stärken. Hielt das Gremium doch auch dezidiert fest, dass die Bestimmungen auch in laufenden Verfahren nicht mehr zur Anwendung kommen dürfen. Wer rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt habe, könne entsprechend von der Entscheidung profitieren, sagte etwa Verfassungsrechtler Bernd Christian Funk im Ö1-Mittagsjournal. Anders sieht es allerdings bei Strafen aus, die bereits bezahlt wurden. „Die Entscheidung erstreckt sich aber nicht auf bereits abgeschlossene Fälle“, so Funk.

Auch Peter Bußjäger, Professor am Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Uni Innsbruck, wies darauf hin, dass Strafen nicht automatisch hinfällig seien. Laut Bußjäger ist nach dem Verwaltungsstrafgesetz eine Rückzahlung möglich, wo offenkundig rechtswidrig bestraft wurde. Das sei aber eine Kann- und keine Muss-Bestimmung. Die zuständigen Behörden müssten jedenfalls gleichbehandelnd vorgehen, könnten also nicht in einem Fall zurückzahlen, in einem anderen nicht, so der Verfassungsrechtler. Für Einheitlichkeit zwischen den Behörden könnte der Gesundheitsminister mit einer Weisung sorgen, schlug Bußjäger vor.

Für eine generelle Rückzahlung der Strafen sprach sich im Gespräch mit Ö1 auch jener Anwalt und Universitätsassistent aus, der mit seinem Antrag den Fall vor den VfGH gebracht hat. „Meines Erachtens bräuchte man jedenfalls ein Gesetz, und am leichtesten wäre es wohl mit einer automatischen Rücküberweisung. Ich weiß nicht, ob das bürokratisch wirklich einfach durchführbar ist. Im Notfall müssten sie es halt beantragen, dann muss man es zurücküberwiesen bekommen“, sagte Dominik Prankl im Ö1-Morgenjournal.

Bundesländer kritisch zu Amnestie

Die Zahl der Strafen, die tatsächlich beeinsprucht wurden, scheint in den meisten Bundesländern überschaubar. Das lässt sich zumindest aus den Antworten auf einen Rundruf der APA bei den zuständigen Landesverwaltungsgerichten schließen. 34 Beschwerden sind zurzeit beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängig, 30 in Tirol und 20 in Vorarlberg. Die Landesgerichte in Oberösterreich, Kärnten, dem Burgenland und Salzburg berichteten jeweils nur über vereinzelte Fälle von Einsprüchen. Von diesen dürfte wiederum nur ein Teil inhaltlicher Natur sein. Ein Großteil der Verfahren betreffe formelle Fragen wie Fristen, hieß es etwa vom Landesverwaltungsgericht Salzburg.

Eine Generalamnestie sehen die Bundesländer jedenfalls kritisch – wenn sie eine solche nicht gar als unmöglich bezeichnen. Das gilt auch für von der SPÖ regierte Länder. Man warte auf einen Vorschlag der Bundesregierung, sagte am Mittwoch etwa der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Eine Generalamnestie denke er nicht an: „Ich kenne kein einziges Bundesland, das das umgesetzt hätte.“

Ähnlich äußerte sich Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), der für eine „einheitliche Vorgangsweise“ in ganz Österreich plädierte. Burgenlands Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil (SPÖ) und Tirols Günther Platter (ÖVP) können sich bezüglich der Altfälle allenfalls eine Einzelfallprüfung vorstellen. Eine Generalamnestie sei rechtlich gar nicht möglich, befand Doskozil.

„Klarstellung“ für die Zukunft

Womöglich wird die Entscheidung des VfGH also weniger Auswirkungen auf Fälle in der Vergangenheit denn auf die Zukunft haben. Man werde sie „sehr wohl umfassend in unserer zukünftigen Arbeit beachten“, versicherte Anschober in einer Aussendung. Jedenfalls habe der Verfassungsgerichtshof Betretungsverbote für grundsätzlich zulässig erklärt.

Er sei aber auch „froh“ über die „Klarstellungen“ zu seiner – vom VfGH aufgehobenen – Verordnung. Denn man könne nicht ausschließen, dass man noch einmal in eine Situation kommt, wo solche Maßnahmen nötig sind, sagte Anschober bereits zuvor in einer Pressekonferenz.

Keine unmittelbaren Auswirkungen könnte auch die Entscheidung des VfGH haben, mit der noch eine Verordnung nachträglich aufgehoben wird. Mit ihr wurde nach Ostern eine schrittweise Wiederöffnung der Geschäfte vorgeschrieben. So durften anfangs nur Geschäfte unter 400 Quadratmetern öffnen, die Größeneinschränkung galt aber nicht für Baumärkte. Der VfGH sah hier nun eine Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung – und hob die von Anschober erlassene „Lockerungsverordung“ für den Handel auf. Freilich ist auch diese Verordnung bereits seit 30. April nicht mehr in Kraft.

Verfassungsjurist Mayer zum VfGH-Erkenntis

Die Verordnungen zu den Coronavirus-Ausgangsbeschränkungen und zur Geschäftsöffnung im April waren gesetzeswidrig, sagt der Verfassungsgerichtshof. Verfassungsjurist Heinz Mayer ist dazu zu Gast im Studio.

Nachdenken über rechtliche Schritte

Für jene Händler, die sich ob der Regelung ungerecht behandelt gefühlt hatten, bedeutet das erst einmal eine verspätete Genugtuung. So begrüßte etwa der Handelsverband die Entscheidung. Hier sei mit zweierlei Maß gemessen worden, sagte Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Auch der Möbelhändler XXXLutz tat sich als scharfer Kritiker der damaligen Regelung hervor. „Wir sind happy, weil man für die Zukunft davon ausgehen kann, dass alle Branchen gleich behandelt werden“, sagte XXXLutz-Sprecher und Marketing-Chef Thomas Saliger am Mittwoch.

Ob der Möbelriese nun auch einen womöglich entstandenen Schaden einklagen werde, ließ Saliger gegenüber dem „Standard“ allerdings offen. Andere Töne schlug der Chef der Schuhhandelskette CCC an. Er klage den erlittenen Schaden durch Umsatzentgang beim Staat ein, so Gerhard Zimmermann. „Das würde jeder machen. Fährt mir einer ins Haus, muss er für den Schaden auch aufkommen“, so Zimmermann gegenüber dem „Standard“.

Grundsätzlich könnten betroffene Firmen nun versuchen, den ihnen entstandenen Schaden mit einer Amtshaftungsklage gegen die Republik geltend zu machen, sagte der Anwalt Georg Eisenberger. Eine solche Klage sei nicht ausweglos, aber sehr riskant. Primär helfe der VfGH-Entscheid aber, „dass es in Zukunft nicht mehr gemacht wird“, so Eisenberger.

Entfall der Entschädigungszahlungen verfassungskonform

Verfassungskonform war laut VfGH hingegen, dass mit dem Covid-19-Gesetz dem Gesundheitsminister ermöglicht wurde, per Verordnung Betretungsverbote für Handelsbetriebe zu verhängen, um „die persönlichen Kontakte von Menschen einzudämmen“, stellte der VfGH fest. Ebenfalls keinen Bruch der Verfassung sah das Höchstgericht in dem Umstand, dass das Covid-19-Gesetz die Entschädigungsansprüche des Epidemiegesetzes außer Kraft setzte.

Dass im Covid-19-Maßnahmengesetz kein Anspruch auf Entschädigung vorgesehen ist, verstoße weder gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums noch gegen den Gleichheitsgrundsatz, konstatierten die Verfassungsrichter. Ein Betretungsverbot sei zwar ein „erheblicher Eingriff“ in das Eigentumsgrundrecht. Aber dieser sei nicht unverhältnismäßig, weil er in ein umfangreiches Hilfspaket zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie eingebettet sei.