Selbstbild von Rene Schoemakers, in dem er die Insignien des Attentäters von Halle an der Saale karrikiert
R. Schoemakers
Beispiel Halle

Der rechte Terror und die Kunst

Der Anschlag des Rechtsextremisten Stephan B. im deutschen Halle an der Saale, bei dem zwei Menschen getötet wurden, hat wegen des Umfangs der geplanten Tat tiefe Wunden hinterlassen. „Antisemitismus und rechte Ideologie sind in Deutschland tief verwurzelt“, sagt eine der Überlebenden des Anschlags, die Journalistin Christina Feist, am Rande des nun laufenden Gerichtsprozesses: Niemand traue sich darüber zu sprechen. Am Tabu des verschwiegenen rechten Terrors rüttelt auch der deutsche Maler Rene Schoemakers, der an die eingesetzte Verweisstruktur zwischen den einzelnen Attentaten erinnert.

„Das deutsche kollektive Gedächtnis fokussiert sich sehr auf den deutschen Herbst, also den Terror der RAF – und verdrängt den gerade auch zahlenmäßig größeren Terror von rechts“, konstatiert der in Kiel arbeitende deutsche Maler Schoemakers, der sich seit Jahren mit der Zeichensprache des rechten Terrors in seinen Kunstwerken in persiflierender Form beschäftigt.

Seit der Wiedervereinigung 1990 erfasst man in Deutschland die Opfer rechtsextremer Gewalt. Offiziell haben die Behörden seitdem 94 Todesopfer gezählt. Die auf rechtsextreme Straftaten spezialisierte Amadeu Antonio Stiftung geht von einer höheren Zahl aus: Mindestens 198 Todesopfer rechter Gewalt gäbe es seit 1990. Denn, wie die Stiftung kritisiert, würden viele Fälle fälschlicherweise nicht als politische Gewalt eingestuft.

Journalistin Feist: „Niemand redet über den rechten Terror“

„Ich bin müde, erschöpft (…) und unglaublich wütend“ – Christina Feist ist Nebenklägerin im Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle, dem unter anderem zweifacher Mord, mehrfacher Mordversuch und Volksverhetzung vorgeworfen werden. Im Interview spricht sie darüber, wie sie den ersten Prozesstag erlebt hat.

Verwirrte Einzeltäter oder Netzwerke?

Man nehme rechte Täter immer als verwirrte Einzelköpfe wahr, die sie sicher auch seien, konstatiert auch Schoemakers im Gespräch mit ORF.at. Vergessen werde dabei, nach den wechselseitigen, gerade auch symbolischen Bezügen zwischen den Anschläge zu fragen. Eigenresonanz und Nachahmung seien zentrales Moment hinter diesen Taten, argumentiert Schoemakers.

Der Attentäter von Halle versuchte seinen geplanten Massenmord an jüdischen Bürgern am Jom-Kippur-Tag 2019 via Livestream und Bezügen zur Gamification einem möglichst großen Publikum vorzuführen. Gesucht waren Follower, Gefolgschaft – und wie so oft Nachahmer. Tatsächlich fiel der Kreis der Rezipienten dieses brutalen Vorgehens kleiner aus als vom Attentäter augenscheinlich angenommen.

In seiner Zeichensprache verwies der Attentäter von Halle auf den Terror von Christchurch; der Christchurch-Attentäter wiederum auf den Norweger Anders Brejvik und dessen Inszenierungen und Verschwörungstheorien. In Deutschland zeigt der rechte Terror jedenfalls einen Stammbaum, der über die BRD-DDR-Grenze bis tief in die 1970er Jahre zurückreicht.

In seinem Bildzyklus „Drei bärtige Männer“ erinnert Schoemakers etwa an Karl-Heinz Hoffmann, der 1973 die nach ihm benannte „Wehrsportgruppe Hoffmann“ gegründet habe. „Heute zieht Hoffmann wie ein netter alter Opa durchs Land“, so Schoemakers. Ebenso Gegenstand dieser Arbeit: der frühere RAF-Anwalt Horst Mahler, der bereits in den 1990er Jahren ins rechtsextreme Feld gewechselt war.

Anders Brejvik in einer Bilderserie von Rene Schoemakers
R. Schoemakers
Schoemakers Zyklus „Drei bärtige Männer“: Der ehemalige RAF-Anwalt und heutige Neonazi Horst Mahler, Anders Brejvik und der frühere Wehrsportlers Karl-Heinz Hoffmann

Die Banalität des Bösen

Für Schoemakers beginnt sein „deutscher Herbst“ auf der Theresienwiese in München und dem Oktoberfest-Attentat 1980. Bei den medial verbreiteten Ermittlungsbildern sei am Ort des Schreckens immer das Bild vom Stand mit dem Schild „heiße Würstchen“ ins Auge gesprungen. Dieses enge Naheverhältnis von Brutalität und Banalität nennt Schoemakers als Triebfeder seiner Arbeit. Die Tatortszene des Oktoberfest-Attentats hat Schoemakers mit Kinderspielzeug nachgebaut und danach gemalt. Seine fotorealistisch wirkenden Acrylbilder haben zahlreiche Verfremdungsfallen eingebaut: einerseits durch den Nachbau der Reallandschaft in der harmlos anmutenden Kinderspielzeugwelt; andererseits infiltriert Schoemakers in seine Bilder zahlreiche Verfremdungen, die die Szenerie noch mehr ins Absurde führen.

Schoemakersbild Der Deutsche Herbst
R. Schoemakers
Brutales und Banales liegen eng beisammen: Nachstellung des Tatortes Theresienwiese, die dann zum gemalten Bild wird

Das gesamte rechte Repertoire sei ja ein Karneval verrückter Symbole, befindet Schoemakers. Diese zu isolieren und sie in andere Kontexte zu tragen, ist ein Ansatz seiner Kunst. Im Bild „Anders (Mummenschanz)“ steckt eine Tochter des Künstlers in der Fantasieuniform von Anders Brejvik. „Die Verwirrung der Attentäter ist der Ausgangspunkt meiner Arbeit“, schildert Schoemakers seinen Zugang: „Letztlich erschafft sich der Künstler ja auch seine eigene Welt.“ Mit dem feinen Unterschied, wie Schoemakers befindet: Die künstliche Welt schwappe nicht, wie bei den Attentätern, in die reale Welt über. „Künstler sollen einem Weltbild nicht verfallen, sondern es dekonstruieren“, so Schoemakers.

Der Künstler und der „böse Paul“

Rene Schoemakers Auseinandersetzung mit den Insignien des NSU

Der rosarote Panther und der NSU

Dieser Ansatz fordert viel aktive Arbeit seines Publikums ein; meist sind es mehrteilige Arbeiten, die so etwas wie eine Topografie zwischen Schrecken und scheinbarer Harmlosigkeit ausloten. Zu sehen waren Schoemakers’ Werke in Österreich zuletzt im Museum Angerlehner in Thalheim bei Wels. Ausgestellt hat man seine „Weltgeist“-Serie an einem der Orte des NSU-Terrors, in Dortmund, wo 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik Opfer des NSU-Terrors wurde.

Die Familie von Kubasik, die jahrelang teilweise selbst unter dem Tatverdacht der Ermittler stand, trat als Nebenkläger im NSU-Prozess auf. Beate Zschäpe wurde der Mittäterschaft am Anschlag in Dortmund verurteilt. Die NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Carsten Schultze wurden wegen Beihilfe zum Mord unter anderem an Kubasik zu Haftstrafen verurteilt, weil sie die Tatwaffe beschafft hatten (die Urteile sind nicht rechtskräftig).

Junge Frau in der Fantasieuniform von Anders Brejvik
R. Schoemakers
„Mummenschanz“: Die Tochter in der Fantasieuniform von Brejvik

Zentrales Motiv der Arbeit Schoemakers’ zur Topik und Ikonografie des rechten Terrors in Deutschland ist die Figur des rosaroten Panthers. Im 15-minütigen Bekennervideo des NSU führt Paulchen Panther an alle Tatorte des Nationalsozialistischen Untergrunds. Der Grund, den rosaroten Panther zu wählen? Der NSU-Serienmörder Uwe Mundlos soll Fan dieser Figur gewesen sein.

Die aufwendige Machtart des Videos war im Münchner NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und mögliche weitere Hintermänner von Mundlos und Uwe Böhnhardt Thema. „Der Aufwand, das alles zu schneiden und zu montieren, muss beträchtlich gewesen sein“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ 2016 und wirft auf Grundlage der Ermittlungen des deutschen BKA die Frage auf, „ob es nicht weitere Personen gab, die an der Erstellung des Films mitgewirkt haben“.

Selbstermächtigung ohne Grenzen

In den Arbeiten Schoemakers ist dem unschuldigen Paulchen der Kopf abgeschlagen. Der Künstler sitzt selbst auf dem deutschen Thron des Individuums, das sich selbst ermächtigt, um der Welt seine krausen Ideen zu vermitteln. Bei Schoemakers ist der Kämpfer freilich nackt – und nur mit der Tarnfarbe des Krieges angemalt.

Für Schoemakers ist nicht zuletzt die brutale Selbstermächtigung ein sehr deutsches Thema. „Weltgeist“ lautet die Überschrift seiner Bilderserie zu rechten Thema.

Dreiteiliges Bild zum Thema Tathandlung mit Kind und Sprengstoffweste
R. Schoemakers
Deutscher Herbst und deutscher Weltgeist: Wenn die Kunst gerne zu Kant zurückkehren würde, aber bei Hegel und den Folgen hängen bleibt

„Nur die Selbstenthauptung des absoluten Ich kann Rettung bringen“, meint Schoemakers überspitzt. Auch deshalb sitzt der Maler nackt auf jenem Thron, den schon Hegel in seiner „Phänomenologie des Geistes“ aufgestellt hat. Die Idee von der absoluten Freiheit, vom absolut gesetzten Selbstbewusstsein gehe, so befindet der Künstler, immer auf Kosten der Allgemeinheit. (Es mag wie eine Fußnote dabei wirken, dass Horst Mahler seine antisemitische Wende auch durch die Lektüre Hegels in seiner ersten Haftzeit in den 1970er Jahren begründet.)

Buchhinweis

Zu den Arbeiten von Rene Schoemakers ist soeben bei Kerber ein von Christian Walda herausgegebener umfangreicher Katalog erschienen: Rene Schoemakers, Weltgeist, 112 Seiten, 35 Euro.

Für Schoemakers sind Attentäter Typen, die sich in ihrem Tun absolut setzen. Der Künstler habe die Chance, gerade diese Selbstermächtigungsphantasien in seine Grundbausteine zurück zu zerlegen und die Absurdität der Ausgangssituation plastisch zu machen.

Nicht immer dringt Schoemakers mit diesem Ansatz, wie er selbst bekennt, durch. Seine Arbeiten werden von den Sicherheitsfiltern von Plattformen wie Instagram als Fotos eingestuft. Diese filtern nicht nur Nacktheit heraus. Auch die Brejvik-Uniform werde von diesen Filtern erkannt, so Schoemakers – und werde umgehend als problematisch erkannt. Den Kontext der Arbeit erschließen Sicherheitsfilter natürlich nicht.

„Wollte nie ein politischer Künstler sein“

„The Unencumbered Self“, das „unbelastete Ich“, heißt ein Zyklus von Schoemakers. Doch das unbelastete Ich, das sich als reiner Geist verwirklichen und zu sich kommen kann, wie im „ältesten Systemprogramm der deutschen Romantik“ von den Tübinger WG-Kommilitonen Hegel, Hölderin und Schelling erdacht, kann es für Schoemakers nicht geben. Eher mahnt die Kunst Richtung Kant, die Grenzen der Weltwahrnehmung und des Verstehens einzusehen.

Als „politischer Künstler“, der sich „ein“ Thema vorgenommen hat, will sich Schoemakers nicht verstanden wissen, auch wenn seine Ausstellungen in diese Richtung hinzudeuten scheinen: „Ich wollte nie ein politischer Künstler sein. Ich gehe ja schon immer von meinem Nahfeld aus, male nur die Mitglieder der Kleinfamilie – nur eben mal als Breivik, mal als Karl-Heinz Hoffmann. Mich und meine Frau als Luther und Katharina von Bora usw. Es ist meine Art, zu versuchen zu verstehen, das zu dekonstruieren, was mir begegnet. Es beschreibt mein mimetisches Verhältnis als Maler zur Welt. Ich muss basteln, bauen, malen, ins Bild bannen, was mir begegnet.“ Deshalb, so sagt er, müsse er auch als „böser Paul“ nackt auf den Thron klettern.