Kinosaal im Admiral Kino in Wien
picturedesk.com/Robert Kalb
Kinozukunft

Es fehlt an Filmen

Die Abstandsregeln sind praxistauglich, doch es fehlen die großen Filme: Die Kinobranche hat auch in Österreich drastische Umsatzeinbrüche zu beklagen. Einen greifbaren Schuldigen gibt es dafür nicht – aber viele unterschiedliche Herausforderungen.

So richtig Krach auf der Leinwand, das wär’s wieder einmal: „Wonder Woman 1984“ hätte diesen Frühsommer die Welt retten sollen, und Christopher Nolans „Tenet“ eine neue Dimension des Zeitreisekinos eröffnen. Hätte, hätte, Infektionskette: Alles, was laut und spektakulär ist und viele Menschen ins Kino holt, wurde verschoben, weil die großen amerikanischen Kinoketten aufgrund der Infektionslage weiterhin geschlossen bleiben – und daher die US-Filmstudios große Filme blockieren.

Was fürs Publikum schade ist, ist für die hiesigen Kinos erst recht bitter: In Österreich dürfen Kinos zwar bereits seit Ende Mai wieder offen haben, nach einer Verordnung, die innerhalb von zwei Tagen in Kraft trat – doch „es fehlt das Material“, sagt Christian Dörfler, Betreiber des traditionsreichen English Cinema Haydn in Wien und Präsident des Österreichischen Kinoverbands gegenüber ORF.at. Es starten viele kleinere amerikanische und europäische Filme, doch die großen Publikumsmagneten bleiben aus.

„Vernünftige“ Abstandsregelungen

Während der deutsche Kinoverband für den Herbst schon „Kinosterben“ voraussagt und als „größtes Problem“ komplizierte, je nach Bundesland unterschiedliche Abstandsregelungen sieht, ist Dörfler zumindest in diesem Bereich zufrieden: „Wir haben in Österreich mit Gesundheitsexperten eine vernünftige, umsetzbare Regelung erzielen können, die in jedem Bundesland gleich ist.“

Im Saal dürfen Gruppen ohne Maske beisammensitzen wie in der Gastronomie, nur bei Einlass und Kassa sei dann, wenn kein Ein-Meter-Abstand möglich ist, ein Schutz zu tragen. Zwar sei der Umsatzeinbruch der Branche mit etwa 85 Prozent ähnlich hoch wie in Deutschland, doch die Gründe ortet Dörfler anderswo. „Man kann die Situation niemandem vorwerfen. Ich verstehe auch die amerikanischen Studios, die sagen, sie gehen jetzt nicht mit großen Filmen raus.“

Zeitreisen sind abgesagt

Der spektakuläre Zeitreisethriller „Tenet“ ist die jüngste Lücke: Zuerst für Juli geplant, dann auf August gelegt und nun „bis auf Weiteres verschoben“, heißt es vom Studio Warner. Aufgrund der international so unterschiedlichen Situation überlegt Warner nun, auf einen weltweit gleichzeitigen Start zu verzichten und vielleicht doch den europäischen Start vorzuziehen. Das war bei einem Film dieser Größenordnung seit Jahren nicht mehr denkbar, aus Sorge, zu viele potenziell zahlende Zuschauerinnen und Zuschauer am Startwochenende an die Onlinepiraterie zu verlieren. Noch ist die Entscheidung offen.

Sezene aus dem Film „Tenet“ von Chirstopher Nolan.
AP/Warner Bros. Entertainment/Melinda Sue Gordon
Lang erwartet und nun „bis auf Weiteres“ verschoben: Der Zeitreise-Thriller „Tenet“ von Christopher Nolan

Weiterhin fix, zumindest nach aktuellem Stand, ist der letzte verbliebene Blockbuster des Sommers: „Mulan“ ist die erwachsene Liveactionverfilmung des gleichnamigen Disney-Zeichentrickmusicals unter der Regie der Neuseeländerin Niki Caro und mit den chinesischen Superstars Yifei Liu, Donnie Yen und Jet Li. „Mulan wäre wichtig, hoffentlich bleibt es dabei“, sagt Dörfler, der sein eigenes Kino mangels publikumswirksamer Filme nach einem Frühstart Ende Mai im Juli wieder geschlossen hat – ebenso wie die Kinos des Branchenriesen Cineplexx, der etwa 60 Prozent Anteil am österreichischen Kinomarkt hat.

Kleine Schätze statt Blockbuster

Hier sind die Wechselwirkungen innerhalb der Branche auch fürs Kinopublikum spürbar: Weil fast die gesamte Cineplexx-Kette als Konsequenz auf die Verschiebungen der großen US-Produktionen erst ab 5. August aufsperrt, hat auch der Constantin-Filmverleih, dem Cineplexx gehört, seine während der CoV-Schließzeit geplanten Filmstarts alle auf Anfang bzw. Mitte August verlegt, die sich dann in den Kinos stauen. Es geht dabei um so unterschiedliche Filme wie den drastischen Russel-Crowe-Psychothriller „Unhinged“, den Kinderfilm „Paw Patrol – Mighty Pups“, das Biopic „Marie Curie“ und den Horrorfilm „The Vigil – Die Totenwache“.

Bis dahin ist die Programmauswahl karg für die Kinos, die momentan offen haben: Das Biopic „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ über die Sklavenbefreierin Harriet Tubman ist nicht der erhoffte Actionfilm, sondern spirituell aufgeladener Kitsch, und Clint Eastwoods „Der Fall Richard Jewell“ um den vermeintlichen Bombenleger bei den Olympischen Spielen 1996 ist zwar präzis beobachtet, aber eher Psychogramm als wuchtiger Thriller.

Schätze gibt es bei den kleineren Filmen zu entdecken: der Tanzfilm „Isadoras Kinder“, das intensive Familiendrama „Waves“, die Romanze „Die schönsten Jahre eines Lebens“ oder die Komödie „Auf der Couch in Tunis“ über eine Psychoanalytikerin, die das postrevolutionäre Tunesien gesprächstherapieren will.

Ein junger Mann begeht unter äußerstem Druck ein Verbrechen – und seine Familie muss damit umgehen: Das Drama actionreiche Drama „Waves“ geizt nicht mit großen Bildern und Gefühlen
UPI
Ein junger Mann begeht unter äußerstem Druck ein Verbrechen – und seine Familie muss damit umgehen: Das actionreiche Drama „Waves“ geizt nicht mit großen Bildern und Gefühlen

Chance für die Kleinen

Für größere Säle und Mehrsaalkinos reicht das nicht, kleinere Kinos kommen mit dieser Auswahl momentan besser zurecht, weil sie ohnehin nicht auf Blockbuster zählen. Admiral-Chefin Michaela Englert etwa zeigt Wien-exklusiv das schräge mongolisch-deutsche Schwesterndrama „Schwarze Milch“ und erreicht damit eine ähnliche Auslastung wie im Vorjahr: „Wir haben den Betrieb sehr heruntergefahren, mit nur einer Vorstellung pro Tag, so halten wir die Fixkosten niedrig“, sagt Englert gegenüber ORF.at. Dem regulären Betrieb, den sie ab September wieder aufnehmen will, sieht sie gelassen entgegen.

Im „Das Kino“ in Salzburg ist die Situation mit zwei Sälen komplexer. Leiterin Renate Wurm sagt im Gespräch: „Wir sind nicht abhängig von den großen amerikanischen Filmen, wir haben schon immer auf regionalen und europäischen Content gesetzt.“ Dennoch ist seit der Wiedereröffnung Anfang Juli ein Besucherrückgang von über fünfzig Prozent spürbar, sogar im Vergleich zum letzten heißen Sommer. Jedes Kino steht derzeit vor speziellen Herausforderungen.

Hauptproblem: USA

So individuell die Probleme sind und so unterschiedlich auch die Fördersituation für die einzelnen Kinos – zumindest was Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss betrifft –, bekommen alle Lichtspieltheater Unterstützung, so Dörfler: „Es gibt ja kaum eine Branche, die mehr betroffen ist als wir. Clubs, Reisebüros, Konzertveranstalter, Theater – und die Kinos.“ Zwar sei die verhandelte Aufsperrregelung gut, „aber wir haben einfach keine Produkte. Das ist wie wenn ich einen Gastronomiebetrieb habe, und ich kann keine Lebensmittel einkaufen.“

Eine zusätzliche Kulturförderung für alle Kinos sei derzeit in Verhandlung, was die langfristige Lage der Branche betrifft, wagt Dörfler aber keine Prognose. Zumindest dass einzelne Filme parallel als Video on Demand starten, bereitet ihm vorerst keine große Sorge: „Die gesamte Industrie weiß, dass das Geld im Kino verdient wird, daher brauchen uns die Studios genauso, wir die Studios brauchen."

Die wahre Problematik liege in einem anderen Bereich, so Dörfler: "Das Hauptproblem ist einfach dieses absolute Missmanagement in den USA und in Südamerika mit diesem Virus.“ Und so wird die Lage der österreichischen Kinobranche auch in den nächsten Monaten vor allem vom globalen Umgang mit der Pandemie abhängig sein.