Ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift „Putinizm“
AP/Igor Volkov
Russland

Massenproteste gegen den Kreml

Das dritte Wochenende in Folge hat es in der ostrussischen Stadt Chabarowsk Massenproteste gegen den Kreml gegeben. Anlass war die Verhaftung eines Provinzgouverneurs, der als Gegner der Kreml-Partei Geeintes Russland gilt. Zehntausende Menschen zogen trotz Demonstrationsverbots durch die Straßen.

Seit rund zwei Wochen demonstrieren die Menschen gegen die Verhaftung des Provinzgouverneurs Sergej Furgal im Fernen Osten Russlands. Die Proteste richteten sich auch gegen eine politische Bevormundung aus dem rund 8.000 Kilometer entfernten Moskau. Lokalen Medien zufolge nahmen mehr Menschen an den Demonstrationen teil als an den vorherigen Wochenenden. Die Protestierenden hielten die Flagge von Chabarowsk und Plakate hoch und riefen Sprechchöre gegen Präsident Wladimir Putin. „Freiheit“ und „Putin, tritt zurück“ skandierten die Demonstrierenden vor der Provinzverwaltung. Sie fordern auch ein öffentliches Gerichtsverfahren.

Die Behörden gaben die Zahl der Teilnehmenden mit etwa 6.500 an, russische Oppositionelle sprachen dagegen von bis zu 100.000 Menschen. Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny kritisierte, dass Putin und das Staatsfernsehen weiter eine „heile Welt“ malten – und die Proteste ignorierten. Nawalnys Stab veröffentlichte Videos von der Kundgebung.

Schwere Vorwürfe

Furgal war am 9. Juli festgenommen, nach Moskau gebracht und in Untersuchungshaft genommen worden. Ihm wird vorgeworfen, vor 15 Jahren mehrere Morde an Geschäftsleuten in Auftrag gegeben zu haben. Der 50-jährige Provinzgouverneur, der der ultrarechten Liberaldemokratischen Partei (LDPR) von Wladimir Schirinowski angehört, weist die Vorwürfe zurück.

Provinzgouverneur von Chabarowsk, Sergei Furgal
Reuters/Evgenia Novozhenina
Ex-Provinzgouverneur Furgal

Die Anhänger des Gouverneurs sehen die Verhaftung als politisch motiviert an und als einen Versuch des Kreml, einen Gegner der Regierungspartei Geeintes Russland zum Schweigen zu bringen. „Wir wollen, dass unser Gouverneur freigelassen wird, weil wir glauben, dass er sehr wahrscheinlich illegal inhaftiert wurde“, sagte eine 24-jährige Demonstrantin. Furgals Festnahme diene den Interessen Moskaus, „nicht unserer Region“. Der 50-Jährige hatte bei den Gouverneurswahlen 2018 fast 70 Prozent der Stimmen in der Region Chabarowsk geholt und den Kandidaten der Regierungspartei Geeintes Russland geschlagen.

Größte Proteste seit Jahren

Putin setzte den Parlamentsabgeordneten Michail Degtjarjow übergangsweise als Gouverneur ein. Der 39-Jährige gehört derselben Partei wie Furgal an. Degtjarjow hatte in der Regionalregierung zuletzt Führungsposten neu besetzt, Gespräche mit den Demonstranten aber abgelehnt.

Die Proteste zählen zu den größten Protesten gegen die Regierung in Russland seit Jahren. Sie werden zunehmend zu einem Ventil für den allgemeinen Frust gegenüber dem Kreml. „Das Zentrum saugt Ressourcen aus dem Fernen Osten ab“, sagte ein 45-jähriger Demonstrant. Die Region erhalte „nichts im Gegenzug“.

Öffentliche Versammlungen sind in Russland wegen der Coronavirus-Pandemie derzeit verboten. Die Kundgebung in Chabarowsk wurde von der Polizei aber nicht aufgelöst. In Moskau nahm die Polizei Beobachtern zufolge hingegen mindestens zehn Menschen fest, die sich auf dem Puschkin-Platz zur Unterstützung der Demonstranten in Chabarowsk versammelt hatten.

Festnahmen von Regimekritikern gab es in einer anderen Sache auch in der russischen Republik Tatarstan. Dort wurden am Samstag mehrere Demokratieaktivisten festgenommen, die nach Angaben ihrer Bewegung an einer Konferenz von Transparency International teilnahmen. Schwerbewaffnete Sicherheitskräfte seien in das Büro der Bewegung „Vereinigte Demokraten“ eingedrungen, teilte die Bewegung auf Facebook mit. Die Festnahmen seien damit begründet worden, dass bei den Betroffenen „die Verwicklung in Terrorismus“ untersucht werden solle.