Überraschend kommt das Aus nicht – Boeing erwog schon seit Jahren, den früher als „Königin der Lüfte“ gefeierten Jumbo wegen Nachfragemangels einzustampfen. Die Produktionsrate lag zuletzt bei mageren sechs Maschinen pro Jahr. Außerdem wurde das Modell zuletzt praktisch nur noch in der Frachtversion gebaut – und in einer Sonderversion für den US-Regierungsjet „Air Force One“.
Im Großraumflugzeug mit dem charakteristischen Buckel finden bis zu 560 Menschen Platz. Für viele Fluggesellschaften sind so große Jets allerdings angesichts des hohen Treibstoffverbrauchs nicht mehr rentabel. Sie setzen auf kleinere Maschinen, die ihnen mehr Flexibilität verschaffen. Und Boeing ist schwer angeschlagen und muss sparen. Nun verwies der Konzern auch auf den starken Rückgang des Flugverkehrs infolge der Pandemie.
Auslastung kaum mehr möglich
Aber auch schon vor der CoV-Krise fanden sich auf Fernstrecken – etwa zwischen Europa und den USA – nicht genug Passagiere, um das Großraumflugzeug regelmäßig auszulasten. Geschäftsreisende, die die Strecken häufiger nutzen, haben in Bezug auf Flugzeiten gerne mehrere Verbindungen pro Tag zur Auswahl. Auch deshalb ist es für Fluglinien sinnvoller, statt eines Jumbo-Jets mehrere kleinere Maschinen pro Tag über den Atlantik fliegen zu lassen.
Doch auch neue Technologien und Entwicklungen der Branche gingen in den vergangenen Jahren an der 747 nicht spurlos vorüber. Flugzeugturbinen wurden sowohl leistungsfähiger als auch verlässlicher. Ab den späten 1980er Jahren flogen bereits Maschinen mit nur zwei Turbinen über die Ozeane.
Von modernen Zweistrahlern abgelöst
Innerhalb eines Jahrzehnts liefen moderne Zweistrahler wie der Airbus A330 und Boeings kleinere 777 sowie 787 den vierstrahligen Jets auch auf Fernstrecken den Rang ab – zahlreiche Fluggesellschaften gaben den Jumbo-Jet in den vergangenen Jahren daher auf. Jetzt will Boeing die Produktion seiner Langstreckenjets noch weiter zurückfahren.
So sollen im kommenden Jahr monatlich nur noch sechs Exemplare des Langstreckenjets 787 „Dreamliner“ fertiggestellt werden. Die Produktion der noch größeren Boeing 777 und ihrer Neuauflage 777X soll auf zwei Maschinen pro Monat sinken. Die Auslieferung der ersten 777X erwartet Boeing nun erst im Jahr 2022, damit wird die Premiere erneut verschoben. Die Produktion der 737 Max läuft derweil langsamer als geplant wieder an.
Goldenes Zeitalter der Luftfahrt
Dabei war es gerade die 747 als Boeings Flaggschiff, die Flüge auf Fernstrecken erst für eine große Zahl an Menschen erschwinglich machte. Die 747 hatte doppelt so viele Sitzplätze wie das damals größte Flugzeug auf dem Markt, die ebenfalls von Boeing gebaute 707. Das größte Passagierflugzeug blieb es auch jahrzehntelang – bis zum Erstflug des Airbus A380 im Jahr 2005. Obwohl anfangs nur wenige Flughäfen überhaupt in der Lage waren, derart große Passagiergruppen gleichzeitig abzufertigen, setzte sich der Großraumjet schnell durch.
747 brachte Renommee
Die 747 in der Flotte zu haben, war für renommierte Fluggesellschaften ein Muss. Mit 9.700 Kilometern hatte sie zudem eine deutlich größere Reichweite als jedes andere Flugzeug bis dahin und war somit bei ihrer Markteinführung – und weit darüber hinaus – auch aus ökonomischer Sicht bahnbrechend. Durch die gestiegene Effizienz für die Airlines sanken bald auch die Ticketpreise für die Passagiere.
Ab den 1970er Jahren wurde der Jet somit nicht nur zur Verkörperung des goldenen Zeitalters der Luftfahrt, sondern auch zu einem Hauptfaktor dafür, dass ein Sommerurlaub in den USA nicht mehr den wohlhabendsten Europäern vorbehalten blieb. Und die Geschäfte florierten: Vom Baubeginn in den späten 1960er Jahren bis zur Überarbeitung der Baureihe im Jahr 2011 verkaufte Boeing insgesamt 1.418 Stück seines Jumbo-Jets.
„Auswirkungen der Pandemie schwerwiegend“
Gegenwärtig wird vor allem die Coronavirus-Krise den Luftverkehr und damit auch Boeing nachhaltig belasten. Im ersten Halbjahr stornierten Airlines zahlreiche Aufträge. Angesichts der Entwicklung in einigen US-Bundesstaaten und anderen Teilen der Welt ist keine rasche Erholung in Sicht. „Die Realität ist, dass die Auswirkungen der Pandemie auf die Luftfahrt weiterhin schwerwiegend sind“, sagte Boeing-Chef Calhoun.
Hoffnung gibt es zumindest beim wichtigsten Modell 737 Max, das wegen zweier Abstürze mit insgesamt 346 Toten seit über einem Jahr nicht starten darf und nicht ausgeliefert werden kann. Hier rechnet das Boeing-Management mit einer baldigen Wiederinbetriebnahme, die US-Luftfahrtbehörde hatte zuletzt die Schlussphase des Verfahrens zur Wiederzulassung eingeleitet. Der Zeitpunkt ist dennoch unglücklich, denn ausgerechnet jetzt lässt die Pandemie die Nachfrage nach neuen Jets wegbrechen, sodass viele Bestellungen ungewiss sind.
Vertrauen in Boeing erschüttert
Die 737-Max-Unglücke erschütterten zudem das Vertrauen in Boeing und kratzten enorm am Image des Unternehmens, das bis zu den Abstürzen als erfolgsverwöhnter Vorzeigekonzern und Triebkraft der US-Wirtschaft galt. Als Unfallursache wurde in den bisherigen Untersuchungsberichten eine defekte Steuerungssoftware ausgemacht. Boeing steht im Verdacht, die 737 Max überstürzt auf den Markt gebracht und die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Der Ruf dürfte sich auch bei einer Wiederzulassung so schnell nicht erholen.