Menschen mit Mund-Nasen-Schutz überqueren eine Straße in Tokio
Reuters/Issei Kato
CoV-Anstieg in Japan

Tourismusoffensive als möglicher Bumerang

Das Coronavirus schien schon auf dem Rückzug aus Japan zu sein, nun ist es stärker da als je zuvor, und das flächendeckend: Am Mittwoch wurden auch in der letzten virenfreien Präfektur erste Fälle gemeldet. Landesweit wurden an drei Tagen in Folge jeweils mehr als 1.200 Neuinfektionen verzeichnet. Eine Kampagne der Regierung zur Wiederbelebung des Inlandstourismus könnte sich als Bumerang erweisen.

Binnen 24 Stunden seien landesweit 1.305 neue Fälle nachgewiesen worden, meldete das Gesundheitsministerium am Freitag – so viele wie seit Beginn der Pandemie nicht. Mit 367 Ansteckungen gab es in der Hauptstadt Tokio ebenfalls einen neuen Höchstwert, doch auch in anderen Regionen sowie auf abgelegenen Inseln breite sich das Virus rasch aus. Die nordjapanische Präfektur Iwate beispielsweise hatte es monatelang geschafft, frei von Coronaviren zu bleiben – am Mittwoch musste Gouverneur Takuya Tasso die ersten beiden Fälle bestätigen.

Wie sehr sich das Virus schleichend über das Land ausbreitet, zeigt der Rückgang des Anteils von Tokio an den Gesamtfällen: Vor zwei Wochen entfielen 62 Prozent der täglichen Infektionen auf die Hauptstadt und ihre drei benachbarten Präfekturen, wie die Zeitung „Nikkei“ berichtete. Am Dienstag dieser Woche lag der Anteil nur mehr bei 39 Prozent, gleichzeitig stiegen die Zahlen in anderen städtischen Ballungsräumen wie Aichi, Osaka und Fukuoka.

Kamaishi Hafen in Kamaishi City, in der Iwate Präfektur
AP/The Yomiuri Shimbun/Masamine Kawaguchi
Die Präfektur Iwate verzeichnete als letzter Teil Japans diese Woche erste CoV-Fälle

Risikoreiche Kampagne

Der jüngste Anstieg der Fälle könnte mit einer Kampagne der Regierung zusammenhängen, die darauf abzielt, den darniederliegenden Tourismussektor zu subventionieren. Die „Go to Travel“-Initiative startete am 22. Juli, japanischen Reisenden im Land wird dabei die Hälfte der Ausgaben dafür erstattet. Zunächst werden Rabatte in Höhe von 35 Prozent der Gesamtkosten gewährt, berichtete die Website Sumikai, die restlichen 15 Prozent werden durch Gutscheine abgedeckt, die ab September ausgestellt werden. Personen, die Reisen ab dem 22. Juli schon im Vorfeld gebucht hatten, sollen nach ihrer Rückkehr ebenfalls Rabatte erhalten.

Für Tourismusbetreiber ist die Kampagne gleichzeitig Fluch und Segen – sie fürchten eine weitere Ausbreitung des Virus, sind nach Monaten der Flaute aber dringend auf Einnahmen angewiesen. „Es ist für mich zur Gewohnheit geworden, die Nummernschilder von Autos der Gäste zu prüfen. Ehrlich gesagt bin ich immer etwas beunruhigt, wenn ich sehe, dass jemand von weit her zu Besuch kommt“, sagte Keiko Tsukahara, die eine Gastwirtschaft in der historischen Stadt Nikko nördlich von Tokio betreibt. „Aber wir hatten in den letzten Monaten null Einnahmen und wir brauchen Kunden“, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Passagiere mit Gesichtsmasken steigen in Tokio in einen Shinkansen-Zug
AP/The Yomiuri Shimbun/Yosuke Hayasaka
Die Regierung will mit der Kampagne zumindest den Inlandstourismus wieder ankurbeln

Kritik von mehreren Seiten

Neben dem Tourismus will die Regierung von Premierminister Shinzo Abe mit der „Go to Travel“-Kampagne auch Restaurants, Veranstaltungen und lokale Einkaufsstraßen unterstützen. Laut Sumikai nimmt sie dafür 310 Milliarden Yen (2,5 Milliarden Euro) in die Hand. Nicht von allen wird das gutgeheißen – das sei eine pure Verschwendung von Steuergeldern, die inmitten der Pandemie anderswo deutlich dringender benötigt würden, monierten Kritiker.

Alarmiert angesichts der Kampagne, wenn auch aus anderen Gründen, zeigte sich gleichfalls die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Norio Sugaya, ein japanische Kinderarzt und Wissenschaftler, der die WHO im Zuge der Pandemie berät, sagte: „Ich bin voll und ganz dafür, die Tourismusindustrie zu unterstützen … Aber wir sollten das nicht tun, wenn die Infektion wieder auflebt. Das Virus breitet sich aus, wenn Menschen sich bewegen. Das ist eindeutig ein Fehler.“ Die Krankenhäuser würden bald voll sein, ebenso die Intensivstationen.

Geschäftsmänner mit Mund-Nasen-Schutz in Tokio
Reuters/Issei Kato
Trotz steigender Infektionszahlen sollen langsam auch wieder Ausländer und Ausländerinnen ins Land gelassen werden

Zögerliche Öffnung der Grenzen

Die Regierung zeigt sich bisher nicht irritiert: Neben der Förderung des Inlandstourismus sollen nun auch die rigorosen Einreisebeschränkungen gelockert werden. Ab Mitte kommender Woche darf ein Teil der Ausländer und Ausländerinnen mit Wohnsitz in Japan wieder ins Land, teilte das Außenministerium am Donnerstag mit. Den rund 90.000 Betroffenen war die Rückkehr nach Japan verwehrt worden, weil ihre aktuellen Aufenthaltsorte auf einer Liste der Einreiseverbote aus mehr als 140 Ländern stehen.

Voraussetzung für die Rückkehr ist nun, dass diese Ausländer Japan verlassen hatten, noch bevor das Land ihres derzeitigen Aufenthalts in die Verbotsliste aufgenommen wurde. Zudem müssen eine Einreisegenehmigung von einem japanischen Konsulat und ein negativer Coronavirus-Test vorgelegt werden, der innerhalb von 72 Stunden vor Ankunft gemacht wurde. Ab 1. September soll nach Angaben des Außenministeriums weiteren Ausländern die Wiedereinreise erlaubt werden, darunter den Ehepartnern und Kindern von Japanern. Touristische Reisen nach Japan sind aber auch dann weiterhin nicht erlaubt.