Demonstration gegen die Coronavirus-Politik in Berlin
Reuters/Fabrizio Bensch
Tausende Teilnehmer

Berliner Demo gegen CoV-Regeln gestoppt

In Deutschland steigt die Zahl der Coronavirus-Fälle nach wie vor, laut aktuellen Zahlen sind innerhalb eines Tages über 950 neue Fälle bestätigt worden. Am Samstag demonstrierten in Berlin dennoch über 17.000 Menschen gegen die Coronavirus-Politik der deutschen Regierung – und für ein Ende aller Auflagen. Aufgrund der Nichteinhaltung der Hygieneregeln erstattete die Polizei Strafanzeige, die Veranstaltung wurde abgebrochen.

Die Polizei verkündete per Twitter, dass Anzeige erstattet wurde. Wenig später beendete daraufhin der Veranstalter die Demonstration, laut Polizei wurde das Ende der Protestveranstaltung per Lautsprecher bekanntgegeben. Zum Zeitpunkt der Auflösung hatte der Zug sein Ziel nahe des Brandenburger Tors bereits erreicht. Die Polizei ging „in der Spitze“ von etwa 17.000 Teilnehmenden aus. Ursprünglich waren für den Demonstrationszug nur 1.000 Menschen angemeldet.

Bei einer weiteren Kundgebung, die erst am Nachmittag startete, versammelten sich laut Schätzungen der Polizei sogar 20.000 Teilnehmer. Sie stand unter dem Titel „Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“. Den Titel „Tag der Freiheit“ trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935.

Demonstration gegen die Coronavirus-Politik in Berlin
AP/dpa/Christoph Soeder
Die Protestierenden forderten ein Ende der Beschränkungen

Am Abend begann die Polizei auch mit der Auflösung der Kundgebung. Der Veranstalter könne nicht gewährleisten, dass die Coronavirus-Auflagen eingehalten werden, sagte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur AFP. Mehrere Vertreter der Veranstalter wurden unter Protestrufen von Kundgebungsteilnehmern von der Bühne geholt. Als sich eine Person dagegen wehrte, gingen die Beamten mit Gewalt vor.

„Masken weg“-Rufe

Die Polizei wies während der Demonstrationen mit Lautsprechern wiederholt auf die Einhaltung der Coronavirus-Auflagen hin. Sie forderte zum Abstandhalten und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) auf. Verstöße wurden nach Polizeiangaben dokumentiert, um diese im Nachhinein zu ahnden. Die Polizei war mit 1.100 Kräften im Einsatz. Nach Polizeiangaben seien Vorgaben zu Abstand und Schutzbekleidung nicht eingehalten worden – Menschen, die einen MNS trugen, wurde aus dem Protestzug „Masken weg“ entgegengerufen.

Rekordanstieg an Neuinfektionen weltweit

Es war ein neuer Rekord an täglichen Neuinfektionen, den die WHO am Freitag registriert hat. 292 527 Fälle sind innerhalb von 24 Stunden gemeldet worden.

Bei den Demonstranten waren Ortsschilder und Fahnen verschiedener deutscher Bundesländer zu sehen. Ihrem Unmut über die Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus machten die Menschen mit Trillerpfeifen und Rufen nach „Freiheit“ oder „Widerstand“ Luft. Auch Parolen wie „Die größte Verschwörungstheorie ist die Corona-Pandemie“ waren zu hören.

Organisiert wurde die Demonstration von der Stuttgarter Initiative Querdenken 711. Nach Angaben von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) riefen auch verschiedene Neonazi-Organisationen zur Teilnahme auf. Eine ebenfalls für Samstag angemeldete Veranstaltung des Verschwörungstheoretikers Attila Hildmann war im Vorfeld unter anderem wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung untersagt worden. Es war das zweite Verbot einer Hildmann-Kundgebung in Folge.

Gegendemonstranten abgeschirmt

Zudem fanden mehrere kleinere Gegendemonstrationen statt, unter anderem vom Berliner Bündnis gegen Rechts. Laut dpa wurden an mehreren Stellen die Protestierenden und die Gegendemonstranten von Polizeieinheiten abgeschirmt.

Gegendemonstranten mit Atemschutzmaske in Berlin
Reuters/Fabrizio Bensch
Bei einer Gegendemonstration wurde großteils auf Masken gesetzt

Unverständnis für die Demo gab es von politischer Seite. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schrieb auf Twitter: "Tausende #Covidioten feiern sich in #Berlin als „die zweite Welle", ohne Abstand, ohne Maske. Sie gefährden damit nicht nur unsere Gesundheit, sie gefährden unsere Erfolge gegen die Pandemie und für die Belebung von Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft. Unverantwortlich!“

Auch aus der CDU kam Kritik. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn schrieb auf Twitter: „Ja, Demonstrationen müssen auch in Corona-Zeiten möglich sein. Aber nicht so.“ Brandenburgs CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann schrieb auf Twitter: „Wieder 1000 Neuinfektionen/Tag und in Berlin wird gegen Corona-Auflagen demonstriert? Diesen gefährlichen Blödsinn können wir uns nicht mehr leisten.“

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) übte heftige Kritik. Es ärgere ihn maßlos, dass Menschen aus anderen Teilen Deutschlands nach Berlin kämen, um hier ein Demonstrationsrecht auf Grundlage von Hygieneregeln wahrzunehmen, das sie dann missachteten, sagte Müller in der rbb-Abendschau. Die Demonstrierenden würden die Fakten nicht zur Kenntnis nehmen und riskierten damit die Gesundheit anderer Menschen. Er habe dafür kein Verständnis.

Wirtschaftsminister will härtere Strafen

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier plädiert unterdessen für härtere Strafen bei Verstößen gegen die Coronavirus-Regeln. „Wer andere absichtlich gefährdet, muss damit rechnen, dass dies für ihn gravierende Folgen hat“, sagte der CDU-Politiker der dpa in Berlin. „Wir dürfen den gerade beginnenden Aufschwung nicht dadurch gefährden, dass wir einen erneuten Anstieg der Infektionen hinnehmen.“

Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung verhalte sich nach wie vor außerordentlich verantwortlich, lobte Altmaier. „Was wir im Augenblick an Risikoanstieg erleben, geht im Wesentlichen zurück auf das achtlose und manchmal auch unverantwortliche Fehlverhalten einer sehr kleinen Zahl von Menschen“, sagte der Minister. „Das müssen wir wirksamer als bisher unterbinden und in Fällen, bei denen es deshalb zu Infektionen und Ausbrüchen kommt, wirksam ahnden: Das schließt Bußgelder und Strafen mit ein, wenn es sich um Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit handelt.“

Robert-Koch-Institut warnt vor Verschärfung

Seit Mitte Juli zeigen die Coronavirus-Fallzahlen in Deutschland wieder eine schneller steigende Tendenz. Wie das Robert Koch-Institut (RKI) Samstagfrüh bekanntgab, meldeten die Gesundheitsämter innerhalb eines Tages 955 neue Coronavirus-Infektionen. „Eine weitere Verschärfung der Situation muss unbedingt vermieden werden“, schrieb das RKI in seinem aktuellen Lagebericht. „Das gelingt nur, wenn sich die gesamte Bevölkerung weiterhin engagiert, z. B. indem sie Abstands- und Hygieneregeln konsequent einhält – auch im Freien –, Innenräume lüftet und, wo geboten, eine Mund-Nasen-Bedeckung korrekt trägt.“

„Können uns zweiten ‚Lock-down‘ nicht leisten“

„Einen zweiten ‚Lock-down‘ können wir uns nicht leisten“, sagte unterdessen Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Hilfsmaßnahmen wie im jetzigen finanziellen Rahmen ließen sich wohl nicht wiederholen. Wir dürfen bei der Einhaltung der Maßnahmen gegen das Virus nicht nachlässig werden. Nur dann können wir gemeinsam eine 2. Welle verhindern“, so Haseloff.

Eine zweite Welle könnte nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, der Wirtschaft mehr schaden als die erste. „Denn viele Unternehmen sind angeschlagen, haben hohe Schulden und kaum mehr Rücklagen“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag-Ausgabe). Infolge der Krise brach das deutsche Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal zweistellig ein.