Menschen mit Nasen-Mund-Schutz in Mexiko-Stadt
Reuters/Luis Cortes
Hohe Todesrate

Harte Kritik an Mexikos Krisenmanagement

In Mexiko sind bereits fast 50.000 Menschen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion verstorben – damit liegt das zweitgrößte Land Lateinamerikas bei der Zahl der Todesopfer weltweit mittlerweile an dritter Stelle. Die Kritik am Krisenmanagement der Regierung wird daher nun immer lauter. Der Vorwurf: Die Verantwortlichen würden Politik und Wirtschaft über das Leben der Menschen stellen.

Mit Stand Montagabend gibt es in Mexiko derzeit rund 440.000 Coronavirus-Infektionen. Und obwohl die Dunkelziffer aufgrund mangelnder Testungen jedoch um einiges höher sein dürfte, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Höchststand bei den Neuinfektionen gemeldet wird.

Die Zahl der Todesopfer stieg nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität zudem auf 47.746. Mexiko überholte bei der Todesrate bereits Großbritannien und liegt nun nur noch hinter den USA und Brasilien. Das Zeugnis, das den CoV-Maßnahmen der Regierung ausgestellt wird, ist dementsprechend schlecht: zu wenig, zu spät, so die Kritiker.

Friedhofsarbeiter schaufeln Gräber
Reuters/Edgard Garrido
Mexiko rückte bei Zahl der Coronavirus-Todesopfer an dritte Stelle – Kritiker geben der Regierung die Schuld

„Lock-down“: Zu spät verhängt, zu früh aufgehoben?

Der populistische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador wurde bereits öfter dafür kritisiert, dass er den „Lock-down“ zu spät verhängt und zu früh wieder aufgehoben habe. Dazu kommt, dass die Ausgangsbeschränkung zwar empfohlen wurde, verbindlich war zu Hause zu bleiben für die 127 Millionen Mexikaner und Mexikanerinnen jedoch nie.

Im Mai wurden die ohnehin sanften Maßnahmen bereits wieder gelockert, um die schwächelnde Wirtschaft wieder anzukurbeln. Mitte Juni sind Hunderttausende Fabriksarbeiterinnen und -arbeiter in der Hauptstadt wieder an ihre Arbeitsstätten zurückgekehrt. Mit Anfang Juli wurde dann mehreren nicht essenziellen Branchen in der Hauptstadt Mexiko-Stadt erlaubt, ihre Geschäfte wieder zu öffnen.

Mexikos Präsident Andres Manuel Lopez Obrador
APA/AFP/Mexican Presidency
Gesunde Ernährung, Sport, Gewichtsverlust, Spiritualität und Optimismus könnten im Umgang mit dem Virus helfen, so Mexikos Präsident. Von der Maske hält er hingegen weniger.

Präsident: „Haben das Virus gebändigt“

Obrador selbst betonte in den vergangenen Wochen immer wieder, Mexiko habe das Coronavirus gebändigt. In einem Video rief er die Bevölkerung dazu auf, der Pandemie mit Optimismus und guter Laune entgegenzutreten. Auch Gewichtsverlust sowie eine gesunde Ernährung, Sport und Spiritualität könnten im Kampf gegen die Viruskrise helfen, so Obrador.

Seine täglichen Pressekonferenzen nütze Obrador zudem nicht nur dafür, die Mexikaner und Mexikanerinnen über neue gesundheitliche Entwicklungen zu informieren, sondern auch für politische Zwecke, etwa um seine Gegner zu diskreditieren, analysierte etwa der „Guardian“.

Parallelen zu Trump und Bolsonaro

Mit Atemschutzmaske sieht man den Präsidenten hingegen selten. In einer Pressekonferenz dazu gefragt, sagte Obrador am Freitag, die Nützlichkeit von Masken sei nicht wissenschaftlich erwiesen. Und er werde erst eine Maske tragen, wenn es in Mexiko keine Korruption mehr gibt. Zudem beschuldigte er die Medien, „Fake News“ zu verbreiten und seine Regierung damit in den Schmutz zu ziehen.

Kritiker und Kritikerinnen ziehen bereits Parallelen zu US-Präsident Donald Trump und Brasiliens ultrarechtem Präsidenten Jair Bolsonaro – nicht nur wegen seiner Angriffe auf die Medien. Auch Trump und Bolsonaro spielten die Gefährlichkeit und das Ausmaß der Pandemie lange herunter und zeigen sich wissenschaftlich basierten Erkenntnissen gegenüber nach wie vor skeptisch.

Epidemiologe Hugo Lopez-Gatell
AP/Marco Ugarte
Auch der Chefstratege Lopez-Gatell, der für die Bekämpfung der CoV-Krise zuständig ist, geriet in die Kritik. Neun Gouverneure fordern seinen Rücktritt.

Kritik an Gesundheitsminister: CoV-Strategie versagt

Kritik richtet sich in Mexiko aber auch gegen den Epidemiologen Hugo Lopez-Gatell vom mexikanischen Gesundheitsministerium, der für die Strategie zur Bekämpfung der Pandemie zuständig ist. Ähnlich wie Obrador stelle auch er Politik vor die Gesundheit und das Leben der Menschen, hieß es in einem offenen Brief von neun mexikanischen Gouverneuren, der Anfang August veröffentlicht wurde. In dem Brief forderten sie „Mexiko News Daily“ („MND“) zufolge seinen Rücktritt.

Armut in Lateinamerika

Lateinamerika gilt als die Region mit der größten sozialen Ungleichheit weltweit. Die UNO-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) prognostizierte zuletzt, dass die Coronavirus-Krise weitere 45,4 Millionen Menschen in die Armut stürzen könnte. Demzufolge würden Ende des Jahres 37,3 Prozent der Menschen in der Region in Armut leben, 15,5 Prozent sogar in extremer Armut.

Die Lage würde sich zunehmend verschlimmern, Ende sei keines in Sicht, die Coronavirus-Strategie der Regierung habe versagt, und nun finde sich das Land im schlimmstmöglichen Szenario wieder, so die Gouverneure. „Heute werden wir nach den USA und Brasilien das Land mit den meisten Todesfällen der Welt sein – nur, dass in Brasilien doppelt und in den USA dreimal so viele Menschen leben.“ Auch dass sich Lopez-Gatell nicht früh genug dezidiert für das Tragen von Masken ausgesprochen habe, wurde in dem Brief kritisiert. Schließlich hätte das zu zusätzlichen 35.000 Todesfällen geführt.

Das unkoordinierte Vorgehen der Regierung in den Regionen habe aber nicht nur der Gesundheit der Menschen, sondern auch der Wirtschaft geschadet. Die Gouverneure warnten davor, dass die Krise zusätzlich zehn Millionen Menschen arm zurücklassen werde. Lopez-Gatell habe die Vorwürfe allerdings als haltlos zurückgewiesen, so „MND“. Die Zahlen dürften jedoch gegen ihn sprechen: In Mexiko ist das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um rund 19 Prozent eingebrochen, rund eine Million Menschen verloren ihren Arbeitsplatz.

Lateinamerika als Zentrum: August ausschlaggebend

In großen Teilen Lateinamerikas und der Karibik breitet sich das Virus weiter rasant aus. Am Wochenende überschritt die Zahl der Coronavirus-Todesfälle in der Region die Schwelle von 200.000. Fast drei Viertel der Toten entfallen der Nachrichtenagentur AFP zufolge auf Brasilien und Mexiko. Insgesamt haben sich in der Region fast fünf Millionen Menschen mit dem Virus infiziert.

Laut Marcos Espinal, Direktor der Abteilung für übertragbare Krankheiten in der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO) ist Lateinamerika „zweifellos die am stärksten betroffene Region der Welt“. Was nun im August passiere, könnte essenziell für die weitere Entwicklung sein, so Espinal gegenüber CNN.

Eine Mitarbeiterin der medizinischen Stabs misst bei einem Mann in einem Park in Mexiko-Stadt die Temperatur.
Reuters/Edgard Garrido
440.000 Infektionen, fast 50.000 Todesopfer – weil in Mexiko aber nur relativ wenig getestet wird, dürften die tatsächlichen Zahlen weitaus höher sein

Erschwerte Bedingungen in Lateinamerika

„Eine Reihe sozialer, wirtschaftlicher und gesundheitlicher Herausforderungen“ in Lateinamerika würde ein schnelles Abflachen der Kurve jedoch erschweren, weshalb die Bekämpfung der Pandemie mehr Zeit in Anspruch nehmen werde, so Espinal. So gebe es etwa einen hohen Anteil an informeller Wirtschaft, und es sei schwieriger, sich an Abstandsregeln zu halten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die UNO-Wirtschaftskomission für Lateinamerika warnten vergangene Woche in einem Bericht, dass die Pandemie bereits jetzt eine beispiellose wirtschaftliche und soziale Krise ist. Sofern nicht die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, könnte sich diese zu einer humanitären und politischen Krise auswachsen. Gleichzeitig sieht die WHO die Gefahr, dass wegen des „sozioökonomischen Drucks“ eine Ermüdung bei den Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus eintreten könne. Mexiko scheint dabei nur exemplarisch für eine Vielzahl an Ländern zu stehen.