Die Explosionen hatten sich Dienstagabend kurz nach 18.00 Uhr Ortszeit (17.00 Uhr MESZ) ereignet. Sie waren im ganzen Land, selbst noch im 240 Kilometer entfernten Nikosia auf der Insel Zypern, zu hören. Die Bekämpfung der durch die Detonationen ausgelösten Brände dauerte bis in die Nacht. Die Bergungsarbeiten dauerten an.
Laut Ministerpräsident Hassan Diab waren rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert. Die Chemikalie, die zur Herstellung von Düngemitteln und auch Sprengstoff verwendet wird, sei in einer Halle im Hafen gelagert gewesen, nachdem sie vor Jahren beschlagnahmt worden war, hieß es. Wieso es zur Explosion kam, ist unklar, allerdings besteht ein entsprechendes Risiko, wenn sich Ammoniumnitrat zu zersetzen beginnt.
Ganze Stadt als „Katastrophenzone“
Große Teile des Hafens und der umliegenden Stadtgebiete wurden verwüstet. TV-Bilder zeigten von Trümmern und Glasscherben übersäte Straßen, zerstörte Fahrzeuge, von Häusern abgerissene Balkone. Telefon und Internet fielen aus. Die Krankenhäuser der Stadt seien durch die große Zahl an Verletzten komplett überlastet, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan. „Es ist eine Katastrophe im wahrsten Sinne des Wortes.“ Verletzte mussten teilweise auf dem Parkplatz vor Kliniken behandelt werden.
Der Oberste Verteidigungsrat des Landes erklärte die Stadt zur „Katastrophenzone“. Beschädigt wurde auch ein Schiff der Vereinten Nationen. Blauhelmsoldaten der Friedensmission im Libanon (UNIFIL) seien verletzt worden, einige von ihnen schwer, hieß es in einer UNO-Erklärung. An der UNIFIL ist auch das Bundesheer beteiligt, Österreicher kamen aber nicht zu Schaden.
Trump wollte von „Art von Bombe“ wissen
Indizien für einen Terroranschlag gab es laut Ministerpräsident Diab nicht. US-Präsident Donald Trump sprach dennoch von einem „furchtbaren Angriff“ mit einer "Art von Bombe“ und berief sich dabei auf angebliche Informationen aus dem Pentagon. Weder von dort noch von den libanesischen Behörden kamen jedoch irgendwelche Hinweise dahingehend. Diab kündigte an, die Verantwortlichen für die Katastrophe „zur Rechenschaft“ zu ziehen.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich von dem Unglück betroffen und erklärte via Twitter: „Unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer.“ Diab bat in einer Fernsehansprache alle befreundeten Staaten um Hilfe. Viele Staaten folgten seinem Aufruf, angesichts des Ausmaßes der Katastrophe nicht nur befreundete, sondern etwa auch Israel.
Tag der Trauer
Der libanesische Präsident Michel Aoun berief eine Dringlichkeitssitzung des Obersten Verteidigungsrates ein. Die Regierung erklärte den Mittwoch zum Tag der nationalen Trauer. Der Libanon durchlebt derzeit die verheerendste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Seit Mitte Juni befindet sich das libanesische Pfund im freien Fall, die Arbeitslosenrate steigt.
Aus Protest gegen wochenlange Stromausfälle hatten Demonstranten am Dienstag versucht, das Energieministerium in Beirut zu besetzen. In Teilen des Landes hatte es in den vergangenen Wochen bis zu 20 Stunden am Tag keinen Strom gegeben.
Zahlreiche Staaten kündigen Hilfe an
Nachbarn des Libanon und auch zahlreiche andere Staaten boten dem Land humanitäre Hilfe an, darunter die EU, Frankreich, Deutschland, die Golfstaaten, die USA, der Iran, Israel. Dabei hatten sich zuletzt die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern wieder erheblich verschärft.
Israel hatte bereits kurz nach den Explosionen erklärt, man habe nichts damit zu tun. Am Abend bot die Regierung dem Libanon dann „humanitäre Hilfe“ an. „Unter Anweisung von Verteidigungsminister Benni Ganz und Außenminister Gabi Aschkenasi hat sich Israel an den Libanon durch internationale diplomatische und Verteidigungskanäle gewandt“, teilten beide Minister mit. Frankreich schickte zwei Militärflugzeuge mit Teams des Zivilschutzes, Notärzten und mehreren Tonnen medizinischen Materials nach Beirut, Tschechien Rettungsteams mit Suchhunden.
Schwere Explosionen in Beirut
Die libanesische Hauptstadt Beirut ist von zwei gewaltigen Explosionen im Hafen erschüttert worden. (Video: EBU, Reuters)
Urteil in Hariri-Prozess in Den Haag
Wenige Kilometer vom Ort der Explosionen entfernt waren 2005 der damalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri und 21 weitere Menschen bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden. Die Residenz seines Sohnes, des früheren Ministerpräsidenten Saad Hariri, wurde bei den Explosionen am Dienstag beschädigt.
Am Freitag will das UNO-Libanon-Sondertribunal in Den Haag sein Urteil gegen vier Angeklagte in dem Fall von 2005 verkünden. Viele im Libanon machen die Führung des Nachbarlandes Syrien für den Anschlag auf Hariri verantwortlich. Er hatte vor seinem Tod den Abzug der damals im Libanon stationierten syrischen Truppen verlangt.