Libanesische Soldaten suchen nach Überlebenden
AP/Hassan Ammar
Explosion in Beirut

Suche nach Überlebenden in Ruinen

Nach den beiden Explosionen im Hafen von Beirut am frühen Dienstagabend suchen Rettungsteams in zerstörten Gebäuden nach Überlebenden. Mehrere Staaten schickten Spezialisten in die libanesische Hauptstadt. Bei dem Unglück, ausgelöst höchstwahrscheinlich durch falsch gelagerte Chemikalien, kamen über 100 Menschen ums Leben, mehr als 4.000 wurden verletzt. Die halbe Stadt gleicht einem Trümmerfeld.

Nachbarländer und auch mehrere europäische und arabische Staaten boten nach der Katastrophe umgehend Hilfe an. Aus Frankreich starteten zwei Militärflugzeuge mit Notfallmedizinern, Zivilschützern und mehreren Tonnen medizinischem Material an Bord. Tschechien schickte Teams mit Suchhunden, die Niederlande entsandten Teams, die auf die Suche nach Verschütteten spezialisiert sind, in den Libanon.

Auch Kuwait, Katar und Jordanien sagten medizinische Hilfe zu, etwa die Errichtung von Feldlazaretten als Unterstützung für die komplett überlasteten Krankenhäuser der Stadt. Selbst der Nachbar Israel, mit dem sich die Spannungen zuletzt wieder verschärft hatten, bot an, Verletzte im Land zu behandeln.

Satellitenaufnahmen von Beirut vor (1.8) und nach den Explosionen (5.8.) zeigen das Ausmaß der Zerstörung

Laut dem Gouverneur von Beirut, Marwan Abud, betreffen die durch das Unglück verursachten Schäden beinahe die halbe Stadt. Bis zu 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner seien durch die gewaltige Zerstörung obdachlos geworden, sagte er. Die Höhe der Sachschäden bezifferte Abud mit bis zu fünf Mrd. Dollar (knapp 4,25 Mrd. Euro).

Beinahe halbe Stadt beschädigt

Nach den beiden Explosionen zeigte sich erst Mittwochfrüh das ganze Ausmaß der Zerstörung: eingestürzte Gebäude, verwüstete Straßenzüge, ausgebrannte Schiffe. Laut libanesischem Roten Kreuz kamen über 100 Menschen ums Leben, mehr als 4.000 wurden verletzt. Sehr wahrscheinlich dürften große Mengen der Chemikalie Ammoniumnitrat, gelagert ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen im Hafen, die Ursache der Katastrophe gewesen sein.

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Libanesische Soldaten vor dem zerstörten Hafen in Beirut
AP/Hussein Malla
In Beirut gilt nach der verheerenden Explosion der Ausnahmezustand. Die Armee kontrolliert die Stadt.
Zerstörte Hochhäuser in Beirut
AP/Hussein Malla
Ein Mann fährt mit seinem Motorroller durch die Stadt, die nach der Explosion Erinnerungen an die Zerstörungen während des Bürgerkriegs weckt
Das zerstörte Hafengebiet in Beirut nach der Explosion
AP/Hussein Malla
Luftaufnahmen zeigen das Ausmaß der Zerstörung
Druckwelle der Explosion in Beirut
Reuters/Instagram/Ksokhn/Thebikekitchenbeirut
Die zweite Detonation verursachte eine gewaltige Druckwelle
Das zerstörte Hafengebiet in Beirut nach der Explosion
APA/AFP
Die Rettungs- und Bergungsarbeiten dauerten am Mittwoch noch an
Zerstörte Gebäude im Hafengebiet von Beirut
AP/Hassan Ammar
In den Straßen der libanesischen Hauptstadt herrschte nach dem Unglück Chaos
Feuerwehrleute löschen ein Brand im Hafengebiet von Beirut
APA/AFP
Die Explosionen in einem Lager im Hafen lösten Großbrände aus
Das zerstörte Hafengebiet in Beirut nach der Explosion
APA/AFP
Brände wurden von Hubschraubern aus bekämpft
Zerstörte Gebäude im Hafengebiet von Beirut
Reuters/Mohamed Azakir
Durch die Druckwelle wurden Fassaden weggerissen
Schutt auf einer Straße im Hafengebiet von Beirut
APA/AFP/Marwan Tahtah
Scherben und Trümmer in den beinahe leeren Straßen
Zerstörte Gebäude im Hafengebiet von Beirut
APA/AFP/Anwar Amro
Im Hafen brannten Schiffe aus
Zerstörte Gebäude im Hafengebiet von Beirut
AP/Bilal Hussein
Das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigte sich erst Stunden nach der Katastrophe

Detonation bis Zypern zu hören

Die Explosionen hatten sich mit kurzem Abstand Dienstagabend kurz nach 18.00 Uhr Ortszeit (17.00 Uhr MESZ) ereignet. Sie waren im ganzen Land, selbst noch im 240 Kilometer entfernten Nikosia auf der Insel Zypern, zu hören. Die Bekämpfung der durch die Detonationen ausgelösten Brände dauerte bis in die Nacht. Die Suche nach Verletzten wurde in der Nacht durch eine Stromausfall in weiten Teilen der Stadt behindert. Sicherheitskräfte riegelten die Explosionsstelle weiträumig ab und wiesen Bewohner, die zu ihren Häusern wollten, zurück.

Mehr als 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert

Laut Ministerpräsident Hassan Diab waren rund 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert. Die Chemikalie, die zur Herstellung von Düngemitteln und auch Sprengstoff verwendet wird, sei in einer Halle im Hafen gelagert gewesen, nachdem sie vor Jahren beschlagnahmt worden war, hieß es. Wieso es zur Explosion kam, ist unklar, allerdings besteht ein entsprechendes Risiko, wenn sich Ammoniumnitrat zu zersetzen beginnt.

Große Teile des Hafens und der umliegenden Stadtgebiete wurden verwüstet. TV-Bilder zeigten von Trümmern und Glasscherben übersäte Straßen, zerstörte Fahrzeuge, von Häusern abgerissene Balkone. Telefon und Internet fielen aus. Die Krankenhäuser der Stadt seien durch die große Zahl an Verletzten komplett überlastet, sagte Gesundheitsminister Hamad Hassan. „Es ist eine Katastrophe im wahrsten Sinne des Wortes.“ Verletzte mussten teilweise auf dem Parkplatz vor Kliniken behandelt werden.

Der Oberste Verteidigungsrat des Landes erklärte die Stadt zur „Katastrophenzone“. Beschädigt wurde auch ein Schiff der Vereinten Nationen. Blauhelmsoldaten der Friedensmission im Libanon (UNIFIL) seien verletzt worden, einige von ihnen schwer, hieß es in einer UNO-Erklärung. An der UNIFIL ist auch das Bundesheer beteiligt, Österreicher kamen aber nicht zu Schaden.

Trump wollte von „Art von Bombe“ wissen

Indizien für einen Terroranschlag gab es laut Ministerpräsident Diab nicht. US-Präsident Donald Trump sprach dennoch von einem „furchtbaren Angriff“ mit einer "Art von Bombe“ und berief sich dabei auf angebliche Informationen aus dem Pentagon. Weder von dort noch von den libanesischen Behörden kamen jedoch irgendwelche Hinweise dahingehend. Diab kündigte an, die Verantwortlichen für die Katastrophe „zur Rechenschaft“ zu ziehen.

Tag der Trauer

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich von dem Unglück betroffen und erklärte via Twitter: „Unsere Gedanken sind bei den Menschen im Libanon, bei den Verletzten und den Familien der Opfer.“ Der libanesische Präsident Michel Aoun berief eine Dringlichkeitssitzung des Obersten Verteidigungsrates ein.

Schwere Explosionen in Beirut

Die libanesische Hauptstadt Beirut ist von zwei gewaltigen Explosionen im Hafen erschüttert worden. (Video: EBU, Reuters)

Die Regierung erklärte den Mittwoch zum Tag der nationalen Trauer. Der Libanon durchlebt derzeit die verheerendste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Seit Mitte Juni befindet sich das libanesische Pfund im freien Fall, die Arbeitslosenrate steigt. Der Libanon befand sich zwischen 1975 und 1990 im Bürgerkrieg.

Aus Protest gegen wochenlange Stromausfälle hatten Demonstranten am Dienstag versucht, das Energieministerium in Beirut zu besetzen. In Teilen des Landes hatte es in den vergangenen Wochen bis zu 20 Stunden am Tag keinen Strom gegeben.

Gefährliche Chemikalie

Die Chemikalie Ammoniumnitrat, ein Salz aus Ammoniak und Salpetersäure, wird vor allem für die Herstellung von Kunstdünger, etwa Kalkammonsalpeter, aber auch von Sprengmittel (Donarit) verwendet. Die Substanz muss unter besonderen Vorsichtsmaßnahmen gelagert werden, bei Hitze kann sie sich entzünden. Bereits mehrfach war die Chemikalie Ursache von Unfällen, wurde aber auch für Terroranschläge verwendet.

Im Jahr 1921 starben in einem Werk des heute weltweit größten Chemiekonzerns BASF in der deutschen Stadt Ludwigshafen 561 Menschen. 2001 kamen bei der Explosion von rund 300 Tonnen Ammoniumnitrat in einer Chemiefabrik im französischen Toulouse 30 Menschen ums Leben, in Texas im Jahr 2013 bei einem Unfall in einem Düngemittelwerk 15. In den USA hatten schließlich auch die Attentäter von Oklahoma City für den Anschlag auf das Murrah Federal Building 1995 mit 168 Toten unter anderem Mineraldünger verwendet.