Bulgarien-Proteste: Borrisow stellt Rücktritt in den Raum

Angesichts der Proteste gegen die Regierung hat Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissow heute in Sofia seinen Rücktritt in den Raum gestellt. Wie das bulgarische Radio BNR meldete, will er sich zunächst mit den Koalitionspartnern beraten und verschiedene Möglichkeiten anbieten, darunter auch seine Demission. Die Regierung sollte jedoch bis zur regulären Parlamentswahl im März 2021 im Amt bleiben.

Seit vier Wochen fordern Tausende Regierungsgegner den sofortigen Rücktritt der Mitte-rechts-Regierung und werfen ihr Korruption vor. In ersten Reaktionen nach der Ankündigung des Regierungschefs signalisierten sie gegenüber Journalisten, dass sie sich damit nicht zufriedengeben würden. „Der Rücktritt von Borissow reicht nicht“, sagten Demonstranten zu BNR.

Hungerstreik in Protestcamp

Die Protestierenden blockieren nach wie vor verkehrswichtige Straßenkreuzungen in der Hauptstadt Sofia und anderen Großstädten des Landes. In einem der aufgebauten Zeltlager in Sofia sind vier Demonstranten in einen Hungerstreik getreten. Der Gesundheitszustand eines Hungerstreikenden sei bedrohlich, wie Regierungsgegner gegenüber Journalisten heute erklärten. Er weigere sich trotz der derzeitigen Hitzewelle in Bulgarien, Wasser zu trinken, und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert.

Die Regierungsgegner werden von keiner politischen Kraft angeführt. Unter den Teilnehmer der allabendlichen Protestmärsche sind junge Klimaaktivisten, Anhänger der oppositionellen sozialistischen Partei, aber auch Angehörige der traditionell konservativen urbanen Mittelschicht.

Es zeichnet sich keine strukturierte politische Alternative ab, und deshalb ist nach Meinung politischer Beobachter nicht zu erwarten, dass sich bei möglichen Neuwahlen das Kräfteverhältnis im Parlament ändern würde.

Bevölkerung gespalten

Eine Ende Juli durchgeführte Meinungsumfrage von Gallup International zeigte, dass 54 Prozent der Befragten keine vorgezogene Parlamentswahl wollen. Geteilter Meinung sind die Bulgaren auch bei der Frage nach den Regierungsprotesten.

59 Prozent unterstützen die Demonstrationen, 34 Prozent nicht. In der Sonntagsfrage verlieren sowohl die bürgerliche GERB-Partei des Regierungschefs als auch die oppositionellen Sozialisten an Zuspruch. Der Juniorpartner in der Regierung, die Vereinten Patrioten, würde laut den Umfragen derzeit den Einzug ins Parlament gar nicht mehr schaffen.