Frau gibt einem Jugendlichen zuhause Nachhilfe
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Nachhilfeinstitute

„Stunde der Wahrheit“ kommt im Herbst

Vieles ist mit der Coronavirus-Pandemie ins Netz gewandert – auch der Nachhilfeunterricht. Teils findet er immer noch virtuell statt, teils wieder in Unterrichtsräumen. Ein Rundruf bei Nachhilfeinstituten zeigt: Lernen für den Nachzipf ist in diesem Sommer kaum Thema, das Stopfen von Wissenslücken aus der Homeschooling-Zeit umso mehr. Wie groß diese Lücken sind, werde sich erst im Herbst zeigen.

Das vergangene Schulsemester glich einer einzigen Ausnahmesituation: Von Mitte März bis Mitte Mai fand an den Schulen kein Unterricht statt, danach nur eingeschränkt. Mit dem Lernstoff mussten sich Schülerinnen und Schüler großteils durch Distance Learning und Homeschooling auseinandersetzen.

Die Verständnisprobleme aus dieser Zeit werden mit dem neuen Schuljahr sichtbar werden, so Irmela Kühnelt, Leiterin des Nachhilfeinstituts IFL in Graz, Leibnitz und Klagenfurt. Es gebe teilweise große Wissenslücken, so Kühnelt im Gespräch mit ORF.at – „das kann noch problematisch werden“.

Allerdings müsse zwischen einzelnen Schulen unterschieden werden: „Manche Schülerinnen und Schüler hatten in der Homeschooling-Zeit sehr viel zu tun, andere haben nur sehr wenige Aufgaben bekommen.“ Die Frage sei, wie und wo das Versäumte aufgearbeitet wird.

Mädchen während Home Schooling
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Wochenlang lernten Schülerinnen und Schüler im Frühjahr von zu Hause aus

Run auf Nachhilfe bleibt bisher aus

Trotz der Ausnahmesituation verzeichnet Kühnelt bisher keinen nennenswerten Anstieg bei der Nachfrage nach Nachhilfe. Erklärbar sei das „hauptsächlich dadurch, dass die Nachprüfungen im Herbst CoV-bedingt nicht verpflichtend sind und die Lehrerkonferenz über den Aufstieg bei einem, zwei oder sogar mehr Fünfern entscheiden kann“.

Kühnelt vermutet, dass Anfragen, um Lerninhalte zu festigen und Versäumtes nachzuholen, im Lauf des Sommers noch kommen – vor allem aber, dass der Bedarf im Herbst steigen wird.

„Viel Stoff zum Nachlernen“

Auch beim Nachhilfeinstitut Lernquadrat ist bisher keine erhöhte Nachfrage zu beobachten. Ein Trend sei allerdings bemerkbar, so Unternehmenssprecherin Angela Schmidt: Während im Vorjahr bis zu vier oder sogar fünf Wochen Intensivkurs – oft zur Vorbereitung auf eine Nachprüfung – gebucht wurden, seien es in diesem Sommer „eher zwei Wochen zur Auffrischung“.

Es gebe weniger Nachprüfungen, dafür aber viel Stoff zum Nachlernen, so Schmidt gegenüber ORF.at: „Wir gehen davon aus, dass viele Schüler erst bei der Vorbereitung auf die ersten Schularbeiten im Herbst merken werden, dass sie sehr viel Stoff nachzulernen haben und in vielen Fällen Wissenslücken da sind.“

Schularbeitstermine eher früh?

Die „Stunde der Wahrheit“ werde nach den ersten Schularbeiten im Herbst kommen, so Markus Kalina, Regionalleiter für Österreich des Nachhilfeinstituts Schülerhilfe. Er geht davon aus, dass viele Schulen die ersten Schularbeiten früher als sonst üblich ansetzen werden, um den Wissenstand abzufragen, bevor neue Inhalte durchgenommen werden.

Lerninhalte festigen und Versäumtes nachholen ist auch bei der Schülerhilfe in diesem Sommer Hauptthema. „Wir begleiten zwar auch viele Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zur Nachprüfung, aber insgesamt doch deutlich weniger als in den Jahren zuvor“, so Kalina gegenüber ORF.at. Insgesamt sei die Nachfrage nach Sommerkursen dieses Jahr etwas höher.

Präsenzunterricht nur auf Wunsch der Eltern

Auch GoStudent verzeichnet laut Gründer und Geschäftsführer Felix Ohswald eine „etwas stärkere Nachfrage als im Vorjahr“. Während GoStudent seit zwei Jahren ohnehin ausschließlich Onlinenachhilfe anbietet, mussten die anderen Institute im März innerhalb kürzester Zeit auf virtuellen Unterricht umstellen. Mittlerweile ist Präsenzunterricht wieder erlaubt.

„Wir tendieren aber nach wie vor zu Onlineunterricht“, so Kühnelt von IFL. Nur bei ausdrücklichem Wunsch der Eltern werde das Kind im Institut unterrichtet. „Da schauen wir dann aber, dass nicht zu viele Schülerinnen und Schüler gleichzeitig da sind.“ Sie könne sich sehr gut vorstellen, auch in Zukunft virtuellen Unterricht anzubieten.

Mädchen während Distance Learning am Laptop
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Mit Onlinenachhilfe kann bequem von zu Hause aus gelernt werden – vorausgesetzt, das nötige Equipment ist vorhanden

Institute wollen weiter auf Online setzen

Beim Institut Lernquadrat sei man „gerade dabei zu evaluieren, ob Onlinenachhilfe auch langfristig als eigenes Produkt in unsere Angebotspalette aufgenommen werden kann“, so Unternehmenssprecherin Schmidt – als „sinnvolle Ergänzung zur persönlichen Nachhilfe“, bei der man etwa die Anfahrtszeiten spare.

„Eher als Ergänzung zum Präsenzunterricht“ sieht man Onlineunterricht auch bei der Schülerhilfe. Dieser soll aber in Zukunft an den meisten Standorten angeboten werden. Die „persönliche Betreuung vor Ort“ werde der Onlineunterricht aber nicht ersetzen können, sagte Kalina.

„Weniger Larifari“

Ein Argument, dem Ohswald von GoStudent entschieden widerspricht: Videotelefonie sei „mehr als nur persönlich“. Vom pädagogischen Standpunkt gebe es bei der Onlinenachhilfe keine Nachteile. Die Zeit werde zudem effizienter genutzt, weil es „weniger Larifari rundherum“ gebe.

Eltern, die auf Onlineunterricht skeptisch reagieren, habe es auch schon vor der Zeit des Distance Learning gegeben, so Ohswald im Gespräch mit ORF.at. „Die sagen zum Beispiel, mein Kind ist eh schon so viel auf Instagram oder TikTok, jetzt muss nicht auch noch die Nachhilfe vor dem Bildschirm sein.“

Einfach ausprobieren, rät Ohswald in diesen Fällen. Denn wenn der Lehrende passt, spiele es keine Rolle mehr, ob der Unterricht online stattfindet oder nicht. „Die Qualität des Unterrichts hängt immer mit der Qualität des Lehrers zusammen.“ Und online habe man einen größeren Pool an Lehrkräften, aus denen jene ausgesucht wird, die am besten zum Kind passt.

Private Nachhilfe für viele nicht leistbar

Nicht erst seit der Krise ist der Bedarf an privater Nachhilfe in Österreich hoch. Leistbar ist sie aber längst nicht für alle. Ein Drittel der Schülerinnen und Schüler braucht laut aktuellem Nachhilfebarometer der Arbeiterkammer (AK) Unterstützung. 17 Prozent erhalten private Nachhilfe – Eltern zahlten dafür im vergangenen Schuljahr insgesamt 86 Millionen Euro.

Schulerfolg sei eine Frage von finanziellen Möglichkeiten, so Elke Larcher von der AK gegenüber ORF.at. Die Pandemie und die damit verbundene Ausnahmesituation für Schülerinnen und Schüler habe „kein neues Problem geschaffen, jedoch ein altes Problem massiv verschärft“. Im Herbst gelte es nun zu wiederholen und genau zu schauen, „wo die Kinder stehen, und nicht vorauszusetzen, dass das Homeschooling bei allen Kindern erfolgreich war“.

In der kostenlosen Lernförderung, die im Rahmen der Ferienbetreuung der Stadt Wien, den „Summer City Camps“, angeboten wird, gibt es in diesem Sommer mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Während im Vorjahr 1.200 Kinder und Jugendliche die Lernförderung nutzten, sind es heuer 2.050, so das Büro des Bildungsstadtrats auf Anfrage von ORF.at. Besonders im Volksschulalter sei die Nachfrage hoch.