Smartphone mit TikTok-App
APA/AFP/Manjunath Kiran
USA – China

TikTok-Dekret facht Handelskrieg an

Die bereits angeschlagenen Beziehungen zwischen den USA und China sind am Freitag der nächsten Belastungsprobe unterzogen worden. US-Präsident Donald Trump unterzeichnete ein Dekret, mit dem der Video-App TikTok der Riegel vorgeschoben werden soll. Nicht nur der betroffene Konzern ByteDance reagierte erzürnt – auch aus China kam scharfe Kritik.

Nur wenige Stunden nach Trumps Unterzeichnung kam die erste Rückmeldung aus Peking: Die Interessen chinesischer Firmen würden verteidigt, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Wang Wenbin: „Die USA müssen mit den Folgen leben.“ Konkrete Maßnahmen nannte er nicht. Es handle sich um einen Akt der „willkürlichen politischen Manipulation und Unterdrückung“, hieß es am Freitag auf einer Pressekonferenz weiter.

Auch ByteDance kündigte Konsequenzen an. Es gehe darum sicherzustellen, dass die Nutzer gerecht behandelt würden, „wenn nicht von der Regierung, dann von den US-Gerichten“, teilte das Unternehmen auf seiner Website mit. „Wir sind schockiert über die jüngste Verfügung, die ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren erlassen wurde“, so das Unternehmen.

„Seit fast einem Jahr bemühen wir uns, in gutem Glauben mit der US-Regierung zusammenzuarbeiten, um eine konstruktive Lösung für die geäußerten Bedenken zu finden“, hieß es weiter. Stattdessen habe man feststellen müssen, dass die US-Regierung nicht bereit sei, den Tatsachen Beachtung zu schenken.

Analyst: Könnte Beginn „eines IT-Krieges“ sein

An den Börsen löste der Streit weltweit Sorgen aus: „Wir könnten den Beginn eines IT-Krieges sehen“, sagte etwa ein Analyst gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Auch ein IT-Experte des US-Thinktanks Center for Strategic and International Studies sagte: „China wird Vergeltung üben.“ Er sah eine neue Dimension in dem schon lange andauernden Streit der Großmächte: „Das ist ein Bruch in der digitalen Welt zwischen den USA und China.“

Trump: TikTok stellt „Bedrohung“ dar

In der von Trump unterzeichneten Verfügung heißt es, dass die Video-App eine „Bedrohung“ der nationalen Sicherheit darstelle. Die App sammle große Mengen an Nutzerdaten und könne es der Kommunistischen Partei Chinas ermöglichen, Amerikaner auszuspionieren, hieß es. Zudem ging Trump gegen die chinesische App WeChat und deren Eigentümer vor. Das Verbot werde aus Gründen der nationalen Sicherheit ebenfalls in 45 Tagen in Kraft treten, hieß es.

US Präsident Donald Trump
AP/STAR MAX/Dennis Van TIne
Trump kündigte Maßnahmen gegen das Soziale Netzwerk TikTok an

Neue Eskalation in andauerndem Handelsstreit

Seit gut zwei Jahren beschäftigt der Handelskrieg die beiden größten Volkswirtschaften der Welt. Ein im Jänner unterzeichnetes Handelsabkommen sorgte nur zwischenzeitlich für Beruhigung. Seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie ist der Ton wieder schärfer geworden.

Trumps Regierung geht schon seit Langem gegen den chinesischen Telekomriesen Huawei vor. Washington verdächtigt diesen, ein Einfallstor für Pekings Spione zu sein. Die US-Regierung bemüht sich mit Nachdruck, dafür zu sorgen, den Hersteller auch in befreundeten Staaten vom Bau der schnellen 5G-Mobilfunknetzwerke auszuschließen. Auch der chinesische Telekomausrüster ZTE fiel in Washington zwischenzeitlich in Ungnade.

Kritiker orten Schachzug Trumps

Kritikerinnen und Kritiker vermuten in dem Feldzug gegen die chinesischen Apps auch einen politischen Schachzug Trumps, um von der Krise im eigenen Land und dem Einbruch der US-Wirtschaft mit Millionen Arbeitslosen abzulenken.

Ein Aufruf über TikTok soll außerdem dazu geführt haben, dass der US-Präsident bei einer Wahlkampfveranstaltung in Tulsa viele leere Ränge vorfand – Nutzerinnen und Nutzer sollen sich angemeldet haben, aber dann nicht hingegangen sein. Die Ankündigung der Republikaner, TikTok vom US-Markt verbannen zu wollen, sorgte unterdessen für Protest in dem Sozialen Netzwerk.

Microsoft könnte zum Nutznießer werden

Falls der Erlass nicht noch von einem Gericht für ungültig erklärt wird, dürfte TikTok in den USA in 45 Tagen nicht mehr verfügbar sein. Eine Zukunft von TikTok in den USA ist aber nicht ausgeschlossen: Sollte ein US-Unternehmen das dortige Geschäft übernehmen, könnte der Betrieb gesichert werden, zumal sich die Verfügung nicht gegen TikTok an sich, sondern gegen den chinesischen Eigentümer ByteDance richtete.

Nutznießer könnte damit Microsoft werden. Der US-Softwareriese brachte sich in Stellung, das US-Geschäft der Video-App zu übernehmen. Das Unternehmen will bis Mitte September einen Deal mit dem privaten chinesischen Eigentümer aushandeln, hieß es. Auch der TikTok-Betrieb in Kanada, Australien und Neuseeland soll Teil der Vereinbarung sein, so Microsoft in einem Blogeintrag zu Wochenbeginn. Europa wurde nicht erwähnt. Microsoft will nach eigenen Angaben dafür sorgen, dass alle persönlichen Daten von US-Bürgerinnen und -Bürgern in die USA übertragen und nur dort gesammelt würden.

Wie viel Microsoft für TikTok zahlen müsste, ist noch unklar. Es dürfte aber um einen zweistelligen Milliardenbetrag gehen. Microsoft hat bisher kein namhaftes eigenes Social-Media-Geschäft. Microsoft betreibt unter anderem die Virtual-Reality-Plattform AltspaceVR und die Plattform hinter der Microsoft-Spielekonsole Xbox – ein Deal mit TikTok wäre damit jedenfalls ein großer Einstieg ins Geschäft mit Sozialen Netzwerken.

Auch strengere Regeln an Börse geplant

Die US-Behörden wollen unterdessen auch die Regeln für chinesische Unternehmen an Börsen in den Vereinigten Staaten verschärfen. Künftig sollen die Prüfgesellschaften der Firmen den US-Aufsichtsbehörden Zugang zu ihren Berichten gewähren, forderte am Donnerstag eine Arbeitsgruppe unter Leitung von US-Finanzminister Steven Mnuchin.

Zudem sollen Anleger deutlicher auf die Risiken hingewiesen werden, die mit Investitionen in Firmen aus Ländern mit mangelhaftem Zugang zu Unterlagen verbunden sind. Ziel der Verschärfungen ist laut US-Finanzministerium, das Vertrauen von Investoren in die Kapitalmärkte der Vereinigten Staaten zu erhalten.