Demonstranten in Beirut
Reuters/Thaier Al-Sudani
Außenministerium gestürmt

Gewalt bei Massenprotesten in Beirut

Wütende Demonstrierende haben am Samstag das Außenministerium in der libanesischen Hauptstadt Beirut gestürmt. Von ehemaligen Armeeoffizieren angeführte Protestierende drangen in das Gebäude ein und erklärten es zum „Hauptquartier der Revolution“. Zuvor waren Tausende Menschen durch die Stadt marschiert, um nach der Explosionskatastrophe vom Dienstag gegen die Regierung zu protestieren. Der libanesische Premier kündigte an, Neuwahlen beantragen zu wollen.

Bei den Protesten fielen auch Schüsse, wie die Polizei gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters bestätigte. Auf Fernsehaufnahmen waren mehrere blutende Menschen zu sehen, nachdem die Polizei Gummigeschosse und Tränengas gegen Demonstrierende eingesetzt hatte. Diese hatten versucht, auf den Parlamentsplatz vorzudringen.

Bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Protestierenden wurden mindestens 200 Menschen verletzt, teilte das libanesische Rote Kreuz am Samstag auf Twitter mit. Einige von ihnen mussten ins Spital gebracht werden. Laut Polizei wurde ein Beamter bei den Protesten getötet.

Demonstranten vor dem libanesischen Außenministerium in Beirut
Reuters/Ellen Francis
Demonstrierende vor dem Außenministerium in Beirut: Bei den Protesten wurden zahlreiche Menschen verletzt

„Rache“ für die Opfer der Explosion

Die Menschen gingen auf die zerstörten und mit Trümmern übersäten Straßen, um ihrer Wut auf die politische Elite Luft zu machen. „Rache, Rache bis zum Sturz des Regimes“, skandierten sie. Viele von ihnen hielten Flaggen oder Fotos von Unglücksopfern in die Höhe.

Vereinzelt schwenkten Protestierende auch Schlingen, auf dem Märtyrerplatz im Zentrum von Beirut waren bereits am Freitag hölzerne Guillotinen errichtet worden. Protestaufrufe in Onlinenetzwerken wurden mit dem Hashtag #HangThem (#HängtSie) versehen. Sicherheitskräfte versuchten die Menschen auf dem Weg zum Parlamentsgebäude zurückzudrängen, die Polizei setzte Tränengas ein, Demonstrierende warfen Steine.

„Wir können es nicht mehr ertragen“

Viele Menschen im Libanon, die der politischen Elite schon seit Langem Korruption und Unfähigkeit vorwerfen, machen die Regierung für die verheerenden Explosionen am Dienstag mit mehr als 150 Todesopfern verantwortlich. Das Land steckt schon seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Währungskrise, die durch die Coronavirus-Pandemie noch verschärft wurde.

Demonstranten in Beirut
Reuters/Thaier Al-Sudani
Tausende Menschen gingen in Beirut auf die Straße

„Wir können es nicht mehr ertragen. Wir werden als Geiseln gehalten, wir können das Land nicht verlassen, wir können unser Geld nicht von den Banken abheben. Die Menschen hungern, es gibt mehr als zwei Millionen Arbeitslose“, beklagte eine Demonstrantin. „Und jetzt ist Beirut durch Fahrlässigkeit und Korruption vollständig zerstört worden.“

Libanesischer Premier für Neuwahlen

Der libanesische Ministerpräsident Hassan Diab kündigte indes an, Neuwahlen beantragen zu wollen. Nur so könne die Krise in dem Land überwunden werden, sagte Diab am Samstagabend in einer Fernsehansprache. Er werde seinem Kabinett daher am Montag Neuwahlen vorschlagen. Diab wies eine Verantwortung für die wirtschaftlichen und politischen Probleme des Landes zurück. Einen möglichen Termin für Neuwahlen nannte er nicht. Die nächsten Wahlen stünden eigentlich im Jahr 2022 an.

Der Premier rief die politischen Parteien auf, sich auf eine „nächste Stufe“ zu einigen. Er sei bereit, für weitere zwei Monate die Verantwortung zu übernehmen, bis es eine Übereinkunft gebe. „Das Ausmaß des Desasters ist größer, als es sich irgendjemand vorstellen kann“, erklärte Diab. „Wir befinden uns in einem Notstand.“ Er stehe an der Seite derjenigen, die einen Wandel wollten, sagte er.

Weiter Vermisste nach Explosion

Am Dienstag hatten zwei gewaltige Explosionen den Hafen von Beirut erschüttert. Nach Regierungsangaben waren 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat explodiert, die jahrelang ungesichert in einer Halle im Hafen lagerten. Die Ursache der Explosionen ist noch unklar. 21 mutmaßliche Verantwortliche wurden festgenommen.

Die Zahl der Todesopfer der Explosionen stieg am Samstag nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf 158, die der Verletzten auf mehr als 6.000. 21 Menschen werden noch vermisst. 6.200 Gebäude wurden nach offiziellen Angaben beschädigt, Hunderttausende Menschen sind obdachlos.

Zerstörte Gebäude in Beirut
APA/AFP
Bild der Verwüstung: Halb Beirut wurde bei der Explosion beschädigt

Die tatsächliche Ursache der Explosionen ist Gegenstand von Ermittlungen, die Rede war von einem Unfall oder Fahrlässigkeit bei der Lagerung. Am Freitag schloss der libanesische Präsident Michel Aoun aber auch einen Anschlag nicht aus. Es sei möglich, dass die Explosionen durch „Fahrlässigkeit oder durch äußere Einwirkung, mit einer Rakete oder einer Bombe“, ausgelöst wurden, sagte er im Fernsehen. Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund oder einen Anschlag gab es aber nicht.

Frankreich und UNO veranstalten Geberkonferenz

Am Sonntag wollen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Vereinten Nationen gemeinsam eine Geberkonferenz für den Libanon ausrichten. Auch US-Präsident Donald Trump kündigte seine Teilnahme an der Videokonferenz an, die Gelder für den Wiederaufbau von Beirut sammeln soll.

Aus Österreich wird laut Außenministerium kein Vertreter an der Konferenz teilnehmen. Die EU sei durch EU-Ratspräsident Charles Michel und den Ratsvorsitzenden deutschen Außenminister Heiko Maas vertreten, hieß es am Samstag auf APA-Anfrage.

Österreichische Soldaten bereit

Die österreichische Regierung stellte unterdessen eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds (AKF) als Soforthilfe für den Libanon zur Verfügung. Die Mittel werden im Wege der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) und österreichischer NGOs für die Versorgung und Unterbringung der obdachlos gewordenen Bewohnerinnen und Bewohner Beiruts zur Verfügung gestellt.

Hilfsaktionen für Beirut laufen an

Nach den schweren Explosionen in Beirut sind die ersten Hilfsaktionen angelaufen. Die Europäische Union hat 300 Rettungskräfte losgeschickt und 33 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt.

„Österreich steht dem Libanon in dieser sehr schwierigen Situation zur Seite. Neben den bereits 182 österreichischen UN-Soldaten im Libanon steht eine weitere Kompanie mit 60 Soldaten bereit, die innerhalb von 24 Stunden vor Ort Hilfe leisten kann“, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).