Proteste in Weißrussland
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Sieg für Lukaschenko

Ausschreitungen nach Wahl in Weißrussland

Nach dem erwartbaren Sieg von Amtsinhaber Alexander Lukaschenko bei der Präsidentenwahl haben in Weißrussland Tausende Menschen protestiert. Dabei ging die Polizei hart vor. Herausforderin Swetlana Tichanowskaja zweifelte wie viele andere die Rechtmäßigkeit des Wahlausgangs an.

Montagfrüh gab die Wahlkommission ein vorläufiges Ergebnis bekannt: Lukaschenko wurde zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der 65-Jährige habe bei dem Urnengang 80,23 Prozent der Stimmen erzielt, teilte Wahlleiterin Lilija Jermoschina in Minsk mit. Lukaschenkos Gegnerin Tichanowskaja kam laut den Angaben nur auf 9,9 Prozent der Stimmen.

Schon am Sonntag wurden von offizieller Seite Prognosen veröffentlicht, aus denen Lukaschenko als klarer Sieger hervorging. Unabhängigen Nachwahlbefragungen im Ausland vom Sonntag zufolge soll Tichanowskaja hingegen 71 Prozent geholt haben, Lukaschenko nur zehn Prozent.

Grafik zur Wahl in Weißrussland
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA; Fotos: AFP

Tichanowskaja zweifelt an Ergebnis

Tichanowskaja zweifelte am Sonntag die Prognosen an. „Ich glaube an das, was ich mit eigenen Augen sehe, und ich sehe, dass die Mehrheit hinter uns steht“, sagte sie nach der Veröffentlichung der Prognose. „Ich glaube, dass wir schon gewonnen haben, weil wir unsere Angst, unsere Apathie und unsere Gleichgültigkeit besiegt haben“. Am Montag erklärte sie sich zur Wahlsiegerin und forderte Lukaschenko zum Rückzug auf. Die Regierung müsse darüber nachdenken, „wie sie die Macht friedlich an uns übergeben kann“, sagte sie vor Journalisten in Minsk.

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko
Reuters/Sergei Gapon
Alexander Lukaschenko

Tichanowskaja konnte trotz geringer Erfolgschancen Druck auf Lukaschenko aufbauen. Tausende Menschen hatten an ihren Wahlkampfveranstaltungen teilgenommen, obwohl die Behörden vor der Wahl scharf gegen Gegner vorgegangen waren. Auch am Sonntagabend kam es nach Veröffentlichung der Prognose zu Ausschreitungen in mehreren Städten des Landes. Tausende Menschen versammelten sich auf zentralen Plätzen, um gegen Wahlfälschungen zu demonstrieren.

Verletzte bei Protesten, Berichte über Toten

Dabei kam es zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Hundertschaften aufmarschiert war. In Sozialen Netzwerken wurden Videos veröffentlicht, die etwa in der Hauptstadt Minsk zeigten, wie Polizisten auf Menschen einschlugen. Andere Passanten attackierten daraufhin die Sicherheitskräfte, um eine Festnahme zu verhindern. In Minsk setzten die Beamten Blendgranaten, Wasserwerfer und Gummigeschoße ein, um die Menschen zu vertreiben.

3.000 Menschen wurden laut Innenministerium festgenommen, zudem soll es auf beiden Seiten fast 100 Verletzt geben, hieß es laut Medienberichten. Die Menschenrechtsorganisation Wesna sprach am Abend von mehr als 50 Festnahmen. Bürgerrechtler berichteten am Montag, dass ein Mensch getötet wurde. Das Opfer soll von einem Gefangenentransporter der Polizei umgefahren worden sein, so die Aktivistengruppe Spring 96. Das Innenministerium erklärte am Abend zuvor, niemand sei verletzt worden. Am Montag hieß es, es gebe keinen Toten.

Angespannte Lage

Es gab auch Siegesfeiern für Tichanowskaja. Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen. In einzelnen Ortschaften habe die Polizei kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Internetportale. Laut Beobachtern sollen landesweit rund 100.000 Menschen an den Protesten teilgenommen haben. Die Angaben sind kaum zu überprüfen.

Weißrusslands Präsidentenwahl geschlagen

Paul Krisai kommentiert aus Moskau die Umstände der Präsidentenwahl in Weißrussland.

Am Montag soll sich die Lage laut Staatsmedien beruhigt haben, die Menschen seien in der Früh nach Hause zurückgekehrt, auch in Minsk sei es ruhig, heißt es. In Sozialen Netzwerken kündigten Aktivisten neue Proteste an, um gegen Wahlfälschung und gegen den angeblichen Sieg Lukaschenkos zu demonstrieren.

Zu wenige Stimmzettel

Die Wahlkommission veröffentlichte noch Stunden nach Schließung der Wahllokale keine ersten offiziellen Ergebnisse. Es war lediglich die Rede von einem Sieg Lukaschenkos. Die Website der Wahlleitung war nicht abrufbar – wie viele andere Websites in Weißrussland.

Die Opposition hatte schon zuvor bezweifelt, dass der Staatschef in der Lage sei, eine Abstimmung ohne Fälschungen zu gewinnen. Auch dieses Mal gab es schwere Vorwürfe der Wahlfälschung. Es gab etwa nicht genug Stimmzettel, damit alle Bürgerinnen und Bürger wählen konnten. Das Interesse an der Wahl war so groß, dass sich vor den Wahllokalen lange Schlangen gebildet hatten.

Wie die Wahlkommission in Minsk mitteilte, lag die Beteiligung am Abend bei knapp 80 Prozent. Auch bei den weißrussischen Botschaften im Ausland sammelten sich sehr viele Menschen. In der russischen Hauptstadt Moskau bildete sich eine Hunderte Meter lange Schlange vor der diplomatischen Vertretung. Niemand habe mit so einer hohen Beteiligung gerechnet, sagte Wahlleiterin Lilija Jermoschina.

Warteschlange zur Wahl in Weißrussland
AP/Sergei Grits
Lange Schlangen in Minsk: Die Wahlbeteiligung war außerordentlich hoch

Es gab auch Dutzende Videos von Manipulationen an den Stimmzetteln in Sozialen Netzwerken und Klagen von Bürgern über Verstöße. Viele Menschen gaben zudem an, Probleme mit dem Internet zu haben. Vor allem viele regierungskritische Seiten waren in Weißrussland nicht abrufbar. Die Opposition warnte gar vor einer kompletten Abschaltung des Netzes. Auf diese Weise wollten die Behörden organisierte Proteste verhindern. Auch am Wahltag kam es wieder zu zahlreichen Festnahmen, darunter ein Team des kremlkritischen russischen Internetfernsehkanals Doschd.

Gepanzerte Fahrzeuge in Minsk

Die Lage in der weißrussischen Hauptstadt war den ganzen Wahltag über angespannt. In ganz Minsk waren Polizeipatrouillen zu sehen, Regierungsgebäude wurden mit Metallbarrieren abgeriegelt. Augenzeugen berichteten der Nachrichtenagentur AFP von gepanzerten Fahrzeugen und bewaffneten Soldaten an wichtigen Zufahrtsstraßen. Außerdem wurden U-Bahn-Stationen geschlossen.

Swjatlana Zichanouskaja
AP/Sergei Grits
Die politisch unerfahrene Swetlana Tichanowskaja konnte Druck aufbauen, war aber chancenlos

Lukaschenko hatte mit dem Einsatz der Armee gedroht, sollte jemand versuchen, ihm die Macht zu entreißen. Der Staatsagentur Belta zufolge sagte er: „Es gerät nichts außer Kontrolle. Das garantiere ich.“

Gratulation aus Russland, Kritik aus der EU

Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping gratulierten als erste Staatschefs Lukaschenko zum Sieg. Die Beziehungen zwischen den beiden benachbarten „Brüdervölkern“ sollten gestärkt werden, schrieb Putin nach Kreml-Angaben am Montag in einem Glückwunschtelegramm. Auch Xi betonte, dass er die Entwicklung zwischen China und Weißrussland sehr schätze. Er wolle die umfassende strategische Partnerschaft beider Länder vorantreiben, so Xi. Auch der Präsident von Kasachstan, Kassym-Schomart Tokajew, gratulierte Lukaschenko.

Kritik kam von EU-Ratspräsident Charles Michel, der das aggressive Einschreiten der Sicherheitskräfte nach der Wahl scharf verurteilte. „Die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die grundlegenden Menschenrechte müssen gewahrt werden“, so Michel am Montag. „Gewalt gegen Demonstranten ist nicht die Antwort.“ Die EU hatte die Führung in Minsk vor der Wahl gemahnt, eine freie und faire Abstimmung zu ermöglichen. Polen und Litauen riefen in einer gemeinsamen Erklärung das Nachbarland zum Gewaltverzicht auf.