Festivalgelände in Grafenegg
Alexander Haiden
Grafenegg

Staraufgebot im Ausnahmejahr

Während die großen Massenaufläufe der Popkulturfestivals heuer ausnahmslos ausfallen, hält der Klassikbereich dagegen: Nach den Salzburger Festspielen trotzt auch das Festival von Grafenegg einem kulturellen Coronavirus-Shutdown und kann zusätzlich mit der Open-Air-Situation punkten. Mit einer größeren Stardichte denn je kann Organisator Rudolf Buchbinder punkten und bringt neben sich und den Philharmonikern ein Staraufgebot von Jonas Kaufmann bis Anna Netrebko in Stellung.

Seit 2007 ist das Schlossareal im niederösterreichischen Grafenegg unter der künstlerischen Leitung von Rudolf Buchbinder Anziehungsort hochkarätiger Konzerte. Das Land Niederösterreich hat viel investiert, um Grafenegg zum kulturellen Festivalnabel am Ende des Kultursommers zu positionieren: Eigens gebaut wurde die signifikante Open-Air-Bühne Wolkenturm, gespielt wird auch im Konzertsaal Auditorium sowie in der historischen Reitschule. Den Reiz des Festivals macht nicht zuletzt das Ambiente aus. „Kunst trifft Kulisse“, lautet das Motto.

Live aus Grafenegg:

ORF III und Myfidelio.at übertragen die Auftaktkonzerte aus Grafenegg live; am Freitag, 14.8., ab 20.15 Uhr mit Rudolf Buchbinder und dem Tonkünstler-Orchester, und am 16.8. den Auftritt von Jonas Kaufmann, ebenfalls ab 20.15 Uhr – mehr dazu in tv.ORF.at.

Der Abschluss am 6. September, wenn Buchbinder mit den Philharmonikern Beethoven spielt, ist ebenfalls in ORF III, Myfidelio und ORF.at live zu erleben.

Die Weitläufigkeit der Anlage stellt sich gerade heuer als besonderer Segen heraus. Das Festivalgelände umfasst 32 Hektar Grund und hat einen großzügigen Eingangsbereich. Gemeinsam mit der Medizinuni Wien konnte man deshalb ein Sicherheitskonzept umsetzen, das von Freitag bis 6. September einen Konzertbetrieb ohne unkalkulierbares Risiko ermöglicht – mehr dazu auch in noe.ORF.at.

Der Versuch einer „Normalität“

Aber auch die Programmierung war eine Herausforderung. Man habe hart daran gearbeitet, unter den Bedingungen der Coronavirus-Krise das Festival in gewohnter Qualität auf die Beine zu stellen, sagte Festivalleiter und Pianist Buchbinder. Er kenne viele Menschen, die sich nach Normalität sehnen würden. Normalität, das sei für Grafenegg: „außergewöhnliche Konzerte in einer ungewöhnlichen Kulisse“. Viele Programme hätten geändert, einzelne Programmpunkte auf die nächsten Jahre verschoben werden müssen.

 Rudolf Buchbinder
Rita Newman
Der künstlerische Leiter und Pianist Rudolf Buchbinder vor dem Wolkenturm – der Open-Air-Bühne Grafeneggs

Vier heimische Spitzenorchester

So konnte etwa einer der prominentesten japanischen Dirigenten, Yutaka Sado, der fix eingeplant war, wegen der coronavirusbedingten Reisebeschränkungen doch nicht kommen und musste ersetzt werden. Kurzfristig, so Buchbinder, sei jedoch etwas gelungen, was vielleicht langfristig gar nicht möglich wäre.

Er freue sich, dass heuer vier österreichische Spitzenorchester in Grafenegg gastieren würden: die Wiener Philharmoniker, die Wiener Symphoniker, das Radio Symphonieorchester und das Residenzorchester des Festivals, das Tonkünstler-Orchester. In normalen Jahren wäre es wohl schwierig gewesen, alle an einem Ort zu vereinen.

Anna Netrebko
Dario Acosta
Anna Netrebko tritt erstmals in Grafenegg auf

Netrebko als Grafenegg-Debütantin

Von den großen Stars des Festivals hob Buchbinder Gustavo Dudamel und Franz Welser-Möst hervor. Bemerkenswert seien neben großen Orchestern, Dirigentinnen und Dirigenten, sowie Instrumentalsolisten aber auch die Sängerinnen und Sänger. Buchbinder nannte als Höhepunkte die Auftritte von Jonas Kaufmann, Camilla Nylund und, zum ersten Mal in Grafenegg, Anna Netrebko mit ihrem Mann Yusif Eyvazov. Festgehalten habe man neben den Highlights auch am Programm „Composer in residence“ und – natürlich – an Veranstaltungen zum Jubiläumsjahr Ludwig van Beethovens.

Eröffnet wird das Festival mit der Uraufführung des Trompetenkonzerts „Ypsilon, A Poem for Trumpet and Orchestra in five Scenes“ der Griechin Konstantia Gourzis. Die Uraufführung des Auftragswerks dirigiert die Komponistin selbst, die auch „Composer in residence“ ist – als erste Frau in dieser Rolle. Die Liste jener Komponisten, die seit 2007 in Grafenegg residierten, liest sich wie ein Who’s who. Gleich der erste war nach der Gründung des Festivals der heuer im März verstorbene polnische Avantgardekomponist Krzysztof Penderecki.

Konstantia Gourzi
Lukas Beck
Erstmals ist eine Frau „Composer in residence“: Die Griechin Konstantia Gourzis

Beethoven und ein frommer Wunsch zur Coronavirus-Zeit

Beim Eröffnungsabend wird auch gleich Beethoven vom Tonkünstler-Orchester gewürdigt. Gespielt werden die Ouvertüre zum Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ und das „Tripelkonzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56“. Das Thema des Prometheus-Balletts wirkt angesichts des Coronavirus und seiner militanten Leugner und wirrer Verschwörungstheoretiker wie ein frommer Wunsch im passenden Moment. Ein Zeitgenosse fasste es nach der Uraufführung 1801 (die dem Publikum übrigens nicht so recht gefallen wollte) so zusammen: „Prometheus entreißt die Menschen seiner Zeit der Unwissenheit, verfeinert sie durch Wissenschaft und Kunst und erhebt sie zur Sittlichkeit.“

Buchbinder, der beim Festival selbst einige Male als Pianist auftritt, scheint jedenfalls rundum glücklich und fasst zusammen: „Wir haben es – trotz vieler Kompromisse – geschafft, ein wunderbares Programm mit erstklassigen Künstlerinnen und Künstlern zusammenzustellen und zu zeigen, dass Grafenegg ein Ort der Kreativität ist, ein Festival, zu dem sich Künstler aus der ganzen Welt bekennen, aber auch ein Veranstalter mit großem Bewusstsein für die Sicherheit seines Publikums.“

Jonas Kaufmann
Julian Hargreaves/Sony Classical
Einer der Stars im Ausnahmejahr: Jonas Kaufmann

Weiterdenken bis 2070

Ganz abgesehen vom Ausnahmejahr ist heuer ein bemerkenswerter Meilenstein gelungen in Sachen Grafenegg. Der Vertrag der Schlossbesitzer, der Familie Metternich-Sandor, mit der Grafenegg Kulturbetriebsgesellschaft wurde um sage und schreibe 50 Jahre bis 2070 verlängert. Und nun soll das Gelände nicht nur um zusätzliche Flächen und Gebäude erweitert, sondern auch zum Wirtschafts-, Bildungs- und Tourismusstandort ausgebaut werden.

Kongresse, Symposien, Firmenevents und private Veranstaltungen sollen den Campus Grafenegg zur Tourismusdestination machen und das Gesamtprojekt finanziell nachhaltig absichern. Übernachtet werden kann in „Grafenegg Cottages“. Für Buchbinder ist das nach der Phase der Etablierung des Musikfestivals der logische nächste Schritt: „All das zeigt, dass Grafenegg ein Ort ist, an dem Menschen ihre Ideen, Möglichkeiten und Visionen verwirklichen können.“

Genauso sieht das die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und freut sich über die Weiterentwicklung des Prestigeprojekts: „Grafenegg ist damit ein politisches, kulturelles, touristisches und wirtschaftliches Vorzeigemodell, das den Ruf Niederösterreichs als Kulturland fördert, pflegt und in einen internationalen Kontext setzt.“