Jan Marsalek
Wirecard
Philippinen

Beamte fälschten Reisedaten von Marsalek

Im milliardenschweren Bilanzskandal beim DAX-Konzern Wirecard sollen philippinische Einwanderungsbeamte Reiseunterlagen des flüchtigen Ex-Vertriebsvorstands Jan Marsalek gefälscht haben. Ermittler in dem südostasiatischen Inselstaat empfahlen am Donnerstag, Anzeige gegen die beiden Verdächtigen zu erstatten. Die Beamten hätten falsche Einträge in die Datenbank des Immigrationsbüros eingegeben.

Marsalek wäre am 23. Juni in der Hauptstadt Manila eingetroffen und hätte die Philippinen am folgenden Tag von der Provinz Cebu aus – die auf einer anderen Insel liegt – wieder verlassen, hieß es in einer Mitteilung der nationalen Ermittlungsbehörde. Allerdings habe es am 24. Juni gar keinen Flug von Cebu nach China gegeben, wohin Marsalek angeblich gereist sein soll. Zudem seien den Angaben nicht – wie bei solchen Einträgen üblich – die Reisepassdaten des Österreichers beigefügt worden.

„Die Einträge für den 23. und 24. Juni 2020 sind beide falsch und sollten offenbar nur eine Ablenkung sein, um die Aufmerksamkeit der europäischen Behörden auf die Philippinen und nicht auf deren eigene Gerichtsbarkeit zu lenken“, so die Behörde. Seit seiner Entlassung am 22. Juni ist der Manager untergetaucht. Schon im Juli berichtete die „Financial Times“ von Unstimmigkeiten bei der „Einreise“ von Marsalek.

Der philippinische Justizminister Menardo Guevarra sagte gegenüber dem Medium, dass man anhand von Videoaufnahmen, Listen von Fluggesellschaften und anderen Aufzeichnungen festgestellt habe, dass Marsalek nicht in die Philippinen eingereist war. Man habe Ermittlungen gegen jene Personen eingeleitet, die offenbar die Reisedaten gefälscht haben. Guevarra bestätigte auch den Tod eines deutschen Managers in Manila, dessen Verbindungen zu dem Skandal Teil der Ermittlungen sind. Der 45-Jährige soll Ex-Asienchef von Wirecard und ein enger Vertrauter Marsaleks gewesen sein.

„Aktenzeichen XY … ungelöst“

Insgesamt fehlen bei Wirecard 1,9 Milliarden Euro, die der Konzern in seiner Jahresbilanz 2019 auf der Habenseite verbuchen wollte – das Ergebnis wahrscheinlich nicht existierender Luftgeschäfte mit Subunternehmern in Südostasien und im Nahen Osten. Das vermisste Geld sollte sich eigentlich auf philippinischen Treuhandkonten befinden. Im Juni stellte sich dann heraus, dass weder die Milliarden noch die Treuhandkonten existierten.

Marsalek wird verdächtigt, zusammen mit anderen Beschuldigten die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen des Zahlungsdienstleisters durch Scheingeschäfte aufgebläht zu haben, um so das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen. Die Ermittler verdächtigen ihn des besonders schweren Falls der Untreue und des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Banken und Investoren über drei Milliarden Euro verloren haben könnten.

Wirecard-Hauptquartier in München
AP/Matthias Schrader
Der Bilanzskandal von Wirecard beschäftigt die Ermittler und Ermittlerinnen seit Wochen

Im Bilanzskandal bei Wirecard fahndet das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) öffentlich nach Marsalek. Der Österreicher war bis Juni 2020 Vorstandsmitglied bei Wirecard. Der Fall wurde nun Thema bei der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“. „Aufgrund der derzeitigen Ermittlungsergebnisse wird ein Aufenthaltsort des Gesuchten im Ausland für sehr wahrscheinlich gehalten“, teilte das BKA am Mittwoch in Wiesbaden mit.

Russland, Weißrussland, Philippinen

Laut dem „Handelsblatt“ von Ende Juni soll sich Marsalek zuletzt unter Aufsicht des russischen Militärgeheimdienstes GRU auf einem Anwesen westlich von Moskau aufgehalten haben. Bereits zuvor hatten der „Spiegel“, Bellingcat und The Insider mit Verweis auf eine Datenbank von russischen Grenzbehörden berichtet, dass der Österreicher am 18. Juni nach Weißrussland eingereist sei. Die Rede war von einem Privatjet, der an diesem Tag aus Klagenfurt via Tallinn nach Minsk geflogen sei.

Bestätigungen für diese Medienberichte fehlen einstweilen. Zu den gefälschten Reisedaten auf den Philippinen schrieb der Bellingcat-Autor Christo Grozev bereits im Juli: „Hätte der (für Grenzübertritte verantwortliche russische Geheimdienst, Anm.) FSB die eigene Datenbank verändert, um Marsalek zu schützen, wäre das noch eine größere Geschichte, als ihn zu finden.“

Wirecard verlässt DAX-Familie noch im August

Die Deutsche Börse hat nun angesichts der Insolvenz des DAX-Mitglieds Wirecard ihr Regelwerk nach einer Konsultation von Marktteilnehmern überarbeitet. Gemäß den neuen Regeln werden insolvente Unternehmen nun mit einer Frist von zwei Handelstagen aus den DAX-Auswahlindizes (DAX, MDAX, SDAX und TecDAX) herausgenommen, teilte die Deutsche Börse am Mittwochabend mit. Die von der Index-Tochter Stoxx Ltd. beschlossene Regeländerung trete am Donnerstag kommender Woche in Kraft.

Die sich daraus aktuell ergebenden Veränderungen in der Zusammensetzung von DAX und TecDAX werden entsprechend am selben Abend nach 22.00 Uhr bekanntgegeben und nach Börsenschluss am Freitag, 21. August, umgesetzt. Grundlage der Berechnung seien die Rangliste vom 31. Juli sowie weitere Vorgaben aus dem Regelwerk.

Erwartet wird von Index-Fachleuten bereits, dass der Onlineessenslieferant Delivery Hero den Platz der in einen Bilanzskandal verstrickten und inzwischen zahlungsunfähigen Wirecard einnehmen wird. Chancen wurden aber auch dem Duftstoff- und Aromenhersteller Symrise eingeräumt. Im Technologiewerte-Index TecDAX gelten die beiden Unternehmen LPKF und Stratec als die Favoriten für den frei werdenden Platz des Zahlungsabwicklers.