Kaum Menschen im Einkaufszentrum
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Pandemiefolgen

Nichts mehr wie früher in New York

Mit mehr als 23.600 Toten und 230.000 bestätigten Fällen ist New York die bisher am stärksten vom Coronavirus betroffene westliche Metropole. Das Stadtbild hat sich entsprechend geändert – so leer wie derzeit war es selten zuvor. Wer konnte, hat New York verlassen, Bürotürme sind verwaist, der Tourismus ist nicht mehr existent. Die Folgen dürften prägender sein als jene nach 9/11 und der Finanzkrise.

New York teilt das Schicksal der Auswirkungen der Pandemie mit Städten aus aller Welt, gerade hier aber, in der Metropole des Kapitalismus und der Schnelllebigkeit, sind diese besonders merklich – in vielerlei Hinsicht. Während etwa in Europa zumindest noch ein geringer Prozentsatz von Städtebesuchen registriert wird, gilt das hier nicht. Hauptgrund sind die Reisebeschränkungen: Nicht nur internationale Besucher, auch US-Bürger und -Bürgerinnen aus über 30 Bundesstaaten müssen sich nach Ankunft, sofern diese überhaupt gestattet wird, 14 Tage in Quarantäne begeben.

Die Anreize, sich das anzutun, sind enden wollend: Kulturelle Aktivitäten sind kaum möglich, Kinos, der Broadway und die meisten Museen sind geschlossen. Restaurants ist großteils nur ein Outdoor-Betrieb gestattet, Alkohol wird auch in Bars lediglich dann ausgeschenkt, wenn Essen dazu bestellt wird. Das Gefühl, sich in einer immerzu lebendigen Stadt zu befinden, ist nicht mehr spürbar.

Eine Infotafel in New Yorker Straße warnt vor Corona
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New York wurde in diesem Jahrhundert schon zum dritten Mal im Mark erschüttert

Massenbewegung aus der Stadt

Zwar hat New York, nach Beispiel anderer Städte und Länder, eine Initiative zur Belebung des Inlandstourismus lanciert, doch große Sprünge sind davon nicht zu erwarten. Angaben der Marketing- und Tourismusorganisation NYC & Company zufolge besuchten im Vorjahr 65 Millionen Menschen die Stadt. Ungefähr 13,5 Millionen von ihnen kamen aus dem Ausland – ein neuer Rekord, wie das Onlinemagazin New York Aktuell berichtete. Internationale Gäste gaben pro Besuch fast viermal so viel aus wie jene aus dem Inland.

Deutliche Spuren hinterließ die Pandemie auch auf dem New Yorker Immobilienmarkt. Fast eine halbe Million Menschen haben seit März die Stadt verlassen, wie viele von ihnen zurückkommen, ist unklar. Jahrzehntelang boomte der Markt, besonders im Herzstück der Stadt, Manhattan. Selbst die Anschläge vom 11. September 2001 und die Finanzkrise ab 2008 führten nur temporär zu geringen Preisrückgängen.

Wirtschaft liegt am Boden

Diesmal scheint das anders, wie New York Aktuell schrieb: Einem Bericht der Immobilienbewertungsfirma Miller Samuel zufolge fiel die Anzahl von Wohnungsverkäufen in Manhattan im zweiten Quartal um 54 Prozent – der größte Rückgang seit 30 Jahren. Der Wirtschaft geht es so schlecht wie seit den 1970er Jahren nicht mehr, als die Stadt kurz vor dem Bankrott stand. Wie damals verzeichnet New York auch jetzt eine Zunahme der Schusswaffenkriminalität, schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) Anfang August.

Kaum Menschen vor der Wall Street in New York
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Selbst im sonst so hektischen Manhattan herrscht seit Monaten Leere

Über 2.800 Unternehmen in New York City haben seit Anfang März dauerhaft geschlossen, wie eine Studie des Bewertungsportals Yelp ergab. Damit einher ging die Vernichtung von über 500.000 Arbeitsplätzen, berichtete das „Handelsblatt“. Die Arbeitslosenquote in der Stadt liegt bei 18,3 Prozent und ist damit mehr als viermal so hoch wie vor der Krise. Die Organisation Partnership for New York City, die die Interessen der großen Unternehmen der Stadt vertritt, rechnet damit, dass dauerhaft jeder Dritte der insgesamt 240.000 Mittelständler permanent schließen wird.

Sehnsucht nach Ländlichkeit

Die Pandemie befeuert einen Trend, der sich schon zuvor abzeichnete: „Die Amerikaner ziehen seit vier bis fünf Jahren wieder weg aus den Mega-Metropolen“, zitierte das „Handelsblatt“ den Demografen William Frey vom Thinktank Brookings. „Sie ziehen nicht unbedingt aufs Land, aber in kleinere Metropolen oder in die Suburbs.“ Höhere Lebensqualität und niedrigere Immobilienpreise sind die Hauptgründe. Gerade Familien sehnen sich nach mehr Platz und suchen Wohnraum außerhalb der Großstädte, vielfach werden auch die Bundesstaaten gewechselt. „Wir beobachten Migrationen von den Küsten ins Landesinnere: von Kalifornien nach Utah, Arizona oder Nevada. Von der Ostküste nach Virginia, Georgia oder auch Tennessee“, so Frey.

Entscheidend für die Entwicklung ist freilich auch die Möglichkeit, beziehungsweise die Verpflichtung, von zu Hause aus zu arbeiten. Einer Studie von Partnership for New York City zufolge würden nur „etwa zehn Prozent der Beschäftigten diesen Sommer in Büros in Manhattan zurückkommen und etwa 40 Prozent zum Ende des Jahres“. Das Homeoffice verstärkt einerseits den Wunsch nach mehr Platz im eigenen Zuhause und macht es anderseits obsolet, in der Nähe des Arbeitsplatzes zu wohnen.

Haus zum Kaufen außerhalb von New York
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Ein Leben fernab der Großstädte ist zunehmend das Ziel

Gewinner der Krise

„Es gibt definitiv einen Exodus von jungen Familien“, sagte Alison Bernstein vom Immobilienmakler Suburban Jungle, der sich auf New Yorker und New Yorkerinnen spezialisiert hat, die aus der Stadt wegziehen wollen. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, so Bernstein, die ihre Firma vor 16 Jahren gegründet hat. Der Umsatz stieg zuletzt um 500 Prozent.

Sie zählt zu den wenigen Gewinnern der Krise – ebenso wie Umzugsunternehmen. „Im Mai wurde es verrückt. Und das ist es bis heute geblieben. Der Sommer zählt immer zu den arbeitsintensivsten Monaten, aber dieses Jahr ist es eindeutig anders“, zitierte die „New York Times“ die renommierte Umzugsagentur Flatbush Moving Van Company.

Ob die Flucht aus der Metropole nur ein vorübergehendes Phänomen ist und sich – wie das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ kürzlich schrieb – Widerstandskraft einmal mehr als das Markenzeichen von New York City herausstellen wird, steht in den Sternen. „Das hängt von vielen Faktoren ab: vom Impfstoff bis hin zur Immigrationspolitik, von der Städte wie Los Angeles und New York immer profitiert haben“, sagte Demograf Frey. Die Prognosen für die weltweit wohl bekannteste Stadt sind so vielfältig wie die dortigen Auswirkungen der Pandemie.