Demonstration in Minsk
AP/Sergei Grits
Gewalt in Weißrussland

EU-Minister ebnen Weg für neue Sanktionen

Die EU bringt wegen der Polizeigewalt in Weißrussland neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Alexander Lukaschenko auf den Weg. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.

Dabei soll es um Einreisesperren und die Beschlagnahme von Konten geben. Zudem wolle die EU einen Fonds einrichten, der die weißrussische Zivilgesellschaft unterstützen soll, hieß es nach Angaben von Diplomaten. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) soll nun eine Liste mit Personen zusammenstellen, gegen die sich die Sanktionen richten.

Das außerplanmäßige virtuelle Treffen der 27 EU-Außenminister war angesichts der Entwicklungen nach der umstrittenen Präsidentenwahl kurzfristig anberaumt worden. Dabei zeigten sich die EU-27 „extrem besorgt über die Gewalteskalation nach den Präsidentenwahlen“, wie das österreichische Außenministerium gegenüber der APA erklärte. „Es wurde vereinbart, mit der Vorbereitung gezielter Sanktionen gegen die für die Wahlfälschungen und Gewalt gegen friedliche Demonstranten verantwortlichen Personen zu beginnen.“

Schallenberg: „Rote Linien überschritten“

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte bereits am Donnerstag Sanktionen in den Raum gestellt, sollte Weißrussland zentrale Forderungen nicht erfüllen. Er forderte von den weißrussischen Behörden konkret ein Ende der Gewalt sowie die Freilassung der willkürlich festgenommenen Demonstranten und Journalisten, die Aufhebung der Internetblockade und einen umfassenden innerstaatlichen Dialog. Freitagnachmittag – wenige Stunden vor der Videokonferez – sagte Schallenberg allerdings auch, dass er und seine Amtskollegen bei dem virtuellen Treffen nicht über Sanktionen sprechen würden.

Im Interview in der ZIB2 wies der Außenminister dann am Abend darauf hin, dass die EU-Staaten eine „sehr klare Linie und Sprache“ gefunden hätten. „Was es jetzt braucht, ist – einen breiten inklusiven nationalen Dialog, an dessen Ende eventuell auch wieder Neuwahlen stehen können. Es ist ganz klar, dass die Legitimität von Präsident Lukaschenko jetzt gelitten hat“, so Schallenberg. „Die Wahlen waren eindeutig eine Farce, nicht wahr und nicht fair“, so Schallenberg. Die Nachrichten aus dem Land seien „erschreckend“. Es seien „eindeutig rote Linien überschritten“ worden.

Zugleich strich der Außenminister aber hervor, dass Lukaschenko in der Vergangenheit „sehr wichtige Sachen gemacht“ habe – etwa im Ukraine-Konflikt ausgleichend gewirkt. „Und es war unser Ansinnen und ist es weiterhin, dass wir Belarus eher in unsere Richtung bringen. Dass wir dort eine Situation erzeugen und mithelfen zu erzeugen, wo dann letztlich europäische Standards und Werte Platz greifen können“, so Schallenberg.

EU-Kommissionspräsidentin forderte Konsequenzen

Sowohl die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschlands Außenminister Heiko Maas als auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten vor den Beratungen und nach der Niederschlagung von Protesten in Weißrussland Konsequenzen gefordert. „Wir brauchen zusätzliche Sanktionen gegen die, die demokratische Werte und Menschenrechte in Belarus verletzt haben“, twitterte von der Leyen.

Polizisten und Demonstranten in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Am Freitag protestieren erneut zahlreiche Menschen in Weißrussland

Lukaschenko und seinen Unterstützern wird von der EU vorgeworfen, die Wahl am vergangenen Sonntag zu seinen Gunsten manipuliert zu haben und die Versammlungs-, Medien- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Er soll nach offiziellen Angaben die Abstimmung mit mehr als 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben. Die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja nimmt aber einen Sieg für sich in Anspruch.

Opposition: Neue Sanktionen kommen zu früh

Die Opposition in Weißrussland sieht unterdessen die neuen Sanktionen der EU skeptisch. Die Zeit sei noch nicht reif dafür, sagte Maria Kolesnikowa vom Wahlkampfstab Tichanowskajas der deutschen Zeitung „Welt am Sonntag“.„Wirtschaftssanktionen würden sowieso vor allem die einfachen Menschen in Belarus treffen, das hat die Vergangenheit gezeigt.“

Auch Strafmaßnahmen gegen einzelne Personen hält die 38-Jährige im Moment für nicht sinnvoll. Ihrer Ansicht nach werden Sanktionen gegen bestimmte Politiker und Regierungsvertreter die Chancen der EU, aber auch die der Opposition in Weißrussland auf einen Dialog mit den Behörden verschlechtern. „Wir suchen schon seit Tagen einen effektiven Dialog mit der Regierung, aber wir haben noch keine Antwort erhalten“, sagte sie.

Baltische Staaten rufen zu Neuwahlen auf

Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen riefen Lukaschenko zu Neuwahlen auf. Unter Beteiligung internationaler Beobachter sollte auf transparente Weise eine freie und faire Präsidentschaftswahl durchgeführt werden, hieß es am Samstag in einer gemeinsamen Erklärung der Regierungschefs der drei EU-Länder im Nordosten Europas. Die Ministerpräsidenten Jüri Ratas (Estland), Krisjanis Karins (Lettland) und Saulius Skvernelis (Litauen) forderten die Führung zu Minsk zudem zum Gewaltverzicht und zur Freilassung inhaftierter Demonstranten auf.

Freigelassene berichten von Misshandlungen

Bei Protesten kam es in den vergangenen Tagen zu rund 7.000 Festnahmen, die Sicherheitskräfte gingen brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vor. 2.000 Gefangene wurden – auch auf Druck der EU – am Freitag wieder freigelassen. Sie berichteten von teils schweren Misshandlungen. Nach Angaben von Journalistenverbänden wurden seit dem Wahlsonntag auch etwa 70 Journalisten festgenommen.

Die Proteste gegen Gewalt und Polizeiwillkür weiteten sich am Freitag auch noch einmal aus. Aus Unmut über Lukaschenko wurde in immer mehr Staatsbetrieben gestreikt. In vielen Städten bildeten Demonstranten lange Menschenketten. Auch in Wien gingen mehrere hundert Menschen gegen die Polizeigewalt in Weißrussland und Lukaschenko auf die Straße.

Auf Bildern aus der weißrussischen Hauptstadt Minsk war zu sehen, wie Soldaten am Regierungssitz ihre Schilde aus Solidarität mit den Menschen senkten. Frauen schenkten ihnen Blumen. Auf Plakaten stand etwa „Wir sind nicht 20 Menschen, wir sind 16.000.“ Die Kundgebung endete am Abend. Danach hielten sich weiter Tausende Demonstranten im Zentrum auf. Viele leuchteten mit ihren Handykameras. Vor der Zentrale des Geheimdienstes KGB stellten Menschen Kerzen auf und legten Blumen nieder. Beobachtern zufolge hielt sich die Polizei am Abend zunächst zurück – wie bereits tagsüber und am Donnerstag. Allerdings war das Internet erneut gestört.

Erneut Aufruf zum Dialog

Tichanowskaja rief aus ihrem Exil im EU-Land Litauen zu neuen friedlichen Massenaktionen auf. „Lasst uns zusammen unsere Stimmen verteidigen“, sagte sie in einer über Soziale Netzwerke verbreiteten Videobotschaft. Am Samstag und am Sonntag sollten sich die Menschen in allen Städten des Landes zu friedlichen Massenversammlungen zusammenfinden. Zugleich forderte sie den Machtapparat auf, die Gewalt gegen die Bürger zu beenden und den Dialog zu beginnen.

Demonstrant küsst Polizisten in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Die Opposition rief am Freitag erneut zu friedlichen Protesten auf

Der weißrussische Präsident selbst reagierte auf Spekulationen, er habe das Land bereits verlassen: „Fürs Erste: Ich bin noch am Leben und nicht im Ausland.“ Zudem warnte er vor Arbeitsniederlegungen. „Wenn wir aufhören zu arbeiten, werden wir die Produktion nie wiederherstellen können“, sagte er. Erneut machte er am Freitagabend das Ausland für die Proteste verantwortlich.

Nach Einschätzung von Beobachtern könnte ein flächendeckender Streik in den Betrieben Lukaschenko zu Fall bringen. Es mehren sich Stimmen von Experten, die meinen, dass seine Tage im Amt gezählt sein könnten. Innenminister Juri Karajew hatte sich im Staatsfernsehen bei den Bürgern für die Festnahme vieler Unschuldiger entschuldigt – auch das gilt in dem autoritär geführten Land als ungewöhnlich.

Bestehende Sanktionen 2016 großteils ausgelaufen

Die EU hatte zuletzt im Februar 2016 ungeachtet der Kritik von Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Sanktionen gegen den Machtapparat von Lukaschenko auslaufen lassen. Lediglich ein bestehendes Waffenembargo sowie Strafmaßnahmen gegen vier Weißrussen, die am Verschwinden von Regimegegnern beteiligt gewesen sein sollen, wurden zuletzt noch aufrechterhalten.

Für Lukaschenko, 169 Gefolgsleute sowie drei Unternehmen bedeutete die EU-Entscheidung damals, dass von ihnen vorhandene Vermögen in der EU nicht mehr gesperrt werden konnten. Zudem wurden für sie sämtliche Reise- und Geschäftsbeschränkungen aufgehoben. Als einen Grund für die Lockerung der Sanktionen nannte die EU damals die Freilassung politischer Gefangener sowie die gewaltfrei verlaufene Präsidentenwahl im Jahr 2015.