Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko
Reuters
Weißrussland

Lukaschenko stellt Bedingung für Neuwahl

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko ist nach den tagelangen Protesten gegen seinen Amtsverbleib nach eigenen Worten zu weitgehenden Zugeständnissen bereit. Die Nachrichtenagentur RIA berichtet, Lukaschenko stimme Neuwahlen zu, sobald eine neue Verfassung in Kraft sei. Zuvor hatte der Staatschef das vehement abgelehnt.

„Wir brauchen eine neue Verfassung“, sagte Lukaschenko dem staatlichen Rundfunk zufolge, der am Montag einen entsprechenden Ausschnitt zeigte. „Dazu müssen wir aber ein Referendum abhalten.“ Erst mit einer neuen Verfassung könnte es, falls gewünscht, neue Abstimmungen für den Posten des Präsidenten, des Parlaments und andere wichtige Ämter geben. Auf Basis von Protesten auf der Straße sei er aber nicht zu Änderungen und Kompromissen bereit.

Zu Wochenbeginn traten Arbeiter in vielen Staatsbetrieben in den Streik. Die Fabriken gelten in der Ex-Sowjetrepublik als elementar für das Funktionieren des Staates. Experten gehen davon aus, dass Lukaschenko über die Arbeitsniederlegungen nach 26 Jahren an der Macht am schnellsten zum Aufgeben gedrängt werden könnte.

Belta meldete allerdings am Montag, dass die Werke im Land „im Großen und Ganzen funktionieren“. Lukaschenko sagte: „Diejenigen, die arbeiten wollen, sollen arbeiten. Wenn nicht, dann werden wir sie auch nicht dazu zwingen.“ Wenn 150 oder sogar 200 Menschen streikten, dann habe das keinen Einfluss auf den Betrieb.

Empfang mit „Hau ab“

Lukaschenko landete am Vormittag per Hubschrauber auf dem Werksgelände des Traktorenwerks MZKT in Minsk. Während einer Rede dort riefen ihm die Beschäftigten „Hau ab“ entgegen, wie in Videos zu sehen war. Im Messengerdienst Telegram gab es Aufnahmen von Versammlungen in Betrieben und von Arbeiterinnen und Arbeitern, die ihre Fabriken verlassen hatten und auf der Straße demonstrierten.

Demonstration bei Traktorfabrik in Minsk
AP/Sergei Grits
Demonstration bei einer Traktorfabrik in Minsk

Auch das staaliche Fernsehen hatte am Montag Sendeprobleme, weil Mitarbeiter entweder streikten oder prominente Moderatoren gekündigt hatten. Mehrere hundert Demonstrantinnen und Demonstranten, darunter viele Fabriksarbeiter, folgten einem Aufruf der Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa und versammelten sich vor dem Sitz des staatlichen Fernsehens, bewacht von Einheiten der Sicherheitspolizei. Der Kali-Produzent Belaruskali stellte seine Arbeit teilweise ein, wie russische Nachrichtenagenturen meldeten.

EU kündigt Sondergipfel an

Angesichts der Massenproteste setzte EU-Ratschef Charles Michel für Mittwoch einen Gipfel (per Videokonferenz) an. Die Menschen in Weißrussland hätten das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden und ihre Führung frei zu wählen, schrieb Michel am Montag auf Twitter. Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten sei inakzeptabel.

Lukaschenko hatte sich zum sechsten Mal in Folge mit rund 80 Prozent der Stimmen zum Wahlsieger ausrufen lassen. Zahlreiche Bürger und ausländische Beobachter zweifeln das Ergebnis allerdings an und halten Swetlana Tichanowskaja für die eigentliche Gewinnerin. Bei den Protesten gab es Tausende Festnahmen. Laut der Staatsanwaltschaft in Minsk sind inzwischen „praktisch“ alle der rund 7.000 Betroffenen wieder frei.

Größte Demonstrationen bisher

Die EU hatte wegen der Gewalt gegen die Proteste im Land bereits am Freitag mit neuen Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos reagiert. Außerdem sollen Strafmaßnahmen gegen Personen verhängt werden, denen eine Fälschung der Präsidentenwahl am vorvergangenen Sonntag vorgeworfen wird, wie die Außenminister der 27 Staaten einstimmig entschieden. „Die EU akzeptiert die Wahlergebnisse nicht“, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach den Ministerberatungen mit. Man arbeite nun daran, diejenigen zu sanktionieren, die für Gewalt und Fälschungen verantwortlich seien.

Mann bei einer Demonstration in Weißrussland
AP/Sergei Grits
Lautstarke Rufe nach Abgang Lukaschenkos

Nachdem am Sonntag mit dem „Marsch der Freiheit“ die bisher größten Demonstrationen gegen Lukaschenko stattgefunden hatten, will die Opposition nun den Druck weiter erhöhen. Sie forderte am Montag die Bevölkerung zum Generalstreik auf. Oppositionskandidatin Tichanowskaja rief außerdem die Sicherheitskräfte des Landes zum Seitenwechsel auf.

Die 37-Jährige richtete sich erneut in einer Videobotschaft von Litauen aus an ihre Unterstützerinnen und Unterstützer in der Heimat. Darin betonte sie, dass sie bereit sei, „Verantwortung zu übernehmen und als nationale Führerin zu handeln“. Tichanowskaja sagte, dass sie nie vorgehabt habe, „Politikerin zu sein“. Doch habe das Schicksal dazu geführt, „dass ich mich an der Frontlinie einer Konfrontation gegen Willkürherrschaft und Ungerechtigkeit wiederfinde“. Sie forderte zudem die Freilassung aller politischen Gefangenen.

London erkennt Wahlergebnis nicht an

Großbritannien sagte, dass es das amtliche Ergebnis der Abstimmung nicht anerkenne. Das Vereinigte Königreich „akzeptiert die Ergebnisse nicht“, sagte Außenminister Dominic Raab am Montag. Er sprach von „Betrug“ und „schweren Mängeln“ und kritisierte die Unterdrückung der friedlichen Proteste nach der Wahl. Er drohte, gemeinsam mit anderen Ländern Sanktionen zu beschließen.

Lukaschenko hatte am Sonntag seine Anhängerinnen und Anhänger mobilisiert und betont, dass er die Macht nicht aufgeben werde. Seine Veranstaltung wurde allerdings von den Großdemonstrationen der Opposition überschattet. In vielen Medien war vom größten Protest in der Geschichte Weißrusslands die Rede, die Zahl der Demonstrantinnen und Demonstranten wurde mit mindestens 100.000 angegeben.

„26 Jahre Alptraum müssen enden“

Die Protestbewegung hatte eine 100 Meter lange weißrussische Flagge durch Minsk getragen. Die von Lukaschenko abgeschaffte Flagge der Nachwendezeit gilt als Symbol der Opposition im Land. „Wir werden keine Ruhe geben, bis die gegenwärtigen Machthaber zurückgetreten sind und Belarus ein freies Land wird“, sagte die Oppositionelle Kolesnikowa in Minsk. „26 Jahre Alptraum müssen enden.“ Die Polizei schritt – anders als in der vergangenen Woche – nicht ein.

Zehntausende bei Demos in Weißrussland

In Weißrussland kam es erneut zu Massenprotesten. Zehntausende Anhänger der Opposition nahmen am „Marsch der Freiheit“ teil und forderten den Rücktritt des Präsidenten.

Sorge vor Militärmanöver an Grenze zu Polen

Aktuell baut Lukaschenko noch auf den Rückhalt der Sicherheitskräfte. Zuletzt ordnete er die Verlegung von Fallschirmjägern nach Grodno im Westen des Landes an. Er wies außerdem das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie den Geheimdienst KGB an, keine „ungesetzlichen Aktionen“ im Land zuzulassen. Er wandte sich weiters an die Schutzmacht Russland. Am Sonntag hieß es aus Moskau, dass Präsident Wladimir Putin Lukaschenko militärische Hilfe zugesagt habe.

In Polen und Litauen sorgten am Montag begonnene dreitägige Manöver des weißrussischen Militärs an der Grenze für Sorge. Polens Verteidigungsminister Wojciech Skurkiewicz betonte, man werde das Manöver an der Grenze genau beobachten. „Wie alle NATO-Staaten beobachten wir, was in Weißrussland und an unserer Grenze passiert. Wir werden nicht passiv sein“, so Skurkiewicz.

Litauens Verteidigungsminister Raimundas Karoblis warf der Führung des Nachbarlandes vor, eine Eskalation der derzeitigen Spannungen herbeiführen zu wollen. Die weißrussische Führung versuche, „ein Narrativ der sogenannten ausländischen Bedrohung zu entwickeln“, sagte Karoblis. Estland forderte eine Sitzung des UNO-Sicherheitsrats zur Lage in Weißrussland wegen der „potenziellen Gefahr“ für die internationale Sicherheit.

NATO will „weiterhin wachsam“ sein

Die NATO bekräftigte unterdessen die Bereitschaft, ihre Mitglieder in Osteuropa zu verteidigen. Das Bündnis werde „weiterhin wachsam“ bleiben, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Die Allianz sei „bereit, jegliche Aggression gegen NATO-Verbündete abzuschrecken“, verhalte sich dabei aber „streng defensiv“. Erneut wies Stoltenberg Behauptungen Lukaschenkos zurück, die NATO habe an den Grenzen des Landes Truppen zusammengezogen. US-Präsident Donald Trump erklärte, er verfolge die Ereignisse in Weißrussland „sehr genau“ und sprach von einer „schrecklichen Situation“.