Häuser in Amsterdam spiegeln sich in Gewässer
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Warnungen ignoriert

Amsterdam rutscht langsam ins Wasser

Die Brücken sind brüchig, das Mauerwerk der Kanäle marode und die Straßen löchrig. Das Fundament der niederländischen Touristenhochburg Amsterdam droht langsam ins Wasser zu rutschen. Weil Warnungen und Sanierungsaufrufe über Jahrzehnte ignoriert wurden, steht die Stadt nun vor kostspieligen infrastrukturellen Herausforderungen.

Dass Amsterdam auf wackeligem Boden steht, ist keine Überraschung – bereits in einem alten niederländischen Kinderlied heißt es: „Amsterdam, die schöne Stadt, ist gebaut auf Pfählen. Wenn die Stadt zusammenfiele, wer soll das dann bezahlen?“ Tatsächlich konnten die Häuser und Straßen der Stadt vom 13. bis ins 16. Jahrhundert nur mit Hilfe hölzerner Pfähle auf den sumpfigen Untergrund – die Provinz Holland galt bis dahin als schlecht zu besiedeln – gebaut werden. Auch die für Amsterdam charakteristischen Grachten wurden in den weichen Boden gemauert.

„Weil viele dieser Strukturen jetzt über 500 Jahre alt sind, ist es unausweichlich, dass viele davon ab und an geprüft werden müssen“, schreibt CNN. Nur, von der Stadtregierung scheint das in den vergangenen Jahren verabsäumt worden zu sein. „Seit Jahren wird zu wenig in die Instandhaltung von Brücken und Kais investiert. Seit den 1980er Jahren wurden konsequent Kürzungen vorgenommen“, schreibt die niederländische Tageszeitung „Het Parool“.

Loch in Straße in Amsterdam
Gemeente Amsterdam
Entlang der Grachten tun sich immer wieder Löcher auf

„Systematische Vernachlässigung“

„Schockiert“ über die „systematische Vernachlässigung“ der Brücken und Kanäle zeigte sich auch die für Verkehr und Transport zuständige Stadträtin Sharon Dijksma. Bereits im Vorjahr plante die Stadt deshalb, 300 Millionen Euro in die Reparatur von Kanalmauern und Brücken zu investieren. Nachdem mehrere Mauern eingefallen waren, gab Dijksma zudem einen unabhängigen Bericht über den Zustand der mehr als 1.700 Brücken und des Mauerwerks der mehrere hundert kilometerlangen Grachten in Auftrag.

„Wir wussten bereits, dass es ernsthafte Versäumnisse gab, aber die neuesten Forschungsergebnisse sind enttäuschend“, so die Stadträtin im Juli laut „Het Parool“. Nach der Untersuchung der ersten achtzig Abschnitte der Kaimauern zeigte sich, dass alle erneuert werden müssen. Priorität haben Dijksma zufolge vor allem jene, die sich in der Nähe alter Wasser- und Gasleitungen befinden. Auch die Gefahr einer Absenkung des Bodens ist durch den schlechten Zustand der Wände erhöht.

Absicherung eines beschädigten Hauses
Gemeente Amsterdam
Der Zustand der Kanalmauern ist an mehreren Stellen der Stadt prekär

Wenig Transparenz

Prekär scheint überdies die Verfassung der Brücken zu sein – CNN zufolge sind zumindest sechs teilweise oder vollständig gesperrt, viele weitere haben Sanierungsbedarf. Bis 2023 sollen 27 Brücken renoviert sowie mehrere Kilometer an Kaimauern entweder ausgetauscht oder erneuert werden. „Wo notwendig, könnten Bäume gefällt, Parkplätze entfernt sowie Straßen für Schwertransporter gesperrt werden. Und fortan werden 22,5 Millionen Euro pro Jahr für Instandhaltungsarbeiten verfügbar gemacht“, schreibt CNN.

Um den Zustand der Mauern und Brücken zu prüfen, macht die Stadt Gebrauch von Messbolzen, die strukturelle Bewegungen verzeichnen, aber auch von innovativen Methoden wie Satellitendaten und 3-D-Scans. Verkompliziert wird die Instandhaltung der Strukturen einerseits von dem sehr begrenzten Platz für Reparaturarbeiten in den engen Gassen der Stadt sowie andererseits durch die zahlreichen Hausboote in den Kanälen.

Einsturzgefährdete Brücke in Amsterdam
Gemeente Amsterdam
Dutzende Brücken müssen in den kommenden Jahren erneuert werden

„Das Management der Kaimauern und Brücken hinkte in den vergangenen Jahrzehnten hinterher, weil ihm nicht die politische Priorität zugekommen ist, die es verdient, und es ist kein sexy Thema“, so die Stadträtin auch. „Wenn rasches Handeln notwendig ist, warten wir nicht lange auf Ergebnisse umfassender Forschung“, sagte Albert Jongsma, Projektmanager für Kaimauern und Brücken in Amsterdam. Wann und ob das notwendig ist, wird laut Jongsma anhand von Skizzen sowie der Überprüfung der Beschaffenheit von Holz und Mauern entschieden.

Fehlendes Geld und fehlendes Wissen

Gründe für die allgemein schlechte Verfassung der Infrastruktur gibt es „Het Parool“ zufolge einige: Nachdem die Problematik in den 2000er Jahren wieder aufs Tapet gebracht worden war, stellte der damals zuständige Stadtrat Mark van der Horst fest, dass es bis dahin kaum Einblick in den physischen Zustand der Stadt gegeben hat. Bis vor wenigen Jahren fehlte zudem ein zentraler Überblick über einen Großteil der betroffenen Strukturen.

„Meistens wissen nur ältere Mitarbeiter viel über den Zustand der Brücken. Bedeutende Informationen sind weder digital noch physisch zugänglich“, heißt es in einem Prüfbericht aus dem Jahr 2015. Dazu kommt, dass mit der Reparatur von brüchigen Brücken oder marodem Gemäuer meist erst dann begonnen wurde und wird, wenn sich erste Schäden wie Risse zeigen. Überhaupt fehlt für viele Sanierungen schlicht das Geld.

Neuerliche Verschärfung durch CoV befürchtet

Nicht zuletzt die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise könnten die geplanten Reparaturen nochmals verzögern. Die finanziellen Defizite der Stadt umfassen allein heuer bis zu 350 Millionen Euro. „Höhere Kosten und zusätzliche Kürzungen zum Schließen der Lücke sind unausweichlich“, heißt es bei „Het Parool“. Es sei daher undenkbar, dass gerade die ohnehin in die Jahre gekommenen Brücken und Kais ungeschoren davonkommen.

Fachleute warnten diesbezüglich, dass die Instandhaltung von Brücken und Kaimauern auch in der Vergangenheit immer wieder von Kürzungen betroffen gewesen seien. „Kürzungen bei der Instandhaltung tun am wenigsten weh. Die Politik nimmt Kunst und Kultur oder soziale Anliegen als wichtiger wahr, weil sie sichtbarer sind“, so der ehemalige Stadtrat van der Horst.

Riesige Lkws statt Pferdekutschen

„Die Stadt wurde einst für Pferde und Kutschen geschaffen, aber nun fahren riesige Lkws über dieselben Kais und Brücken“, so Dijksma. „Daran müssen wir etwas ändern, um Schäden in der Zukunft verhindern zu können.“ Eine Lösung könne ihr zufolge etwa sein, Zentren an den Außenbezirken der Stadt zu schaffen, von denen aus die Güter mit leichteren und umweltverträglicheren Transportmitteln in die Stadt gebracht werden.

Weil die Stadt die Lebensdauer seiner alten Strukturen noch für ein weiteres Jahrhundert verlängern möchte, werden auch die Instandhaltungsarbeiten nicht aufhören, so Jongsma. „Angesichts der 100-jährigen Lebensdauer (der Strukturen) müssen jährlich zwischen acht und neun Brücken sowie rund zwei Kilometer an Kaimauern erneuert werden“, sagte er weiters. „Wenn wir die Brücken und Mauern mit Sorgfalt behandeln, dann wird das in Zukunft hoffentlich weniger oft notwendig werden, und sie werden länger als 100 Jahre bestehen.“