Gesundheitsminister Rudolf Anschober.
APA/Helmut Fohringer
Lockdown

CoV und die „verschwundenen“ Krankheiten

Gesundheitsminster Rudolf Anschober (Grüne) hat am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Karin Eglau von der Gesundheit Österreich GmbH eine erste vorläufige Bilanz der Auswirkungen des Coronavirus-Lockdowns auf andere – auch akute – Erkrankungen wie etwa Herzinfarkt und deren „Verschwinden“ gezogen.

Die Evaluierung sei wichtig, da man jeden Tag Neues über das Virus und den Umgang damit lerne, um künftig Fehler zu vermeiden, so Anschober. Welche Auswirkungen es in welchen Bereichen, die sensibel seien, gegeben habe, habe die Fragestellung gelautet. Man wolle eine Situation wie im Frühjahr vermeiden, indem man daraus lerne. Deshalb gebe es auch diese Evaluierungen im Gesundheitssystem.

In Österreich sei man nie nur annähernd an die Kapazitätsgrenzen gekommen. Man habe das Gesundheitssystem offensiv gegen das Virus geschützt. Nie seien ganze Systeme zusammengebrochen, auch nicht annähernd, so Anschober über das Gesundheitssystem während des Lockdowns. Die nun vorgestellten Zahlen hätten nur eine beschränkte Aussagekraft, da sie noch nicht vollständig seien, so Anschober. Bis Jahresende solle die Gesundheitsfolgenabschätzung auf dem Tisch liegen, sagte Anschober: Man müsse schauen, wo etwas gut und wo etwas schlecht funktioniert habe.

Die österreichische Medizinerin Karin Eglau.
ORF
Karin Eglau präsentierte vorläufige Zahlen zu Erkrankungen während des Lockdowns

Ein Viertel weniger Herzinfarkte behandelt

Halbjahresdaten lägen aus den Krankenanstalten vor, so Eglau, allerdings vorerst nur für den stationären Bereich. Es handle sich auch dabei um vorläufige Daten, schränkte Eglau ein. Die Daten der Spitalsambulanzen würden im Herbst vorliegen. Die vorliegenden Daten ließen noch keine Aussagen über die gesundheitlichen Auswirkungen des Lockdowns zu. Auch qualitative Daten gebe es noch nicht.

Akut habe man sich Herzinfarkte, Schlaganfälle und Unfälle angesehen. Bei Herzinfarkten während des Lockdowns habe es eine Reduktion von rund 25 Prozent gegeben. Eine Ursache sei laut der bereits vorliegenden Literatur etwa Angst vor Infektionen in Krankenanstalten, so Eglau. Es gebe auch Hinweise, dass durch die Entscheidung, zu Hause zu bleiben, auslösende Faktoren für Herzinfarkte vermieden wurden. Das sei allerdings erst eine vorläufige Analyse. International seien Herzinfarkte um bis zu 40 Prozent zurückgegangen.

Auch 50 Prozent weniger Aufenthalte wegen Unfällen

In Sachen Schlaganfälle habe man sich alle Aufenthalte in speziellen Intensivstationen für Schlaganfälle angesehen. Hier sei es zu praktisch keiner Reduktion gekommen. International würden in der Literatur bis zu 30 Prozent weniger Fälle beschrieben. Bei Unfällen wiederum gingen die Aufenthalte im Spital um 50 Prozent zurück. Als Gründe nannte Eglau, dass riskante Sportarten im Freien weniger praktiziert worden seien. Es habe auch weniger Autounfälle wegen des Lockdowns gegeben.

Verschiebungen in Krebsdiagnostik problematisch

Auch Krebstherapien habe man sich angesehen: Hier seien die Aufenthalte um rund 20 Prozent zurückgegangen. Bei Brustkrebsoperationen setzte sich das laut Eglau auch im Mai, also nach dem Lockdown, fort. Die Zahl der Brustkrebsoperationen ging von rund 500 in Österreich im März 2020 (ähnliches Niveau wie 2019) auf etwa 350 im Mai zurück, sie steigt seither nur langsam.

Als Grund wurde genannt, dass Diagnostik und Mammografien verschoben wurden, so Eglau. Krebskranke seien der CoV-Risikogruppe zuzuordnen. Daher sei auch die Angst vor einer Ansteckung im Spital groß gewesen, so Eglau. Die Sache ist längst nicht ausgestanden. Eglau sagte, es könnten in der Folge auch Diagnosen erst in einem späteren (und gefährlicheren) Stadium der Erkrankung auffällig werden.

Die österreichische Psychotherapeutin Margot Ham-Rubisch
ORF
Margot Ham-Rubisch von der Wiener Patienten- und Patientinnenanwaltschaft

Kritik an Ambulanzen

Auch Beschwerden von Patientinnen und Patienten kamen bei der Pressekonferenz zur Sprache. Die meisten Krankenhäuser haben in den vergangenen Monaten – laut Patientenbeschwerden bis heute – ihre Ambulanzen ebenfalls drastisch reduziert. Das trifft Personen mit chronischen Erkrankungen und diffizilen therapeutischen Anforderungen genauso wie Personen, die für Diagnosen technische Leistungen in Spitälern benötigen, weil diese die Krankenkassen in ihrem Leistungskatalog bisher nicht für die niedergelassene Praxis vorsehen.

Das österreichische Gesundheitswesen ist bei „Volkskrankheiten“ wie zum Beispiel Diabetes und Rheuma, bei onkologischen Therapien und in vielen anderen Fachbereichen extrem „spitals-“ bzw. „ambulanzlastig“.

CoV: Studie über Spätfolgen im Gesundheitsbereich

Viele medizinische Untersuchungen und Behandlungen konnten im Lockdown nicht durchgeführt werden. Die Folgen dieser Einschränkungen werden in einer Studie im Auftrag des Gesundheitsministers erhoben.

Prioritätenkatalog gefordert

Margot Ham-Rubisch von der Wiener Patientenanwaltschaft nannte dazu ein Beispiel: Anfang April erhielt sie die Beschwerde von einem Mann mit starkem Verdacht auf Prostatakrebs. Für die weitergehenden Untersuchungen zur Abklärung hieß es vonseiten des Wiener Spitals einfach: „Melden Sie sich, wenn das Coronavirus-Chaos vorbei ist.“ Das wurde der Patientenanwaltschaft auf Rückfrage bei dem Krankenhaus auch bestätigt. Hier sei dringend ein Prioritätenkatalog zur Vornahme notwendiger Untersuchungen und Therapien auch in Zeiten von Covid-19 notwendig, so Ham-Rubisch.

Die Pressekonferenz zum Nachsehen

Der zweite Kritikpunkt: Ordinationen von niedergelassenen Ärzten hätten beim Lockdown unkoordiniert ihre Arbeit eingestellt oder stark eingeschränkt. Hier sei eine tagesaktuelle Information der zuständigen Ärztekammer für die Patienten notwendig, wie, wann und wo welcher niedergelassene Kassenarzt verfügbar ist. „Kassenärzte haben einen Versorgungsauftrag“, sagte Ham-Rubisch.

Dachverband: Lebenswichtige Operationen durchgeführt

Die Verschiebung bzw. Absage etlicher nicht lebensnotwendiger medizinischer Behandlungen und Eingriffe habe keine Fälle bewirkt, bei denen Patienten „schwerwiegende gesundheitliche Schäden“ genommen hätten, versicherte indes am Mittwoch der Dachverband der Sozialversicherungsträger.

In Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der FPÖ ließ Anschober vom Dachverband erheben, wie viele Operationen verschoben wurden. Im Bereich der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) waren es knapp 2.000, wobei Akuteingriffe davon ausgenommen waren. Lebenswichtige Operationen habe man „zu jedem Zeitpunkt durchgeführt“, so der Dachverband.

AUVA: Reduktionen sukzessive zurückgenommen

Im Detail wurden seitens der ÖGK rund 1.000 Katarakt-Operationen – die häufigsten operativen Eingriffe in der Augenheilkunde – zur Behebung von Grauem Star verschoben. Auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wurden außerdem jeweils rund 280 chirurgische und orthopädische sowie je 150 gynäkologische und HNO-Eingriffe. Weiters wurden 130 urologische Operationen verlegt.

Seitens der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wurde zu Beginn der Krise die Anzahl ausgewählter Eingriffe um rund 80 Prozent reduziert. Während des Lockdowns führte dann eine vorsichtige Erhöhung dazu, dass rund die Hälfte weniger aufschiebbarer Operationen durchgeführt wurden als vor Ausbruch der Pandemie. In weiterer Folge sei die Reduktion „sukzessive zurückgenommen“ worden, wobei eine genaue Auflistung in Zahlen seitens der AUVA nicht vorliege, wie der Dachverband mitteilt.