Stromverteiler
ORF.at/Dominique Hammer
Stromabschaltungen

Sorgen vor dem Herbst

Keine Energieabschaltung auch bei Zahlungsverzug: Zum Höhepunkt der Coronavirus-Pandemie trafen Klimaschutzministerium und Energieanbieter eine entsprechende Vereinbarung. Inzwischen setzen die Energieanbieter wieder auf individuelle Lösungen. Die Arbeiterkammer (AK) fordert hingegen eine größere – und längerfristige – Strategie. Das Klimaschutzministerium verweist auch auf ein bereits länger erwartetes Gesetzesvorhaben.

8.174-mal – so oft sahen Energieanbieter in den Monaten April und Mai trotz Zahlungsverzugs von einer Stromabschaltung ab. Bei Gas verzichteten die Unternehmen auf fast 3.000 Abschaltungen. Nachzulesen ist das in einem Bericht der E-Control von Anfang August. Die Regulierungsbehörde erhebt zurzeit im Auftrag des Klimaschutzministeriums, wie die Regelung aus dem Frühjahr umgesetzt wurde. In Kürze sollten auch die Daten für Juni vorliegen. Mit Ende Juni lief die Vereinbarung schließlich aus.

„Insgesamt betrachtet“ sind die Zahlen laut E-Control „immer noch vergleichsweise sehr niedrig.“ Zieht man allerdings die durchgeführten Abschaltungen des Vorjahres zum Vergleich heran, dann war der Anstieg – zumindest relativ gesehen – beachtlich. „Im Strombereich handelt es sich fast um eine Verdopplung, im Gasbereich immerhin um eine Steigerung von einem Drittel“, so die Regulierungsbehörde.

Stromzähler
ORF.at/Sabine Koder
Über 8.000-mal sahen die Energiebetreiber im Frühjahr von einer Stromabschaltung ab

„Ob es in diesen Fällen nach dem Auslaufen der Vereinbarung tatsächlich zu einer Abschaltung kommt, bleibt abzuwarten“, heißt es in dem Bericht der E-Control. Die Regulierungsbehörde weist darauf hin, dass säumige Kundinnen und Kunden Forderungen inzwischen beglichen – oder sich auf Ratenzahlungen geeinigt – haben könnten. Es könnten aber auch weitere offene Forderungen hinzugekommen sein, so die Regulierungsbehörde.

Problem in den Herbst verschoben?

Das befürchtet Sandra Matzinger von der Arbeiterkammer Wien. Ein Mahnverfahren dauere in der Regel sechs bis acht Wochen. Sollte es zu Abschaltungen kommen, würden viele im Herbst schlagend, vermutet die AK-Referentin. Auch in den vergangenen Jahren seien die Abschaltquoten im Herbst stark gestiegen, so Matzinger. „Viele Schwierigkeiten werden sich erst in den kommenden Monaten zeigen, wenn vorhandene Ersparnisse aufgebraucht sind und Abschaltungen wieder durchgeführt werden.“ Sie weist gegenüber ORF.at auch darauf hin, dass viele Zahlungen gestundet worden seien. Die Forderungen seien aber weiterhin aufrecht.

Auch dazu erhob die E-Control Daten. Laut der Regulierungsbehörde reduzierten die Anbieter im Strombereich in 12.000 Fällen Teilzahlungsbeträge. 8.500-mal seien Stundungen gewährt worden. In 5.000 Fällen hätten sich Kundinnen und Kunden mit den Anbietern auf Ratenzahlungen geeinigt, schreibt die Regulierungsbehörde.

Wie viele dieser Maßnahmen Privathaushalte, Kleinunternehmen oder andere Unternehmen betrafen, konnte die E-Control – wie auch bei den nicht durchgeführten Abschaltungen – nicht erheben. Den Energieanbietern liege „diese Form der Differenzierung im Regelfall nicht vor“, so die Regulierungsbehörde. Freilich gilt auch hier: Verglichen mit der Gesamtzahl aller Stromanschlüsse hierzulande (insgesamt sind in Österreich rund 5,8 Mio. Stromzähler montiert) bewegen sich die Zahlen im Promillebereich.

Energieanbieter „um individuelle Lösungen bemüht“

Darauf verweisen gegenüber ORF.at auch die Interessenverbände der Strom- und Gasunternehmen. „Der E-Control-Bericht belegt, dass sich die Ansuchen um Stundungen, Ratenvereinbarungen oder Änderung der Teilbeiträge trotz leichten Zuwachses aufgrund der Covid-19-Krise weiterhin auf einem niedrigen Niveau bewegen“, so Michael Mock, Geschäftsführer des Fachverbands der Gas- und Wärmeversorgungsunternehmungen. Man sei „weiterhin bemüht, mit den betroffenen Kunden individuelle Lösungen zu finden, um unbürokratisch zu helfen“. Darüber hinausgehende Maßnahmen seien aus Sicht der Energieversorger nicht notwendig.

Auch Oesterreichs Energie, die Interessenvertretung der E-Wirtschaft, versichert, dass die Unternehmen „auch nach Auslaufen der freiwilligen Vereinbarung weiterhin individuelle Lösungen für jeden einzelnen Fall“ suchten. „Da laut E-Control-Bericht die diesbezüglichen Anfragen im bisherigen Verlauf der Krise kaum gestiegen sind, sehen wir derzeit keinen Anlass für weitere Schritte“, so die Interessenvertretung. Die Energieanbieter verweisen – wie auch das Klimaschutzministerium – überdies auf die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen wie Caritas und Volkshilfe.

Ministerium will „verstärkt“ hinschauen

Das Ministerium versicherte gegenüber ORF.at, weiterhin „im engen Austausch mit der E-Control“ zu stehen. „Grundsätzlich ist die Situation aktuell je Monat auf dem oder unter dem Niveau der letzten Jahre“, so das Ministerium. Man werde aber „verstärkt vor der Heizsaison im Herbst auf diesen Bereich schauen, denn niemand soll in Österreich in den eigenen vier Wänden frieren müssen“.

Aus Sicht der FPÖ könnte eine Lösung der von ihr vorgeschlagene „Österreich-Gutschein“ sein. Jede Österreicherin, jeder Österreicher – vom Kleinkind bis zum Senior – solle 1.000 Euro als Gutschein erhalten, der bei allen Unternehmen eingelöst werden kann, die in Österreich steuerpflichtig sind. SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll sagte, es müsse eine Abschaltungswelle im Herbst und Winter verhindert werden. Dafür sei eine gesetzliche Regelung nötig, die für die Energieversorger und die Stromkunden einen verbindlichen Rahmen vorgebe.

Dass Menschen – auch hierzulande – ihre Wohnungen und Häuser nicht ausreichend warm halten können, ist freilich keine Folge der Coronavirus-Krise. Laut den jüngsten Eurostat-Daten konnten es sich hierzulande rund 200.000 Menschen nicht leisten, ausreichend zu heizen – wenngleich Österreich damit im EU-Vergleich sogar noch gut dasteht. Die Statistik Austria definierte 2016 rund 110.000 Haushalte als „energiearm“. Dabei fallen laut der Statistikbehörde niedrige Haushaltseinkommen mit überdurchschnittlich hohen Energiekosten zusammen.

Häuserfront eines Gemeindebaus
ORF.at/Zita Klimek
Alte Heizungen und schlecht isolierte Gebäude gehen oft Hand in Hand – Letztere werden auch im Sommer zum Problem

In vielen Fällen haben einkommensschwache Haushalte alte und ineffiziente Heizsysteme. Sehr oft wohnen ärmere Menschen auch in schlecht gedämmten Gebäuden – ein Problem, das auch im Sommer sichtbar wird. Eine unzureichende Dämmung bringt nicht nur hohe Energiekosten im Winter, sondern auch überhitzte Räume im Sommer mit sich.

Forderung nach „Energie- und Klimahilfsfonds“

Erst im Juli hielt der Rechnungshof in einem Prüfbericht fest, dass viele heimische Maßnahmen gegen Energiearmut nicht zielgerichtet genug gewesen seien. Die Arbeiterkammer nahm den Bericht sowie das Auslaufen der Vereinbarung mit den Energielieferanten zum Anlass, ihre Forderung nach einem Energie- und Klimahilfsfonds zu konkretisieren.

Zwar gebe es in Österreich bereits viele einzelne Maßnahmen und Programme. Bisher fehle „jedoch ein koordiniertes gemeinsames Vorgehen“. Eine – auch vom Rechnungshof empfohlene – Gesamtstrategie könnte hier der Fonds ermöglichen, so AK-Referentin Matzinger. Er soll laut AK als Anlauf- und Schnittstelle die verschiedenen Akteure vernetzen – vom Bund über die Länder bis zu Energieunternehmen und NGOs; und dabei auch finanzielle Mittel für Maßnahmen zur Verfügung stellen. Zugleich sollte die unabhängige Stelle als Komeptenzzentrum dienen, indem sie „Wissen zum Thema Energiearmut bündelt und Forschung fördert“.

Das Geld dafür könnte nach den Vorstellungen der AK unter anderem aus Zahlungen von Unternehmen kommen, wenn diese die gesetzlich vorgeschriebenen Energieeffizienzmaßnahmen nicht erfüllen. Bereits jetzt landen solche Zahlungen in einem eigenen Topf, aus dem dann Effizienzmaßnahmen finanziert werden – wenn auch nicht speziell für einkommensschwache Haushalte.

„Maßnahme im Energieeffizienzgesetz“ geplant

Das könnte sich mit dem neuen Energieeffizienzgesetz ändern. Die Sparverpflichtung soll „um die Möglichkeit einer Ersatzzahlungsleistung in einen Fonds“ ergänzt werden, steht im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen. Diese Mittel sollen zur Finanzierung von Energieeffizienzmaßnahmen in Haushalten verwendet werden – „mit besonderer Berücksichtigung sozialer Härtefälle“, so die Regierungsübereinkunft.

Auf eine geplante „Maßnahme im Energieeffizienzgesetz, etwa im Rahmen des angesprochenen Fonds“, verweist auch das Klimaschutzministerium gegenüber ORF.at – ohne dabei näher ins Detail zu gehen. Klar ist, dass die Gesetzesnovelle für die kommenden zehn Jahre Österreichs Weg in Richtung weniger Energieverbrauch vorgeben soll. Bis jetzt ist aber auch noch offen, wann das Gesetz tatsächlich fertig wird. Zu Beginn des Sommers stellte Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) einen Entwurf für Herbst in Aussicht. Spätestens 2021 sollte die Novelle in Kraft treten. Das bisherige Energieeffizienzgesetz läuft eigentlich mit Ende dieses Jahres aus.