Weißrussischer Präsident Alexander Lukaschenko in Militäruniform
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Lukaschenko

Streitkräfte in Gefechtsbereitschaft

Mit drastischen Worten hetzt der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko gegen seine Gegner und das Ausland. Von diesem werde versucht, Weißrussland eine Revolution aufzuzwingen. Es müssten die „härtesten Maßnahmen“ getroffen werden, sagte Lukaschenko und versetzte die Streitkräfte in Gefechtsbereitschaft.

Lukaschenko behauptete auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe von Grodno im Westen des Landes, dass es eine Gefahr vom Westen – vom EU-Land Polen – und von der NATO gebe, sich die Region um Grodno einzuverleiben. Es würden dort schon polnische Flaggen wehen, sagte er.

„Ich erteile dem Verteidigungsministerium die Anweisung, die härtesten Maßnahmen zu ergreifen, um die territoriale Integrität unseres Landes zu verteidigen“, sagte Lukaschenko. „Wir sehen eine ernste Bewegung der Streitkräfte der NATO in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen auf den Gebieten Polens und Litauens“, sagte er. In der Region um Grodno soll es Ende August ein Großmanöver der weißrussischen Armee geben.

Drohung mit Fabrikschließungen

Außerdem setzte Lukaschenko dort Ex-Gesundheitsminister Wladimir Karanik als neuen Gouverneur ein, nachdem sich das Gebiet auf die Seite der Opposition geschlagen hatte. Und Lukaschenko warnte die Kirchen im Land davor, sich in die politische Krise einzumischen. Von Montag an sollten in der Region um Grodno alle Staatsbetriebe, in denen gestreikt wird, geschlossen bleiben. Die aufgeheizte Stimmung in der Stadt solle sich erst einmal abkühlen, sagte Lukaschenko.

Er wies Innenministerium und den Geheimdienst KGB an, für Ordnung zu sorgen. „Wenn eine Fabrik nicht arbeitet, dann lasst uns ab Montag ein Schloss an ihrem Tor anbringen“, sagte Lukaschenko laut der russischen Nachrichtenagentur RIA. „Die Leute werden sich beruhigen.“ Und man könne entscheiden, wer wieder zur Arbeit eingeladen werde.

Demonstration in Minsk
Reuters/Vasily Fedosenko
Täglich gehen Demonstranten gegen den autoritär regierenden Lukaschenko auf die Straße

Kritiker werfen Lukaschenko vor, grundlos Spannungen zu schüren und die „militärische Karte“ zu spielen, um von der schweren innenpolitischen Krise im Land abzulenken. Denn seit der Präsidentschaftswahl am 9. August gibt es Proteste und Streiks im ganzen Land gegen Lukaschenko, der sich mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Wahlsieger hatte erklären lassen.

Protestaufruf für Sonntag

Auch am Samstag gab es wieder Proteste. Auf dem zentralen Markt in Minsk bildeten Frauen eine Menschenkette aus Protest gegen Wahlbetrug und gegen Lukaschenkos „Diktatur“. „Wir wollen nicht in Nordkorea leben“, war auf dem Transparent einer Frau zu lesen, die sagte, dass sie es satthabe, in Angst zu leben. Unterstützer Lukaschenkos beteiligten sich ebenfalls an Straßenaktionen. Immer wieder gingen Männer auf die Frauen zu und beschimpften sie.

Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja. Die 37-Jährige rief aus ihrem Exil im EU-Land Litauen die Menschen auf, sich an einem Marsch für die Freiheit und ein neues Weißrussland an diesem Sonntag zu beteiligen. „Wir werden siegen“, sagte sie in einer Videobotschaft. Der Marsch soll den Protest wiederbeleben, nachdem die Opposition ihre Straßenaktionen in der Hoffnung auf den Erfolg der Streiks größtenteils ausgesetzt hatte. Doch auch die Streiks waren bisher nicht durchschlagend erfolgreich.

weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja
Reuters
Oppositionspolitikerin Tichanowskaja sagt: „Wir werden siegen.“

„Muss früher oder später gehen“

Die Weißrussen würden Lukaschenko „niemals“ als Präsidenten akzeptieren, hatte Tichanowskaja am Freitag bei ihrer ersten Pressekonferenz seit ihrer Flucht nach Litauen gesagt. Ihre Landsleute wollten einen politischen Wandel. „Ich hoffe, dass der gesunde Menschenverstand überwiegt und der Ruf der Menschen gehört wird, damit es Neuwahlen geben kann“, sagte Tichanowskaja. Die Menschen in Weißrussland würden die Gewalt, die sie erlebt hätten, „nie verzeihen und nie vergessen“. Alle Weißrussen lebten in Angst. „Doch wir müssen all unsere Ängste überwinden und weitere Schritte gehen“, forderte die Oppositionspolitikerin.

Früher oder später müsse Lukaschenko gehen, sagte Tichanowskaja auch am Samstag in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters in ihrem Exil. Die Menschen würden es dem seit 26 Jahren autoritär regierenden Lukaschenko nicht mehr erlauben, sie so zu behandeln wie bisher.

Will nicht selbst kandidieren

Sie sehe sich dabei aber nicht als Politikerin, sondern vielmehr als ein Symbol des Wandels und wolle helfen, eine Neuwahl zu erreichen, aber nicht mehr für das Präsidentenamt kandidieren. Auch ihr Ehemann sei nicht interessiert. Die frühere Englischlehrerin hatte anstelle ihres Ehemannes kandidiert, nachdem der regierungskritische Blogger im Mai festgenommen worden war. Zu Wochenbeginn hatte Tichanowskaja noch ihre Bereitschaft zur Machtübernahme signalisiert. Am Montag will sie mit US-Vizeaußenminister Stephen Biegun in Litauen über die Krise in Weißrussland sprechen, wie ihr Team mitteilte.

EU verurteilt Ermittlungen

Die weißrussische Justiz hatte am Donnerstag strafrechtliche Ermittlungen gegen den von der Opposition gegründeten Koordinierungsrat eingeleitet, der einen friedlichen Wechsel der politischen Führung in Weißrussland erreichen soll. Nach Angaben der Behörden verstößt der Rat gegen die Verfassung. Am Freitag wurde der Anwalt Maxim Snak, der Mitglied des Rates ist, von den Behörden in Minsk verhört. Snak seinerseits brachte beim obersten Gericht einen Antrag auf Annullierung der Präsidentschaftswahl ein, wie Tichanowskajas Sprecherin Anna Krasoulina mitteilte.

Die EU verurteilte das juristische Vorgehen der Behörden. Die Ermittlungen gegen den Koordinierungsrat müssten eingestellt werden, sagte eine Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Sie warf der Regierung in Minsk eine „Einschüchterung“ ihrer Kritiker vor. Auch am Samstag waren Dutzende Seiten unabhängiger und regierungskritischer Medien blockiert oder nur schwer abrufbar.

Der weißrussische Außenminister Wladimir Makei appellierte indes an seine europäischen Amtskollegen, auf die Verhängung von Sanktionen zu verzichten. „Wir haben zurzeit eine schwierige Situation, aber welches Land hat nicht schmerzhafte Zeiten der nationalen Entwicklung durchgemacht?“, schrieb er in einem Brief an die EU-Außenminister.

Die Vereinten Nationen äußerten sich indes „ernsthaft besorgt“ angesichts der andauernden Inhaftierung von mehr als hundert Demonstranten. Die Behörden müssten „sofort“ alle Menschen freilassen, die „unrechtmäßig oder willkürlich inhaftiert wurden“, sagte eine Sprecherin der UNO-Menschenrechtskommissarin.