Wer von der Fashion-Szene der 90er spricht, der spricht zugleich auch vom Phänomen der Supermodels. „Waren Mannequins vorher nur eine weiße Leinwand für die Vision von Designerinnen, entwickelten sich in den 90ern einige wenige von ihnen zu Stars, deren Gesichter überall auf der Welt erkannt wurden“, schrieb die „Vogue“. Schiffer gehörte der inzwischen legendären Supermodelriege an, die bei Branchenkennern als „Supers“ bekannt sind. Gemeint sind meist Claudia Schiffer, Christy Turlington, Helena Christensen, Naomi Campbell und Cindy Crawford, auch Kate Moss stieß später dazu.
Gebucht wurden die „Supers“ nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern besonders auch wegen ihrer Persönlichkeiten, ihres charakteristischen Catwalks sowie einer Kombination aus Glamour, Mystik und „Rockstar“-Status – und natürlich, weil sie als Gruppe auftraten. Sie erschienen in Filmen und Musikvideos, waren mit Stars liiert und erzielten hohe Gagen. „Die ‚Supers‘ waren nicht mehr nur Gesichter auf Titelblättern, sie hatten Stimmen und wurden auch für die Blattinnenseiten interviewt“, schrieb der „Telegraph“.
Schiffer: „Hatten die Stärke, etwas zu verändern“
„In den 1990er Jahren wurde mir klar, was Mode wirklich bedeutet“, sagte Schiffer der „Vogue“ unlängst über die Ära. „Fotoshootings konnten sich über Tage ziehen, und Mode regierte wochenlang die Titelseiten. Die anderen Supermodels und ich atmeten diese Atmosphäre ein, wir lebten für sie, und erstmals erkannten wir, dass wir die Stärke hatten, etwas zu verändern“, so „la Schiffer“.
Ihre Ausstellung widmet sich der Zeit. Sie erzählt von den bedeutendsten Designern, Fotografen und Models der 90er und lässt zudem die aus ihrer Sicht bedeutendsten Geschichten und Orte Revue passieren. Präsentiert wird „Modefotografie der 90er“ 2021 im Düsseldorfer Kunstpalast. Die Deutsche kehrt damit zugleich an jenen Ort zurück, an dem ihre Karriere in den späten 80ern ihren Anfang nahm.
Schützenhilfe von Lagerfeld
Damals wurde Schiffer, die ursprünglich Jus studieren und Anwältin werden wollte, im Düsseldorfer Nachtclub „Checkers“ auf der Tanzfläche vom Chef einer Pariser Modelagentur entdeckt. In dem Club arbeitete zeitweise auch Heidi Klum. Voller Selbstzweifel sei sie von Rheinberg am linken Niederrhein nach Paris gegangen, erzählte Schiffer später.
Steil bergauf ging es für die Deutsche im Jahr 1987. Als Muse von Karl Lagerfeld avancierte sie zum bestbezahlten Model der Welt, 1988 nahm er sie bei Chanel unter Vertrag. „Ich werde ihm für immer dankbar sein“, schrieb „la Schiffer“ im vergangenen Jahr zum Tod Lagerfelds. Lagerfeld habe ihr alles über Mode, Stil und wie man in der Modebranche überlebt, beigebracht.
Schiffers viele Rollen
Schiffer wurde selbst zur Marke. Für Fotoshootings schlüpfte sie in die Rolle eines männermordenden Vamps ebenso wie in jene einer Luxusdiva. Kultstatus erlangte auch ihre Jeanskampagne für Guess 1989, fotografiert von Ellen von Unwerth. 1998 zog sich die damals 28-Jährige bereits aus der Branche zurück, zumindest vorerst.
Auch in einigen Filmen wie „Richie Rich“ (1994), „Zoolander“ (2001) und „Tatsächlich … Liebe“ (2010) war sie zu sehen. Weniger erfolgreich war Schiffer hingegen als Moderatorin: 2013 unternahm sie den bisher letzten TV-Versuch: Doch ProSieben setzte ihre Show „Fashion Hero“ nach nur einer Staffel mit enttäuschenden Quoten ab.
Heute wird ihr Vermögen auf rund 200 Millionen Euro geschätzt. Sie besitzt ein denkmalgeschütztes Anwesen aus dem 16. Jahrhundert bei London und ein Stadthaus im vornehmen Londoner Stadtteil Notting Hill. Mit ihrem Mann, dem Filmproduzenten Matthew Vaughn, hat sie drei Kinder: Caspar, Clementine und Cosima.
„Haben sie noch das gewisse Etwas?“
Ganz aus dem Modelbusiness hat sich Schiffer aber doch nicht zurückgezogen, ebenso wenig wie ihre Weggefährtinnen. Erst vor wenigen Wochen war sie wieder auf dem Cover der „Elle“ zu sehen. Campbell, die erst im Mai ihren 50. Geburtstag gefeiert hatte, ist das Gesicht einer Beauty-Kampagne für Pat McGrath Labs und arbeitete zuletzt mit Valentino zusammen. Auch Crawford, Turlington und Linda Evangelista sind regelmäßig auf den Titelblättern von Modemagazinen zu sehen.
„Haben sie (die ‚Supers‘, Anm.) noch das gewisse Etwas?“, fragte der „Telegraph“ und gab sich zugleich die Antwort darauf: „Diese Frauen haben es nie verloren.“ Schönheit habe in der Branche nach wie vor oberste Prorität, hieß es weiter. Doch die Definition sei eine andere: Als schön wird in der Szene nicht nur mehr ein faltenfreies Gesicht oder ein magerer Körper bezeichnet. „Das Altern der originalen Supermodels der 90er hat diesen neuen Standard vermutlich gesichert und eine permanentere Veränderung bewirkt“, schrieb der „Telegraph“.
„Supers“ als Netzhit
Ihre Relevanz haben Schiffer und Co. auch mit Aufkommen der neuen Generation an „Instagram-Models“ in den 2010ern nicht verloren, wenngleich Models wie Gigi Hadid und Kaia Gerber mit den Social-Media-Kampagnen nun noch höhere Einnahmen erzielen.
Legendär war etwa die Versace-Show anlässlich der Frühjahr/Sommer-2018-Kollektion des Labels: Damals schritten die „Supers“ erstmals seit Jahren wieder gemeinsam über den Laufsteg – das Netz bebte. Dass das Interesse an den Supermodels der 90er nach wie vor ungebrochen ist, zeigen nicht zuletzt Fanaccounts auf Instagram, die Hunderttausende Follower zählen und die bedeutendsten Momente der Ära teilen.
„Grundsätzlich ist die Industrie noch diegleiche, sie ist nur enorm gewachsen“, so Schiffer. „Es gibt mehr Kollektionen, die Geschwindkeit ist schneller, und Social Media haben einen riesigen Einfluss“, so Schiffer. Und: „Was an den 90ern großartig war, war, dass es keinen Druck gab, alles mit allen zu teilen, man könnte ein privates Leben führen und ein Mysterium schaffen. Ich vermisse diese klare Trennung von der öffentlichen und der privaten Person, auch wenn ich gerne Modemomente meines Lebens auf Instagram teile“, sagte das Supermodel.