Die belgische Tänzerin Anne Teresa De Keersmaeker
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Wiener Festwochen

Bühnenbeben mit Metal, Bach und Tanz

Verspätet und abgespeckt finden die Wiener Festwochen ab Mittwoch in den Hallen des Wiener MuseumsQuartiers statt. Gespart worden sei an der Quantität, nicht an der Qualität, sagte Intendant Christophe Slagmuylder. Und tatsächlich: Schon die Eröffnung verspricht spektakulär zu werden. Später wird es hart.

Dass der Auftakt der Wiener Festwochen heuer etwas ganz Besonderes ist, darf man in Coronavirus-Zeiten kaum sagen, denn das heißt es seit Monaten bei praktisch jeder Kulturveranstaltung. Aber es ist nicht nur das „Jetzt erst recht“ zwischen Lockdown-Sorgen und Abstandsbedenken, das die Eröffnung zu etwas Besonderem macht; es ist auch die – zugegebenermaßen coronavirusbedingte – besondere Geschichte hinter dem Eröffnungsabend.

Denn der steht heuer ganz im Zeichen einer Liebeserklärung, und die ist in der Zeit der Isolation entstanden: die Erklärung der Liebe Wiens zu Anne Teresa de Keersmaeker und die Erklärung der Liebe Anne Teresa de Keersmaekers zu Wien. Nachdem schon die Inszenierung der „Brandenburgischen Konzerte“ von Johann Sebastian Bach bei den Festwochen als Gruppenstück durch die Choreografin und Tänzerin letztes Jahr ein ausgesprochener Erfolg war, stehen im Ausnahmejahr 2020 die „Goldberg-Variationen“ im Zentrum des großen ersten Abends.

Anne Teresa De Keersmaeker und Bernhard Gander
APA/Harald Schneider
De Keersmaeker, Choreografin und Solotänzerin des Eröffnungsabends, und Komponist Bernhard Gander

De Keersmaekers „Goldene Hochzeit“

De Keersmaeker sagt, dass sie eine ganz besondere Beziehung zu Wien hat – und man glaubt es ihr, wenn sie mit ihrer gut gelaunten Seriosität so leise, dass man sich immer konzentrieren muss, wenn man ihr zuhört, erzählt, dass sie hier die erste Vorstellung mit ihrer Truppe außerhalb Belgiens hatte. 1983 war das. De Keersmaeker ist 60 Jahre alt. Später folgte eine innige Beziehung zum ImPulsTanz-Festival. Dass sie ihre Choreografien immer noch selbst tanzt, war so eigentlich nicht vorgesehen.

Nicht zuletzt wegen eines Unfalls vor einigen Jahren, von dem sich ihr Arm nie ganz erholt hatte, wollte De Keersmaeker eigentlich an die nächste Generation weitergeben und den Platz räumen. Jetzt steuert sie doch auf die „Goldene Hochzeit“ mit der Bühne zu, wie sie schmunzelnd erzählte, und wird die „Goldberg-Variationen“ als Solo tanzen. Das hat sich so ergeben im leeren Studio während der Zeit des Lockdowns.

Die Bewegung in Zeiten ihres Einfrierens

Und das passt auch zu den „Goldberg-Variationen“, die Bach, so De Keersmaeker, schrieb, als er sich gegen Ende seines Lebens zurückzog und so eine Synthese seines Werks schuf. De Keersmaeker hatte ein ähnliches Gefühl, als draußen während des Lockdowns alle Bewegung einfror und sie drinnen gemeinsam mit ihrer Choreografieassistentin Diane Madden Bachs Werk in Bewegung übersetzte.

Da kommt also einiges zusammen am Eröffnungsabend: De Keersmaeker und ihre erwiderte Wien-Liebe, die „Goldberg-Variationen“ – für manche jenes Stück klassischer Musik, das sie seit ihrer frühen Jugend begeistert und begleitet – und schließlich die Freude darüber, dass es langsam wieder losgeht auf den Bühnen.

Realer Raum durch nichts zu ersetzen

Eine Herausforderung bleibt das allemal, wie Festwochenintendant Slagmuylder sagte. Man will gar nicht wissen, wie viel Arbeit hinter diesem einen Satz steht, den er bedeutungsschwanger ins Mikro seufzte: „Es war ein langer Weg.“ Aber ein Weg, der sich für ihn offenbar ausgezahlt hat. Viel Zeit hat er, wie viele andere auch, in Einsamkeit verbracht und dabei noch einmal ganz anders begriffen, was er ohnehin schon wusste.

Nämlich, dass die digitale Welt zwar spannende Möglichkeiten auch für das Bühnenvolk bietet, dass aber die ganz besondere Chemie zwischen Publikum und Künstlern in einem gemeinsamen Raum durch nichts zu ersetzen ist. Und dass Kultur für die Gesellschaft durch nichts zu ersetzen ist. Deshalb wurde weiter geplant. Die Festwochen sind abgespeckt auf 13 statt wie sonst um die 50 Arbeiten und finden unter Berücksichtigung der Coronavirus-Regeln statt. Aber sie finden statt, das ist der Punkt.

Vorhang auf für Dark Metal

Mit dabei ist neben de Keersmaeker etwa auch der heimische Komponist Gander. Kunst und Kultur leben ja nicht zuletzt davon, dass Widersprüche nicht aufgelöst, sondern produktiv gemacht werden. Gander hat eine klassische Biografie in seinem Fach: Konservatorium, angesehene Stipendien, als Komponist die Zusammenarbeit mit Orchestern, deren Namen wie ihre Arbeit in den Ohren klingen. Und dann seine Erscheinung: über und über tätowiert, Metal-Shirt und auf dem Kopf eine schüchterne Irokesenversion.

Veranstaltungshinweis

Die Wiener Festwochen finden heuer von 26. August bis 26. September statt, großteils in den Hallen E und G des MuseumsQuartiers. Zusätzlich zu den Aufführungen wird es Einführungen, Lectures und Gespräche geben.

Er hatte ein diebische Freude, als er erzählte, wie es ihm nach sieben Jahren des Probierens und Verhandelns gelungen ist, seine kompositorische Arbeit nun für die Festwochen mit seiner Leidenschaft für Doom, Ambient und Dark Metal zusammenzubringen. Das Ensemble Modern wird gemeinsam mit dem Sänger Attila Csihar von Mayhem und einem „extremen“ Metal-Drummer performen.

Crossover abseits von Metallica-Kitsch

Den Kontakt zu Csihar, erzählte Gander, habe ihm der israelische Dirigent Ilan Volkov hergestellt. Die Liebe zum psychedelischsten und härtesten Metal scheint ein Ding zu sein in der jüngeren Klassikszene, vielleicht braucht man das als Ausgleich. Crossover jedenfalls findet Gander großartig, auch wenn der Begriff durch diverse fade Metallica-Orchester-Kitschkooperationen desavouiert wurde, man erinnere sich an das eh schon von Haus aus balladige „Nothing Else Matters“ in der Streicherstreichelversion.

In seinem Fall wird das anders klingen. Sänger und Drummer haben nur rudimentäre Vorgaben („hier etwas schneller“), sonst können sie zum durchkomponierten Part des Ensemble Modern machen, was sie wollen. Dass das funktioniert, weiß Gander schon, es wurde bereits im Studio eine Aufnahme produziert.

Talk mit Beethoven

Man darf also gespannt sein, auch auf die restlichen Veranstaltungen, die man teilweise aus den schon vorab veröffentlichten digitalen „Gesten“ der Festwochen kennt (die teilweise auch zu den vielen nun abgesagten Arbeiten produziert wurden). Etwa der skurrile Talk Thomas Geigers mit dem Beethoven-Denkmal auf dem Beethovenplatz, Eliane Radigues „Occam Ocean II“ und „Chry-Ptus“, Philippe Quesnes „Farm Fatale“ und „Ultraworld“ von Susanne Kennedy und Markus Selg.