Der russische Oppositionsführer Alexei Nawalny
AP/Alexander Zemlianichenko
Fall Nawalny

EU fordert unabhängige Untersuchung

Nach der möglichen Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny fordert die EU nun unabhängige Ermittlungen. Zuvor hatte die Berliner Klinik Charite, wo Nawalny jetzt behandelt wird, Hinweise darauf bestätigt, dass der Oppositionelle vergiftet wurde – die russischen Ärzte widersprechen.

Die Europäische Union verurteilte am späten Montagabend schärfstens den „mutmaßlichen Angriff auf Nawalnys Leben“, so eine Erklärung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. „Die russischen Behörden müssen unverzüglich eine unabhängige und transparente Untersuchung (…) einleiten.“ Die russische Bevölkerung, aber auch die internationale Gemeinschaft verlangten, die Hintergründe zu erfahren. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Zuvor hatte die deutsche Regierung bereits zur Aufklärung des Falls aufgerufen.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte dem „Spiegel“: „Obwohl ein starker Verdacht schon bestand, ist die Gewissheit der Vergiftung schockierend und eine abstoßende Politik der russischen Führung.“ Die Politik der Vergiftung bestehe darin, Oppositionelle heimtückisch auszuschalten. „Jede Naivität und Verharmlosung, die immer wieder gerade auch in Deutschland gegenüber Russland empfohlen wird, ist deplatziert.“

Hinweise auf Vergiftung Nawalnys

Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wird in Deutschland in der Berliner Charite behandelt. Dort haben Ärzte Hinweise auf eine Vergiftung gefunden.

Nawalny war am Donnerstag zunächst in ein russisches Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert worden, nachdem er während eines Fluges nach Moskau heftige Krämpfe bekommen und das Bewusstsein verloren hatte. Nawalnys Umfeld geht davon aus, dass er durch einen Tee vergiftet wurde, den er kurz vor dem Abflug getrunken hatte. Nawalny liegt derzeit im Koma.

Deutsche Ärzte glauben an Vergiftung

Am Montag hatte die Berliner Klinik Charite, wo der prominente Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin seit Samstag behandelt wird, kundgegeben, dass sie von einer Vergiftung ausgeht. Darauf wiesen klinische Befunde hin, teilte die Klinik mit. Der Gesundheitszustand des 44-Jährigen sei ernst, es bestehe aber keine akute Lebensgefahr.

Die Befunde deuteten „auf eine Intoxikation durch eine Substanz aus der Wirkstoffgruppe der Cholinesterase-Hemmer“ hin, wobei die konkrete Substanz bisher nicht bekannt sei, erklärte die Charite. Nawalny werde nun mit dem Gegenmittel Atropin behandelt. Die Wirkung des Giftstoffs sei mehrfach und in unabhängigen Laboren nachgewiesen worden. Der Ausgang der Erkrankung bleibe unsicher und Spätfolgen, insbesondere im Bereich des Nervensystems, könnten zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, hieß es.

Omsker Ärzte widersprechen

Die russischen Ärzte Nawalnys fanden nach eigenen Angaben bei ihren Untersuchungen keinerlei Hinweise auf eine Vergiftung mit einem Cholinesterase-Hemmer. Nach seiner Krankenhauseinlieferung am Donnerstag sei Nawalny auf eine ganze Bandbreite von Substanzen einschließlich Cholinesterase-Hemmern getestet worden, sagte der Cheftoxikologe des Omsker Notfallkrankenhauses Nummer 1, Alexander Sabajew, am Montag russischen Nachrichtenagenturen: „Das Ergebnis war negativ.“

Eine Trage mit dem russischen Oppositionsführer Alexei Nawalny wird aus einem Krankenwagen entladen
APA/AFP/John Macdougall
Am Samstag wurde Nawalny nach Berlin überstellt

Das sibirische Katastrophenschutzministerium ergänzte, das Krankenhaus in Omsk sei bereit, den deutschen Medizinern alle Ergebnisse der bei Nawalny vorgenommenen Labortests sowie Materialproben zu übergeben. MRT-Aufnahmen seien bereits weitergeleitet worden. Chefanästhesist Boris Teplysch von der Omsker Klinik sagte russischen Nachrichtenagenturen, Nawalny sei bereits wenige Minuten nach seiner Krankenhauseinlieferung Atropin verabreicht worden, das bei Vergiftungen mit Cholinesterase-Hemmern als Gegenmittel zum Einsatz kommt.

Die Ärzte hatten zuvor schon Vorwürfe zurückgewiesen, sie seien unter Kontrolle der Behörden gestanden. „Wir haben den Patienten versorgt und wir haben ihn gerettet. Es gab keinen Einfluss von außen auf die Behandlung des Patienten“, sagte der Chefarzt der Klinik in Omsk, Alexander Murachowski, am Montag.

Kreml: Putin nahm keinen Einfluss

Putin hatte nach Angaben des Kremls keinen Einfluss auf den Transport von Nawalny nach Deutschland genommen. „Das ist absolut nicht das Vorrecht des Präsidenten“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag der Staatsagentur TASS zufolge. Es habe auch keine internationalen Verhandlungen dazu gegeben.

Putins Sprecher betonte, dass die zuständigen Behörden sehr schnell gehandelt hätten. „Alle Genehmigungen und Formalitäten wurden zügig geklärt.“ Der Spezialflug sei ohne Probleme freigegeben worden, als die Ärzte Nawalny für transportfähig erklärt hätten, sagte Peskow.

„Typische Desinformation“

Die Ärzte in Omsk hatten aus der Sicht von Nawalnys Vertrauter Ljubow Sobol „nichts zu sagen“, sagte sie dem „Spiegel“. „Im Büro des Chefarztes saßen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden.“ Sie hätten mit unterschiedlichen Methoden „lange auf Zeit gespielt, bis das Gift wohl nicht mehr in Nawalnys Körper nachweisbar war. Dann erst konnte er ausgeflogen werden nach Berlin.“

In den russischen Staatsmedien wurden unterschiedliche Versionen verbreitet, warum Nawalny seit Tagen im Koma liegt – von Alkoholkonsum über eine Diät bis Unterzuckerung. Das sei eine vom Kreml koordinierte „typische Desinformation“, sagte die Juristin Sobol. „Das war ein Mordanschlag auf Nawalny, der einzig einem nützt – dem Kreml.“ Nawalny habe bis zu dem Vorfall nie gesundheitliche Probleme gehabt und sei sehr fit gewesen. „Er war nie richtig krank, höchstens einmal erkältet. Wir haben einmal gescherzt, dass er wie ein Roboter sei.“