2012 kam der kurdische Syrer Dauood nach Wien, in ein Heim der Caritas, wo er mit acht anderen Flüchtlingen aus allen möglichen Ländern in einem Zimmer war. Kaum auszuhalten war es dort – all die verschiedenen Charaktere, all die dramatischen Geschichten, manche waren Kriminelle und gehörten dem Drogenmilieu an. Das Malen war ihm kaum möglich. Er hatte kein Geld für Farben und letztlich auch keinen Platz. Dabei war das Malen sein Leben. In Damaskus hatte er am Institut für Bildende Künste studiert.
2014 gab es einen Aufruf des Essl Museums an jünge Künstlerinnen und Künstler, sich für eine Ausstellung zu bewerben. Mehr als 700 folgten dem Aufruf, 17 von ihnen wurden für eine Rundschau aktuellen Nachwuchskunstschaffens ausgewählt, einer davon war Dauood. So machte er sich erstmals in Österreich einen Namen und fand einen Galeristen, erstmals verkaufte er hierzulande Bilder und konnte endlich ordentlich Farben anschaffen und wirklich arbeiten.
Das Feuer hinter dem Dunkel
Mittlerweile hat das British Museum eines seiner Werke erstanden, Bilder von ihm werden in Galerien von New York bis Dänemark (und auch schon mal in London, Berlin und Hamburg) gezeigt, und große Gemälde kosten bereits bis zu 30.000 Euro – obwohl Dauood erst 40 Jahre alt ist. Eine beachtliche Erfolgsgeschichte, die nun erstmals konzentriert und konzertiert erzählt wird – und zwar im Greith-Haus in der kleinen, malerischen Gemeinde St. Ulrich in Greith inmitten der saftig-grünen Hügeln der südlichen Steiermark. Das Kunst- und Kulturzentrum wurde von Schriftsteller Gerhard Roth ins Leben gerufen, der Dauoods Bilder vor zwei Jahren, zunächst in Form von Fotografien, für sich entdeckt hat.
Dort also hängen sie jetzt, die Bilder, viele von ihnen riesig; ganz zentral drei, die mitten im Raum direkt hintereinander, von der Decke hängend, aufgereiht sind, als wären sie ein Filmstreifen. Tatsächlich ist das Tryptichon in einer zeitlichen Abfolge angeordnet: „Escape“ – „The Flood“ – „Two Seconds Before Death“. Figuren in Aufruhr rechts, Figuren, die von Fluten verschlungen werden, in der Mitte, links Figuren in gekrümmter Haltung, umgeben vom Dunkel, das nur da und dort von grellen Flecken durchbrochen wird, als ob ein Feuer dahinter lodern würde.
Gespenster der Nacht
Den Figuren sieht man an, dass Dauood, schon bevor er in Österreich war, an der Akademie in Damaskus, Egon Schiele als Vorbild hatte. Auch bei ihm kehren die Menschen, wenn auch weitaus abstrakter, ihr Inneres nach außen. Das Überraschende ist der Gesamteindruck, den man hat, bevor man näher kommt. Bunte Farben, Gestalten, die aus der Entfernung betrachtet etwas Comichaftes haben, und eine Gesamtanmutung dynamischer Bewegung lassen an gut gelaunte, dekorative Gegenwartskunst denken.
Doch je näher man kommt, desto mehr wird man der Entstehungsgeschichte gewahr. Die Bilder zeigen Gespenster der Nacht, die Dauood sich „wegmalt“, sie sind den Qualen der schlaflosen Zeit nach Mitternacht entsprungen. Die meisten der Bilder wurden eigens für die Ausstellung geschaffen, während des coronavirusbedingten Lockdowns. Auch hier in St. Ulrich sah man Dauood in der Buschenschank, in der er ein Zimmer hatte, bis in die Morgenstunden arbeiten, wie Isabella Holzmann, Leiterin des Greith-Hauses, erzählte.
Ausstellungshinweis
Die Ausstellung „Flut“ mit Bildern Adel Dauoods ist im Greith-Haus in St. Ulrich in Greith noch bis 6. September zu sehen.
Im Anschluss ist Dauood ab 12. September bei der Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ in der Niederösterreichischen Landesgalerie mit acht Arbeiten vertreten.
Traumverloren trottende Monster
Die Umstände seiner Flucht, die Geschichten seiner Mitbewohner im Caritas-Heim, und vor allem zahlreiche Bekannte, die auf dem Weg nach Europa in den Fluten des Mittelmeers umgekommen sind, sie lassen Dauood nicht los. Immer wieder tauchen Koffer in seinen Bildern auf und zusammengepferchte Menschen, existenzielle Not ist greifbar. „Flut“ heißt die Ausstellung nicht von ungefähr, auch wenn Dauood keinesfalls als Künstler verstanden werden will, der sich nur als Flüchtling ans Publikum verkauft. Man könnte alles auch ganz anders sehen, als Metapher für das Leiden des Menschen, das jede Gestalt annehmen kann, ganz individuell – und doch universell ist. Dafür hat Dauood eine Bildsprache gefunden.
In einem zweiten Raum sind dann auch gänzlich andere Bilder zu sehen, schwarze, friedliche Monster, unförmig, manche mit vielen Beinen, andere mit überdimensional riesigen Köpfen und zahlreichen Augen. Fast hat man den Eindruck, sie trotten dort am Waldrand neben dem Greith-Haus traumverloren herum. Sie sind Visualisierungen der Fabelwesen aus den Geschichten, die der Vater einst dem kleinen Adel erzählte. Diese Bilder entfalten in ihrer Unmittelbarkeit eine ähnliche Wirkung wie die Werke mancher Art-Brut-Künstler aus Gugging.
Auf die Details kommt es an
Die Art-Brut-Künstler aus Gugging üben eine lebenslange Faszination auf Roth aus, aber das war es nicht, was ihn auf Dauood gebracht hat, wie er gegenüber ORF.at erzählte. Vielmehr war es Dauoods Umgang mit dem Thema Flucht, die beste künstlerische Auseinandersetzung in diesem Feld, die er je gesehen hat, wie Roth überzeugt ist. Hier werde nicht vordergründig und mit Fingerzeig agiert und auch nicht moralisch argumentiert, sagte Roth, sondern gleichzeitig subtil und zutiefst emotional, auf hohem künstlerischen Niveau.
Hier werde Kunst und nicht Politik gemacht, Polemik und Ideologie blieben außen vor. Ideologie und Religion waren es ja, die erst in die entsetzliche Situation führten, aus der Dauood fliehen musste. Roth verweist auf die wiederkehrenden Motive in Dauoods Werk wie die Koffer, auf kleine Details im großen Ganzen, auf die vielschichtige Lesbarkeit der Gemälde. Die unterschiedlichen Ebenen von Dauoods künstlerischer Erzählung und die vielen Details zu entdecken, das zahlt sich aus – und ist im Greith-Haus noch bis kommenden Sonntag möglich.