Reisepass der Republik Österreich
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Staatsbürgerschaft

Recht auf Pass für Nachfahren von NS-Opfern

Ab Dienstag können Nachkommen von Opfern des NS-Regimes mit ausländischer Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft einfach per „Anzeige“ erhalten. Basis ist eine im September 2019 vom Nationalrat beschlossene Novelle des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes.

Personen, die selbst Opfer des NS-Regimes waren, konnten bisher schon die österreichische Staatsbürgerschaft auf diese Weise erwerben. Nun sind auch ihre direkten Nachfahren, also Kinder, Enkel, Urenkel usw., berechtigt.

Auch Adoptivkinder können die Neuregelung in Anspruch nehmen, wobei die Adoption allerdings als Minderjähriger erfolgt sein muss, wie es in einem Informationsblatt des Außenministeriums heißt. Dabei ist eine Doppelstaatsbürgerschaft aus österreichischer Sicht zulässig.

Juristisch definiert

Ein Opfer des NS-Regimes ist im Gesetz folgendermaßen definiert: als Person, „die sich als österreichischer Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben hat, weil sie Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hatte oder weil sie wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte“.

Für die Anzeige ist laut dem Außenministerium zunächst ein Onlinefragebogen auszufüllen. Dort müssen auch Angaben zum Vorfahren gemacht werden. Die Angaben sollen es den österreichischen Behörden, insbesondere dem Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus, ermöglichen, in historischen Akten und Archivbeständen Recherchen anzustellen. Der Fragebogen ist auf Deutsch, Englisch, Hebräisch (Eingabe nur mit lateinischen Schriftzeichen möglich) und Spanisch verfügbar.

Nicht automatisch Doppelstaatsbürger

Das eigentliche Anzeigeverfahren wird mit Einreichung eines Anzeigeformulars, das mit den Angaben aus dem Onlinefragebogen vorausgefüllt wurde, sowie zusätzlich nötiger Dokumente in Gang gesetzt. Eingereicht werden kann etwa bei der Wiener Magistratsabteilung 35 (Einwanderung und Staatsbürgerschaft) und – im Ausland – bei österreichischen Vertretungsbehörden (Botschaften, Generalkonsulate), die die Unterlagen an die MA 35 weiterleiten.

Das Ministerium weist darauf hin, dass Betroffene, die die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben, nicht automatisch Doppelstaatsbürger sind. Sie könnten ihre bisherige Staatsbürgerschaft im Rahmen der österreichischen Gesetzesregelung zwar zusätzlich zur neuen, österreichischen behalten, obwohl Österreich Mehrfachstaatsbürgerschaften in der Regel eher ausschließt. Aufgrund des Rechts im jeweils anderen Land könnten sie ihre bisherige Staatsbürgerschaft aber auch verlieren, wenn sie die österreichische annehmen.

„Sehr gute Nachricht, sehr großer Schritt“

Die „Sicherstellung professioneller Betreuung von NS-Opfern und deren Nachkommen bei den Verfahren in Umsetzung des Staatsbürgerschaftsgesetzes“ ist im Programm der Bundesregierung aus ÖVP und Grünen vorgesehen. Nachkommen von NS-Opfern leben heute u. a. in Lateinamerika.

Der österreichische Botschafter in Buenos Aires, Christoph Meran, der nicht nur für Argentinien, sondern auch für Uruguay und Paraguay zuständig ist, sagte laut der argentinischen Zeitung „El Libertador“: „Tausende Österreicher mussten vor den Schrecken der Verfolgung des Nationalsozialismus fliehen und fanden eine neue Heimat in Argentinien, Uruguay und Paraguay. Dass Nachfahren nun die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben können, ist eine sehr gute Nachricht und ein großer Schritt, der in meinem Land gesetzt wurde.“

„Guardian“ erwartet großes britisches Interesse

Auch der britische „Guardian“ widmete der Angelegenheit am Sonntag einen Artikel. Es kämen allein in Großbritannien „Zehntausende“ Bürger als NS-Opfer-Nachfahren für die österreichische Staatsbürgerschaft infrage, insgesamt seien es „mindestens 200.000“. Mit der Novellierung bringe Österreich sein Staatsbürgerschaftsrecht „auf eine Linie mit den deutschen Gesetzen“, schreibt die Zeitung.

Seit dem Votum für einen EU-Austritt Großbritanniens 2016, der Ende Jänner 2019 erfolgte, stehen Pässe von EU-Ländern bei Briten hoch im Kurs – auch bei der jüdischen Bevölkerung, wird Simon Albert von der Jewish Historical Society of England zitiert. Die Gesellschaft hat ein Projekt laufen. Darin beschreiben ehemalige Flüchtlinge und ihre Nachfahren ihr Motivation, warum sie nun die Staatsbürgerschaft jenes Landes, aus dem sie bzw. ihre Eltern/Großeltern/Urgroßeltern geflohen sind, beantragen.

„Kann für Gerechtigkeit in Zukunft sorgen“

Dass die jüdische Gemeinde in Österreich durch die Vergabe der Staatsbürgerschaften und Zuzug groß wachsen werde, wird im „Guardian“ bezweifelt. Laut dem Präsidenten der Europäischen Union Jüdischer Studenten, dem Österreicher Bini Guttmann, könnten die Nachfahren von NS-Opfern als Österreicher in Österreich aber doch Präsenz zeigen.

„Nachfahren wissen, wohin Intoleranz führen kann. Als Bürger würde ich sie ermutigen, mit ihrer Wählerstimme bei der Richtung, die das Land nimmt, mitzureden. So bietet das Staatsbürgerschaftsrecht mehr als historische Gerechtigkeit, denn es kann dazu beitragen, (…) für Gerechtigkeit in der Zukunft zu sorgen“, sagte Guttmann. Die Gesetzesnovelle wurde in der Zeit der Bundesregierung von Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein vorgenommen. ÖVP, SPÖ und FPÖ hatten sich auf einen gemeinsamen Abänderungsantrag geeinigt.

IKG lobte Gesetz

Die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Wien und der Nationalfonds begrüßten das im September des Vorjahres. „Mit diesem Beschluss wird die Republik Österreich ihrer historischen Verantwortung gerecht“, sagte IKG-Präsident Oskar Deutsch damals. Er strich lobend hervor, dass nicht nur Österreicher, sondern neu auch Bürger der Staaten der ehemaligen Donau-Monarchie umfasst sind. Außerdem seien Ungleichbehandlungen – Nachfahren von weiblichen Überlebenden konnten im Unterschied zu Kindern männlicher NS-Opfer die Staatsbürgerschaft nicht erlangen – bereinigt worden, so Deutsch.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sagte anlässlich des Parlamentsbeschlusses auch als Vorsitzender des Kuratoriums des Nationalfonds der Republik für Opfer des Nationalsozialismus: „Österreich ist eine starke und gewachsene Demokratie und hat sich in den letzten Jahrzehnten auch den schweren Zeiten seiner Geschichte gestellt. Die Möglichkeit, Nachkommen von Holocaust-Opfern die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen, ist ein Zeichen der Verantwortung und des tiefen Respekts auch der nachfolgenden Generationen den Opfern des Holocausts gegenüber.“