Der französische Präsident Emmanuel Macron und Libanons Präsident Michel Aoun
APA/AFP/Dalati and Nohra
„Unverzichtbare Reformen“

Macron auf Mission im Libanon

Rund vier Wochen nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut ist Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erneut in die libanesische Hauptstadt gereist. Gleich bei seiner Ankunft Montagabend forderte Macron „unverzichtbare Reformen“ in dem Land, das wirtschaftlich darniederliegt und dessen Regierungen seit Jahren wegen tiefer religiöser und politischer Spaltung kaum funktionsfähig sind.

Mit dem zweiten Besuch binnen weniger Wochen will Macron das politische Patt im Land beenden und Frankreichs Rolle in dem Land, zu dem die Ex-Mandatsmacht historisch enge Beziehungen hat, wieder stärken. Präsident Michel Aoun empfing Macron Montagabend auf dem Flughafen. Auf dem Programm stand nach seiner Ankunft ein Treffen mit der populären libanesischen Sängerin Fairouz, einer Ikone der arabischen Musik.

Bereits bei seiner Ankunft forderte Macron „unverzichtbare Reformen“ für das Land. Sollten diese so bald wie möglich durchgeführt werden, würden der Libanon und das libanesische Volk die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und vor allem Frankreichs haben, sagte Macron. Die neue Regierung müsse eine „Regierung mit einer Mission“ sein. Diese müsse gegen Korruption im Land vorgehen, so der französische Staatschef.

100-Jahr-Feier von Großlibanon

Am Dienstag nimmt Macron an der Feier zum 100. Jahrestag der Ausrufung des Großlibanon teil. Außerdem will er sich im Hafen erneut ein Bild von der Lage machen und sich mit führenden Politikern treffen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron und Libanons Präsident Michel Aoun
APA/AFP/Gonzalo Fuentes
Macron und Aoun zum Auftakt der Visite

Macron hatte den Libanon bereits kurz nach der Explosion am 4. August besucht. Damals sagte er dem Land Hilfe zu, forderte aber zugleich mit klaren Worten politische Reformen. Außerdem kündigte er an, im September wiederzukommen. Als frühere Mandatsmacht hat Frankreich noch immer enge Beziehungen zum Libanon. Bei der Detonation waren mehr als 180 Menschen getötet und mehr als 6.000 verletzt worden.

Neuer Regierungschef

Der bisherige Botschafter des Libanon in Deutschland, Mustafa Adib, erhielt am Montag von Präsident Michel Aoun den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden. Das bisherige Kabinett war wenige Tage nach der Explosion zurückgetreten. Der relativ unbekannte 48-jährige Diplomat folgt auf den bisherigen Regierungschef Hassan Diab, der nach der Explosionskatastrophe von Beirut mit mehr als 180 Toten zurückgetreten war. Die verheerenden Explosionen in der libanesischen Hauptstadt haben die wirtschaftliche und politische Krise des Landes klar verschärft.

Von Sunniten nominiert

Adib gilt als enger Vertrauter des früheren Regierungschefs Nadschib Mikati. Für diesen arbeitete er unter anderem als Kabinettschef. Adib war am Sonntag von den Sunniten als Regierungschef vorgeschlagen worden. Im politischen System des Libanon sind die Spitzenposten unter den wichtigsten Religionsgruppen aufgeteilt. So ist der Präsident bisher stets ein Christ, der Regierungschef ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit.

Französische Soldaten bei Aufräumarbeiten nach der Explosion im Hafen von Beirut (Libanon)
APA/AFP/Gonzalo Fuentes
Französische Soldaten helfen in Beirut nach der verheerenden Explosion im Hafen

Schlimmste Krise seit Bürgerkrieg

Der neue Regierungschef steht vor großen Herausforderungen. Er muss das Land aus der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 führen. Nach einer am Montag von der Weltbank veröffentlichten Schätzung verursachte allein die Explosionskatastrophe Schäden und wirtschaftliche Verluste in Höhe von 6,7 bis 8,1 Milliarden Dollar (5,6 bis 6,8 Mrd. Euro). Die Weltbank geht davon aus, dass der Libanon umgehend zwischen 605 und 760 Millionen Dollar benötigt. Adib kündigte an, als erste Amtshandlung Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds aufzunehmen.

Aus für konfessionellen Proporz?

Präsident Aoun und Hisbollah-Chef Hasan Nasrallah hatten am Sonntag ihren Willen zu einer neuen Form des Regierens bekräftigt. Aoun, der für viele Libanesen eine Hassfigur ist, stellte sogar das konfessionelle Proporzsystem infrage. Der Libanon solle ein „laizistischer Staat“ werden, forderte er in einer Fernsehansprache. Auch Parlamentspräsident Nabih Berri rief am Montag zu einem „konfessionellen Systemwechsel“ auf.