Maria Kolesnikowa
AP/Dmitri Lovetsky
Weißrussland

Anführerin der Proteste verschleppt

Die weißrussische Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa ist nach Einschätzung des Koordinierungsrats der Demokratiebewegung entführt worden. „Ihr Aufenthaltsort ist unbekannt“, hieß es am Montag von dem Gremium. Die Vertreter forderten ihre sofortige Freilassung.

Schon zuvor hatte die Medienplattform Tut.by berichtet, dass Kolesnikowa in der Innenstadt von Minsk von bisher nicht identifizierten Personen festgesetzt worden sei. Die Nachrichtenagentur RIA berichtete, die Polizei prüfe, ob Kolesnikowa entführt worden sei.

„Wir sehen, dass die Behörden in den vergangenen Tagen begonnen haben, Terrormethoden offen anzuwenden, statt einen Dialog mit der Gesellschaft aufzunehmen“, so der Koordinierungsrat. Ihre Kollegen hätten keinen Kontakt zu ihr, teilte der Pressedienst des Koordinierungsrats der Demokratiebewegung am Montag in Minsk mit. Außerdem seien ihre Mitarbeiter Iwan Krawzow und ihr Sprecher Anton Rodnenkow nicht mehr erreichbar.

Maria Kolesnikowa vor Demonstranten
APA/AFP/Sergei Gapon
Kolesnikowa zählt zu den führenden Oppositionellen in Weißrussland

„Entführung ist eine Schande“

Litauens Außenminister Linas Linkevicius machte die Staatsführung in Minsk für das spurlose Verschwinden Kolesnikowas verantwortlich und forderte deren sofortige Freilassung. „Die Entführung von M. Kolesnikowa in der Innenstadt von Minsk ist eine Schande“, schrieb Linkevicius auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Nach Angaben des Vorsitzenden der deutschen Grünen, Robert Habeck, wurde offenbar auch Irina Suchij festgenommen – eine Umweltaktivistin und ehemalige weißrussische Grünen-Politikerin.

Führende Oppositionelle

Nach Angaben des Innenministeriums wurden am Sonntag bei neuen landesweiten Protesten insgesamt 633 Menschen festgenommen. Die Führung um Präsident Alexander Lukaschenko geht hart gegen die Demonstranten vor, die ihm unter anderem Wahlbetrug vorwerfen.

Die 38-jährige Kolesnikowa ist eine der wichtigsten Oppositionellen, die sich gegen den umstrittenen Staatschef stellen. Einige Kollegen des Gremiums waren zuvor schon festgenommen worden, ausgereist oder zur Ausreise gezwungen worden, unter anderen die Präsidentenkandidatin Swetlana Tichanowskaja. Sie war nach der Wahl ins EU-Land Litauen geflüchtet.

Archivbild von Swetlana Tichanowskaja
AP/Mindaugas Kulbis
Tichanowskaja flüchtete nach der Wahl nach Litauen

„Das wird uns nicht aufhalten“

Tichanowskaja sprach nach dem Verschwinden Kolesnikowa von einem Versuch der Staatsführung, die Arbeit des Koordinierungsrats zu behindern: „Aber das wird uns nicht aufhalten“, schrieb sie im Nachrichtenkanal Telegram. Je mehr die Behörden die Menschen einschüchterten, desto mehr würden auf die Straße gehen.

Kolesnikowa arbeitet für den Ex-Bankchef Viktor Babariko, der für das Präsidentenamt kandidieren wollte. Sie ist auch im Präsidium des Koordinierungsrates, der einen friedlichen Machtwechsel anstrebt. Kolesnikowa hatte viele Jahre in Stuttgart in Deutschland gelebt und von dort aus Kulturprojekte gemanagt. Kolesnikowa trat immer wieder bei Protestaktionen auf und wurde dabei von den Demonstranten bejubelt. Bei der Großdemonstration am Sonntag marschierte sie in Minsk mit.

EU-Sanktionen gegen 31 hochrangige Weißrussen geplant

Die EU reagierte besorgt auf das Verschwinden der Oppositionellen. „Wir versuchen, die Fakten zu ermitteln“, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Die „fortgesetzte Repression der Behörden gegen die Zivilbevölkerung (…) sei völlig inakzeptabel“.

Die EU bereitet unterdessen Medienberichten zufolge wegen der umstrittenen Präsidentenwahl in Weißrussland Strafmaßnahmen gegen 31 hochrangige Regierungsmitglieder und Behörden vor. Darunter sei Innenminister Juri Karaew, wie die Nachrichtenagentur Reuters von drei EU-Diplomaten erfuhr.

„Wir hatten uns zunächst auf 14 Namen geeinigt“, sagte einer von ihnen. „Aber viele Staaten waren der Meinung, dass dies nicht ausreicht. Wir haben jetzt einen Konsens über weitere 17 erzielt.“ Es handle sich um Verantwortliche für die Wahl, die Gewalt und das Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten. Eine formelle Einigung dürfte beim EU-Außenministertreffen am 21. September erzielt werden. In früheren Medienberichten war von bis zu 19 anvisierten Personen gesprochen worden.