Bewohner des Lager flüchten vor dem Feuer
AP/Panagiotis Balaskas
Moria abgebrannt

NGOs richten Appell an Regierung

Nach dem verheerenden Großbrand in dem Flüchtlingscamp Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben heimische Hilfsorganisationen einen „dringenden“ Appell an die Bundesregierung gerichtet. Kinder, Kranke und besonders Schutzbedürftige müssten sofort evakuiert werden, forderten die NGOs am Mittwoch.

„Wir haben wiederholt auf die furchtbare Situation auf den griechischen Inseln hingewiesen. Letzte Nacht ist das Pulverfass explodiert“, so Margaretha Maleh, Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen Österreich (MSF). Hilfsteams an Ort und Stelle würden von einer „brennenden Hölle“ berichten. „Diese Katastrophe ist die logische Konsequenz der unmenschlichen Abschottungspolitik Europas. In Moria wurden und werden Menschenrechte mit Füßen getreten. Was es endlich dringend braucht, ist gelebte Solidarität“, forderte Maleh.

Die Geflüchteten, einige von ihnen sind bereits seit Jahren auf Lesbos, müssten in „Länder aufgenommen werden, in denen sie gesundheitlich versorgt werden“, so der Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer. Die „dramatischen Bilder aus Griechenland – aus Europa“ – zeigten „zum wiederholten Mal die prekäre Lage der Menschen auf den griechischen Inseln“, erinnerte Andreas Knapp, Generalsekretär für internationale Programme der Caritas Österreich. Er forderte eine „gemeinsame europäische Lösung und Solidarität mit den Menschen, die seit Jahren in menschenunwürdigen Zuständen leben müssen“.

„Können nicht länger zusehen“

„Wir können nicht länger zusehen“, so MSF, Caritas und das Rote Kreuz. Auch Österreich müsse einen Beitrag leisten und sich an der Evakuierung von Geflüchteten aus Moria beteiligen. „Was wir jetzt brauchen ist ein Korridor der Menschlichkeit“, hieß es in einer gemeinsamen Aussendung.

Luftaufnahme des zerstörten Lagers
Reuters/Alkis Konstantinidis
Luftaufnahmen zeigen die Ruinen des Lagers in Moria, das fast komplett in Schutt und Asche liegt

„Absolut vorhersehbar“ war die Brandkatastrophe in Moria auch nach Ansicht der Gemeinschaft Sant’ Egidio. Bereits im Winter habe „über dem Lager das Gespenst eines solchen Brandes geschwebt“, sagte die Sant’-Egidio-Mitarbeiterin Monica Attias zu Kathpress. Auch die Coronavirus-Fälle seien „eine Tragödie mit Ansage“ gewesen. Es sei in den Lagern „unmöglich, Abstandsregeln einzuhalten“; zudem fehle es an Masken.

Ein solches Lager komplett unter Quarantäne zu stellen, bedeute aber, Zehntausende Menschen, denen es bereits an vielem fehle, komplett gefangenzuhalten, kritisierte Attias. Es sei „eine Schande, dass die österreichische Regierung mit dem Finger auf andere untätige EU-Regierungen zeigt, anstatt selbst das Mindeste zu tun und Menschenleben zu retten“, so Elisabeth Klatzer, Vorstandsmitglied von Attac Österreich.

ÖVP weiter gegen Aufnahme

Die ÖVP bleibt jedoch bei ihrer Linie und lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten aus Griechenland strikt ab. Österreich wolle aber Griechenland an Ort und Stelle mit allen Mitteln unterstützen, so Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg vor dem Ministerrat am Mittwoch.

Die Position Österreichs decke sich auch mit jener der griechischen Regierung. Diese habe keine Aufnahme verlangt und erwarte das auch nicht, sagten Nehammer und Schallenberg. Sie seien vielmehr besorgt, dass Europa die falschen Signale sende. „Jede Bewegung weg von den Inseln wird von der Türkei und den Schleppern ausgenutzt“, so Nehammer. „Wir werden Hilfe vor Ort leisten und eine Million aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung stellen“, so Schallenberg.

Grüne: Position klar

Ganz anders die Äußerung der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler: „Die Bilder aus Moria machen tief betroffen“, so Gewessler am Rande des Ministerrats. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, dass es nun rasch Unterstützung der EU gebe und das Lager evakuiert werde. Die Position der Grünen sei klar, und man führe auch entsprechende Gespräche, antwortete Gewessler auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll.

Migranten schlafen nach dem Feuer neben einer Straße
Reuters/Alkis Konstantinidis
Tausende Männer, Frauen und Kinder sind obdachlos und müssen auf der Straße schlafen

Deutlicher äußerte sich der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz. „Österreich muss jetzt flüchtende Bewohner und Bewohnerinnen aus Moria aufnehmen, die nach dem Brand wieder vor dem Nichts stehen. Die ÖVP sollte ihre Blockade aufgeben, statt sich täglich mehr der FPÖ anzunähern“, so Waitz in einer Aussendung Richtung Koalitionspartner. Europa habe „viel zu lange gewartet“, kritisierte auch die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath. „Es ist jetzt die gemeinsame Aufgabe der Europäischen Union, das Lager zu evakuieren und die Menschen in Sicherheit zu bringen“, appellierte sie.

Der NEOS-Abgeordnete Helmut Brandstätter sprach sich dafür aus, dass Österreich „schnellstmöglich“ kranke Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufnimmt. „Das Einzige, woran die Aufnahme der Flüchtlinge scheitert, ist die österreichische Bundesregierung. ÖVP und auch die Grünen bringen das nicht zustande. Das ist einer ehemals christlich-sozialen Partei und der ehemaligen Menschenrechtspartei nicht würdig und eine Schande für Österreich“, so Brandstätter.

Unterstützung aus Deutschland, Frankreich und Norwegen

Unterstützung haben mehrere europäische Staaten zugesagt. In Deutschland fordern einige Politikerinnen und Politiker, darunter der deutsche Außenminister Heiko Maas und Entwicklungsminister Gerd Müller, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. Deutschland solle mit einem entsprechenden „Zeichen der Humanität“ vorangehen, sagte der CSU-Politiker am Mittwochabend in der ARD. „Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Angebote der deutschen Länder annehmen sollten.“ Er sprach von einer Aufnahme von 2.000 Personen. Mehrere deutsche Bundesländer hatten sich angeboten.

Demonstration in Frankfurt
Reuters/Kai Pfaffenbach
Auch in Deutschland gab es bereits Proteste mit der Forderung, Menschen aus Moria aufzunehmen

Auch Frankreich sagte Unterstützung zu, wobei bisher nicht klar war, ob auch Menschen aus Moria aufgenommen werden. Wie Österreich sprachen sich auch die Niederlande klar dagegen aus, Flüchtlinge aufnehmen. „Flüchtlinge zu übernehmen, wie Deutschland das tun will, da ist die Antwort: Nein“, sagte die niederländische Staatssekretärin im Justizministerium, Ankie Broekers-Knol, dem TV-Sender RTL Nieuws. Die norwegische Regierung beschloss indes die Aufnahme von 50 Personen.

Griechenland geht von Brandstiftung aus

Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis war am Mittwoch auf die Insel gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Auf Lesbos, wo 85.000 Menschen wohnhaft sind, sind nun rund 12.600 Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten aus dem abgebrannten Lager obdachlos. Mitarakis kündigte kurzfristig eine Übergangslösung an: Bereits am Donnerstag sollen zwei Landungsschiffe der Kriegsmarine Migranten aufnehmen, auch eine griechische Reederei soll ein Schiff bereitgestellt haben. Zudem sollen rund 400 unbegleitete Minderjährige noch am Mittwochabend von Lesbos aufs Festland gebracht werden.

Ziel der Maßnahme dürfte sein, Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten sowie der Inselbevölkerung zu vermeiden. Davor warnte auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das den griechischen Behörden Hilfe anbot und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Ort und Stelle aktivierte.

Im Anschluss an seine Visite warnte der Minister die Betroffenen allerdings auch vor einer Missachtung des Gesetzes. „Das werden wir nicht dulden“, sagte er mit Blick auf die Feuer. Die Regierung in Athen geht nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass einige Lagerbewohner die Brände selbst gelegt haben – aus Angst vor den ersten Coronavirus-Fällen im Lager.

Angst vor Coronavirus

Die Menschen, die das Lager wegen des Feuers fluchtartig verlassen mussten, seien nun von der Polizei außerhalb der Ortschaften versammelt worden, sagte Mitarakis weiter. Am Dienstagabend war es zu Unruhen unter den Menschen im Lager gekommen, weil das Lager letzte Woche nach einem ersten Coronavirus-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Bis zum Dienstag stieg die Zahl der Infizierten auf 35.

Lager Moria abgebrannt: Suche nach Quartier für Flüchtlinge

Nachdem das griechische Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos abgebrannt ist, herrscht über die Zukunft der rund 12.600 Menschen aus dem Lager Ungewissheit. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) warnte nach dem Brand vor Konflikten zwischen Flüchtlingen und Bewohnern der Insel.

Manche hätten daraufhin das abgeriegelte Lager verlassen wollen, um sich nicht anzustecken, berichtete die griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation zu gehen.

Moria gilt als Negativbeispiel der europäischen Flüchtlingspolitik und als größtes Flüchtlingslager in der EU. Eigentlich bot Moria nur Platz für rund 2.800 Menschen, war jedoch mit einem Vielfachen davon heillos überfüllt. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Unruhen und Bränden gekommen.