Das ausgebrannte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos
APA/AFP/Angelos Tzortzinis
Flüchtlinge in Moria

Grüne wollen mit ÖVP sprechen

Die Brände im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos stellen auch die türkis-grüne Regierung auf die Probe. „Wir sind mit der ÖVP laufend im Gespräch und werden den Druck weiter aufbauen“, so die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, am Donnerstag zur APA – ähnlich äußerten sich zuvor Parteikollegen. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg lehnte eine Aufnahme von Geflüchteten aber strikt ab.

Auch wenn die Fronten verhärtet sind, will sich Ernst-Dziedzic – die Lesbos besuchen will – weiterhin für einen Dialog mit der ÖVP über die Aufnahme von Geflüchteten einsetzen. Während die ÖVP strikt gegen die Aufnahme von Menschen aus den meist überfüllten griechischen Camps ist, in denen katastrophale Zustände herrschen, haben sich mehrere grüne Politiker und auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen dafür ausgesprochen.

„Fakt ist, wir haben aktuell keine Mehrheit im Parlament“, so Ernzst-Dziedzic. Selbst wenn die Grünen mit den Oppositionsparteien SPÖ und NEOS stimmen würden und damit gegen den Koalitionspartner – also einen Koalitionsbruch begehen würden –-, kämen sie gemeinsam auf nur 81 Stimmen, während die ÖVP und die FPÖ auf 101 Stimmen im Nationalrat kommen. „Ich fände es unverantwortlich zu sagen: ‚Gut, wir riskieren das trotzdem‘ und verbauen uns hier die Möglichkeiten, mit dem Koalitionspartner und anderen Stakeholdern zu schauen, was wir akut tun können in der derzeitigen Situation.“

Andreas Pfeifer (ORF) über die Lage in Moria

Andreas Pfeifer (ORF) spricht über die vielen obdachlosen Flüchtlinge nach der Brandkatastrophe in Moria.

„Keine kurzfristigen Phänomene“

Zur Aussage von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), der die mutmaßliche Brandstiftung in Moria durch Geflüchtete mit den Worten „Gewaltbereite Migranten haben keine Chance auf Asyl in Europa“ kommentierte, sagte Ernst-Dziedzic, dass knapp 13.000 Menschen „nicht unter Generalverdacht“ gestellt werden könnten. Auch sei es zynisch zu glauben, dass die Bilder von überfüllten Camps als „Abschreckung“ für mögliche neue Migranten dienen würden. „Flucht und Migration sind keine kurzfristigen Phänomene.“

Die griechische Regierung teilte Donnerstagnachmittag mit, Migranten selbst hätten den Großbrand gelegt. „Das Feuer wurde von Menschen gelegt, die Asyl beantragt haben – als Reaktion auf die wegen des Coronavirus verhängte Quarantäne (in Moria)“, sagte der Sprecher der konservativen Regierung, Stelios Petsas, am Donnerstag. Es handle sich um Menschen, die „ihr Gastland nicht respektieren“, so Petsas.

Das ausgebrannte Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos
Reuters/Alkis Konstantinidis
In der Nacht auf Donnerstag brach das zweite Mal in Folge im Flüchtlingscamp Moria Feuer aus

In der Nacht auf Donnerstag brach das zweite Mal in Folge im Flüchtlingscamp Moria Feuer aus, dieses Mal in einem Teil des Lagers, der von der vorangegangenen Brandkatastrophe nur wenig betroffen war. Die Einrichtung, in der zu diesem Zeitpunkt rund 12.700 Menschen untergebracht waren, wurde in der Nacht auf Mittwoch großteils zerstört. Am Mittwochabend waren nach neuen Angaben der Behörden noch immer mindestens 3.500 Flüchtlinge obdachlos.

„Geschrei nach Verteilung keine Lösung“

Wo diese Menschen hinkommen sollen, darüber ist abermals Streit in der EU entbrannt. Schallenberg hatte am Mittwochabend in der ZIB2 argumentiert, mit der Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen, unterstütze man nur das Geschäft der Schlepper. „Das Geschrei nach Verteilung kann nicht die Lösung sein“, so Schallenberg. Die EU dürfe nicht in die „alte Debatte“ zurückfallen und über die Verteilung von Flüchtlingen reden.

ÖVP-Außenminister Schallenberg über den Brand im Lager Moria

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg sprach über die Folgen des Brandes im Flüchtlingslager im Lager auf Lesbos. Österreich wolle keine Menschen von dort aufnehmen.

„Wir müssen diese Debatte deemotionalisieren und rationalisieren“, sagte der Außenminister. „Wenn wir die Hoffnung geben, dass es geht, werden sich auch andere auf den Weg machen.“ Auf die Frage, ob es nicht zynisch sei, wenn Tausende Menschen, darunter Hunderte Kinder, ohne Obdach seien, sagte Schallenberg: „Es geht immer nur um ein paar hundert Kinder.“ Das sei nicht zynisch, „sondern die Wahrheit“ und „eine Frage des Hausverstands“. Österreich habe „sofort eine Million Soforthilfe aus dem Auslandskatastrophenfonds angeboten. Die Griechen wissen selber noch nicht, was sie brauchen.“

Reimon: „Habe versagt“

Der Europasprecher des grünen Parlamentsklubs, Michel Reimon, twitterte am Mittwochabend zu den Ereignissen in Moria und dem Unwillen der ÖVP zur Aufnahme von Minderjährigen: „Ich hab heute versagt. So richtig.“ Fragen dazu wollte er auf APA-Anfrage nicht beantworten.

Vergleich zwischen 4. September und 9. September. Das Lager befindet sich in der Bildmitte.

„Die Bilder aus Moria machen tief betroffen“, so Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Rande des Ministerrats am Mittwoch. Es sei „ein Gebot der Menschlichkeit“, dass es nun rasch Unterstützung der EU gebe und das Lager evakuiert werde. Die Position der Grünen sei klar, und man führe auch entsprechende Gespräche, antwortete Gewessler auf die Frage, ob Österreich Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll.

Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, zeigte sich laut Aussendung „entsetzt, aber entschlossen“. Die sofortige Evakuierung des Lagers sei ein erster, wichtiger Schritt, so Vana. „Die einzige akzeptable Reaktion der EU ist ein solider neuer Migrationspakt.“ Ende September wird die Kommission voraussichtlich ihren Entwurf zum Migrationspakt vorlegen.

Auch SPÖ und NEOS für Aufnahme von Kindern

Für die Aufnahme von Kindern aus dem Lager sprachen sich am Donnerstag auch SPÖ und NEOS aus. „Wer Kinder verkommen lassen will, vergeht sich an den Werten Österreichs und Europas. Moria ist eine Schande und offenbart die Feigheit und Kleingeistigkeit einiger europäischer Regierungen, Kinder in Elend zurückzulassen, statt für rasche Hilfe und Lösungen zu sorgen“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

NEOS setzte auf Aktionismus und lud zu einer Inszenierung vor dem Außenministerium. Unterstützt wurde die Forderung nach Aufnahme von Menschen von mehreren heimischen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Caritas und Rotes Kreuz. Auch die Bischofskonferenz meldete sich am Donnerstag zu Wort und forderte die Regierung auf, sich an der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem niedergebrannten Lager zu beteiligen – mehr dazu in religion.ORF.at.

Neues Feuer in Moria ausgebrochen

In Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos brach in der Nacht erneut ein Feuer aus

Moria gilt als Negativbeispiel der europäischen Flüchtlingspolitik und als größtes Flüchtlingslager in der EU. Eigentlich bot Moria nur Platz für rund 2.800 Menschen, war jedoch mit einem Vielfachen davon heillos überfüllt. In den vergangenen Jahren war es immer wieder zu Unruhen und Bränden gekommen.

Knaus: „Bestangekündigte Katastrophe“

Migrationsforscher Gerald Knaus bezeichnete die Brandkatastrophe am späten Mittwochabend gegenüber der ZIB Nacht als „bestangekündigte Katastrophe“ in Europa. Als unmittelbare Notmaßnahme schlug er den europäischen Ländern vor, bereits anerkannte Flüchtlinge vom griechischen Festland aufzunehmen, um deren Wohnungen für die Tausenden obdachlos gewordenen Menschen aus Moria frei zu machen.

Minderjährige werden auf Festland gebracht

Für die nun obdachlosen Geflüchteten von Moria werde fieberhaft nach Unterkünften gesucht, sagte der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi. Die ersten Maßnahmen zur Unterbringung liefen bereits an. Eine Fähre mit Platz für Hunderte Menschen wurde zur Insel Lesbos entsandt, teilte das Migrationsministerium am Donnerstag in Athen mit. Zwei griechische Marineschiffe sollen zusätzliche Schlafmöglichkeiten bieten.

165 unbegleitete Minderjährige wurden zudem an Bord eines Flugzeugs von Lesbos zur griechischen Hafenstadt Thessaloniki gebracht. Weitere 240 Minderjährige sollten noch am Donnerstag folgen, berichtete der Rundfunk ERT.

Bewohner des Lager flüchten vor einem erneuten Feuer
Reuters/Alkis Konstantinidis
Menschen, die vergangene Nacht noch nicht geflohen sind, verlassen das Lager

Zur Ursache der Brandkatastrophe hatte Mitarachi zuvor gesagt: „Die Feuer brachen aus, als die Asylwerber gegen die verhängte Quarantäne protestierten.“ Mittlerweile geht die Regierung in Athen von bewusster Brandstiftung durch Lagerinsassen aus. Wenige Stunden vor dem Ausbruch der Brände hatte das Migrationsministerium in Athen mitgeteilt, dass 35 Personen im Lager positiv auf das Coronavirus getestet worden seien.