Joachim Meyerhoff
Ingo Pertramer
Neuer Meyerhoff-Roman

Hirnschlag und Humor

2017 erlitt Joachim Meyerhoff einen Schlaganfall. Jetzt verarbeitet der Schauspielstar seine Erfahrungen im Roman „Hamster im hinteren Stromgebiet“ – vermengt mit Rückblenden auf sein ereignisreiches Leben. Abgrundtiefe Tragik trifft auf große Komik: ein Schreibtherapieprojekt und großes Lesevergnügen.

Eigentlich war es als Abschlussband angekündigt: 2017 erschien Nummer vier des autobiografischen Romanzyklus mit dem Übertitel „Alle Toten fliegen hoch“, in dem Meyerhoff mit einer guten Portion Slapstick durch die Liebeswirren einer Dreiecksbeziehung führte, die er als Jungschauspieler erlebt hatte.

Die lustig-melancholische Selbstentblößung, sie war auch bei den Vorgängerbänden Programm: Meyerhoff, langjähriges Burgtheater-Ensemblemitglied, zweifacher Nestroy-Preis-Träger und Schauspieler des Jahres 2017, führte da vom Aufwachsen auf dem Psychiatriegelände über pubertäre Missgeschicke als Austauschschüler in Amerika bis zu den schrägen Verrenkungen auf der Schauspielschule.

Dann, etwa im Alter von 30 Jahren, war Schluss – und Fortsetzung war keine geplant: Wie auch schreiben über ein Leben im Rampenlicht? Wenn man seine Kollegen und nicht zuletzt seine Liebsten an die Öffentlichkeit zerren würde? Anders als Karl Ove Knausgard oder Rachel Cusk hatte Meyerhoff das immer abgelehnt, es als „völlig indiskutabel“ bezeichnet, etwa im Ö1-Interview 2017. Doch dann kam alles anders.

Schreiben als Therapie

Niederzuschreiben „wie es ist, wenn die Selbstverständlichkeit der Existenz von einem Moment auf den anderen abhandenkommt“, war der Anlass, den Zyklus wiederaufzunehmen, wie Meyerhoff im Prolog festhält. Schon kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hatte wieder mit dem Schreiben begonnen, eine Veröffentlichung schien anfangs ungewiss. Das Schreiben war zunächst als nur therapeutische Übung gedacht, mental wie physisch, „eine gute Übung für meine linke Hand, deren Finger noch zittrig sind“.

Neuer Roman: „Hamster im hinteren Stromgebiet“

Seine Bücher schreibt das Leben – wer sonst, sagt er. Seit 2011 publiziert Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff autobiografische Romane.

Aber von Anfang an: 2018, Meyerhoff ist 51 Jahre alt, er sitzt in der Küche, als plötzlich der Raum um ihn herum zusammenfällt und die linke Körperseite innerhalb weniger Minuten „wegradiert“ wird. Die Diagnose ist sofort klar, die Notwendigkeit zu handeln auch: Der Schauspieler schwebt in Lebensgefahr – bei Schlaganfällen geht es um Zeit, wie ihm der damals überall plakatierte Slogan „Zeit ist Hirn“ in Erinnerung ruft. Und trotz alledem dauert alles schier endlos, bis der Krankenwagen eintrifft und die Stroke Unit an der Wiener Peripherie erreicht wird.

Eine Zunge wie „eine uralte Schildkröte“

Auf gut 50 hochspannenden Seiten beschreibt Meyerhoff diese ersten Stunden – und steckt da zugleich die Grundpfeiler dieses Buchs ab: Wie immer bei diesem Autor, und diesmal ganz besonders, ist das Assoziative, das Sprudelnde, das Überbordende Programm. Vom Patchworkfamilien-Szenario über das Pizza-Tattoo des Rettungssanitäters bis zur übervollen „Kotztüte“ braucht es quasi nur wenige Sätze – und schon ist man wieder mittendrin, mitgerissen von den Meyerhoff’schen Fabulier- und Beobachtungskünsten und seiner Meisterschaft, selbst den tragischsten Momenten Komik abzuringen.

Buchcover von Joachim Meyerhoffs „Hamster im hinteren Stromgebiet“
Kiepenheuer&Witsch

Buchhinweis

Joachim Meyerhoff: Hamster im hinteren Stromgebiet. Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 24,70 Euro.

Die geschwollen-taube Zunge fühlt sich an wie die einer „uralten Schildkröte“, und besagtes Speibsackerl, das Meyerhoff an einen Kirchenklingelbeutel erinnert, wird von Kurve zu Kurve voller: „Das gelähmte Gemeindemitglied war in Spendierlaune.“

Todesängste auf der Intensivstation

Meyerhoff hatte Glück im Unglück: Betroffen ist „nur“ das Kleinhirn, das titelgebende „hintere Stromgebiet“, wie es im medizinischen Fachjargon heißt, sieht „sehr gut“ aus. Neun Tage wird er im Krankenhaus verbringen. Vor allem in der Nacht quälen ihn dort Existenzängste und die Todesangst, einen weiteren Schlaganfall zu erleiden: Der Ich-Erzähler beschließt deshalb, sich selbst mit Geschichtenerzählen herauszubugsieren und erinnert sich an frühere Reisen nach Norwegen, in den Senegal und an eine katastrophal-misslungene Patchworkfamilienreise nach Mallorca. Soll dem Roman vielleicht Entschleunigung bringen, ist aber doch etwas zu gewollt konstruiert.

Viel besser gelingen da die Schilderungen des Krankenhausalltags – denn die Situation scheint wie gemacht für Meyerhoffs scharfe (Selbst-)Beobachtungsgabe: die Krankenhauskulinarik (der Früchtetee schmeckt wie „verflüssigte Depression“), die Mitpatienten auf der Intensivstationen („der Sonnenbrillenmann verschwand im Bad, schleifte das Kabel seines EKGs wie den Schwanz eines elektrischen Mephistopheles hinter sich her“) oder die Rehabilitationsübungen, die dem einstigen schauspielerischen Verausgabungskünstler wie ein Hohn erscheinen.

Wohldosierte Einblicke ins Privatleben

Trost gegenüber der Krankenhaus-Tristesse, die bei aller Komik immer durchscheint, bietet dem Ich-Erzähler seine Familie: der vierjährige Sohn, die zwei Töchter aus erster Ehe und seine Frau Sophie. In wohlüberlegten Dosen gibt Meyerhoff Einblick in sein Privatleben, mit zweierlei Ausprägungen: amüsiert-distanziert, wenn er seine Kinder als „verlässliche Lieferanten von Gegenwart“ beobachtet (etwa ihr Faible für Slime und Tiktok) und mit etwas Pathos und Rührseligkeit, die bei solchen Lebensrückschauprojekten nicht selten sind.

Der Schlaganfall war für Meyerhoff schließlich der Anlass, Wien zu verlassen, auszubrechen aus der Starre und der Veränderungsresistenz der Stadt und noch einmal neu zu beginnen. Seit 2019 spielt er an der Berliner Schaubühne. Der Roman ist dennoch so etwas wie eine Liebeserklärung an Wien geworden: Vielleicht manchmal etwas nahe am Klischee, fängt er Eigenheiten wie den Stolz auf den alkoholbedingten Filmriss ein und würdigt Formulierungen wie „nix passiert“, „I a“, oder eben auch das „Schlagerl“: Das Vokabel, vorgebracht durch die Physiotherapeutin, scheint Meyerhoff als ideales Wort, um die Brutalität des Schlaganfalls zu bändigen: „Ich hatte weder eine Hemiplegie noch einen preußischen Schlagfluss. Nein, ich hatte ein Schlagerl. Ich war ein Schlagerlstar!“