MIt Rot- und Grünstift korrigierte Gesetzesentwürfe
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Coronavirus

Gesetze in Krisenzeiten

Was in Coronavirus-Zeiten erlaubt ist und was nicht, ist vor allem eine Entscheidung der Politik. Für die rechtlichen Ausgestaltungen sind Juristen und Juristinnen in den einzelnen Ministerien zuständig – allen voran jene im Gesundheitsressort. Zig Verordnungen und Gesetze wurden seit Beginn der Krise kundgemacht, und genauso lang stehen sie schon in der Kritik. Warum es an der Qualität mangelte, dürfte viele Gründe haben.

Zu kompliziert, zu schwammig, nicht nachvollziehbar: Verordnungen und Gesetzesentwürfe aus dem Gesundheitsministerium scheinen im Krisenleben mehr Fragen aufzuwerfen, als Antworten zu geben. In den vergangenen Monaten sprachen namhafte Rechtsexperten wie Heinz Mayer und Manfred Matzka von „Schlampigkeit“ und attestierten den Legistinnen und Legisten Unvermögen. Nach einer Novelle der Einreiseverordnung, die in Schachtelsätzen unterging, sagte sogar Ressortchef Rudolf Anschober (Grüne): „Das war schlechte Arbeit. Ich trage die Verantwortung dafür. Wir stellen uns neu auf.“

Laut Ministerium stehen zusätzliche Juristen und Juristinnen kurz vor der Aufnahme. Über mangelnde externe Expertise kann sich das Ressort nicht beklagen. Derzeit wird das Team, das für die Coronavirus-Gesetze zuständig ist, von einem Beratergremium begleitet und steht im ständigen Austausch mit dem Verfassungsdienst. So zuletzt auch bei der Novelle des Tuberkulosegesetzes, des Epidemiegesetzes und des Covid-19-Maßnahmengesetzes. Trotzdem mangelte es nach Ansicht vieler Fachleute, die sich am Begutachtungsprozess beteiligt hatten, an der notwendigen legistischen und inhaltlichen Qualität.

Idealfall „nicht immer lebbar“

„Wo gehobelt wird, da fliegen Späne“, sagt Meinhild Hausreither, eine der drei Einsatzleiter des CoV-Krisenstabs des Gesundheitsministeriums und stellvertretende Chefin der Sektion IX „Öffentliche Gesundheit, Lebensmittel und Veterinärrecht“. Zehn Personen – fünf Juristen und fünf Rechtspraktikanten – arbeiten derzeit an den Verordnungen und Gesetzen samt Novellen sowie an den Erlässen und Rechtsauskünften zu Covid-19. Punktuell könne man auch auf andere Abteilungen zurückgreifen – und weiters eben auf den Rechtsberaterstab und die Fachleute aus dem Verfassungsdienst, sagt die langjährige Rechtsexpertin. „Es wird unter Hochdruck gearbeitet. Natürlich nervt die Kritik, das gebe ich zu. Sie war aber zum Teil berechtigt.“

Buchhinweis

Barbara Beclin, Sebastian Reinfeldt, Clemens-Maria Sampl, Jakob Tschachler, Susanne Zöhrer: Parlamentarische Praxis. Leitfaden zur Arbeitsweise im Nationalrat. Facultas, 204 Seiten, 28 Euro.

Hausreither betont, dass die Coronavirus-Krise quasi alles auf den Kopf gestellt habe. „Die gesamte Begutachtung fiel wegen der Dringlichkeit weg“, sagt sie. Trotz der Quantität versuche man, die Rechtsqualität zu gewährleisten. Wegen der hohen Geschwindigkeit und der teils „ambitionierten“ Vorgaben der Politik liege es aber „in der Natur der Sache, dass sich Fehler einschleichen. Die Juristerei ist keine exakte Wissenschaft wie die Mathematik. ‚Zwei Juristen, drei Meinungen‘, heißt es. Dem kann ich nur zustimmen. Am Ende obliegt es den Höchstgerichten zu beurteilen, ob ein Rechtsakt gesetzwidrig oder verfassungswidrig ist.“

Nach Meinung der Kritiker und Kritikerinnen dürften so offensichtliche Fehler aber nicht passieren – gerade wenn ein Entwurf zuerst durch mehrere Hände wandert, bevor die Öffentlichkeit ihn dann zu Gesicht bekommt. Die Zeit sei das Problem, heißt es. Der Idealfall wäre, so Hausreither, dass schon im Vorfeld die politischen Ideen fachlich und rechtlich umfassend diskutiert werden. Das sei aber „nicht immer lebbar“, sagt sie mit Blick auf das Coronavirus. Die Pandemie würde den Ton angeben. Mit dem Kabinett von Gesundheitsminister Anschober werden die Entwürfe im Detail abgestimmt, am Ende entscheide aber die Politik über die Endfassung.

Zu schnell für die Legistik

Oft hatte man in den vergangenen Monaten allerdings das Gefühl, dass die Politik schneller agiert, als es den Juristen und Juristinnen lieb ist. Denn vieles, was in Pressekonferenzen angekündigt wird, ist rechtlich noch gar nicht gedeckt. Die Rechtsabteilung arbeitet aufgrund von politischen Vorgaben. „Wenn die Regierung zuerst der Öffentlichkeit sagt, welche Maßnahmen kommen, dann stehen die Juristen unter Druck, das auch so umzusetzen“, sagt eine Person, die jahrelang im Verfassungsdienst auch mit dem Gesundheitsressort arbeitete. In fast allen Fällen werden Entwürfe noch mit dem Regierungspartner abgeklärt und auch mit Stakeholdern aus Wirtschaft besprochen. „Als Beamter weißt du nicht immer, wer alles mitmischt. Es ist wie eine Blackbox.“

Dass nicht alles so friktionsfrei umgesetzt werden kann, wie von der Regierung öffentlich präsentiert wird, verdeutlichte nicht zuletzt die erste Verordnung zur Bekämpfung des Coronavirus. Nicht nur, dass Teile der Verordnung laut Verfassungsgerichtshof gesetzeswidrig waren: Die von den Regierungsmitgliedern mantraartig betonten „vier Gründe, das Haus zu verlassen“, sorgten für Tausende Anzeigen und Rechtsunsicherheit. Am Ende schien niemand mehr so recht zu wissen, was im Einzelfall galt. Viele Strafen wurden verhängt, einige aber auch wieder aufgehoben, weil nicht gegen das Recht verstoßen wurde.

Auch ein ehemaliger Beamter, der mehrere Jahre in der Rechtsabteilung im Gesundheitsressort arbeitete, sagt im Gespräch, dass die Politik Druck aufbaut. „Mit den täglichen Pressekonferenzen macht man dem Rechtsdienst keinen Gefallen“, sagt er und verteidigt seine ehemaligen Kollegen und Kolleginnen. Man habe sich zwar immer wieder auf eine Epidemie bzw. Pandemie vorbereitet, auch das Epidemiegesetz stand auf der To-Do-Liste. Allerdings sei das Ausmaß, das das Coronavirus erreicht, nicht abschätzbar gewesen. Hinzu komme, dass man seit Jahrzehnten bei den Beamten und Beamtinnen einspare. „Egal, ob beim Fachpersonal oder beim Equipment. Das wirkt sich nun aus.“

„Kopflose“ Sektion

Im Gesundheitsministerium ist die Leitung der Sektion IX Öffentliche Gesundheit seit Frühjahr 2019 unbesetzt. Der ehemalige Leiter Gerhard Aigner ging in Pension, die auf fünf Jahre befristete Stelle wurde auch ausgeschrieben, der Platz blieb aber leer. Obwohl die Bewerbungsfrist am 30. April 2019 endete, begründete man den Abbruch des Verfahrens mit der am 17. Mai publik gewordenen „Ibiza-Affäre“ und dem darauffolgenden ÖVP-FPÖ-Regierungsende. In der Sektion IX, die stellvertretend auch von Hausreither geführt wird, liegen die Rechtsangelegenheiten zu übertragbaren Erkrankungen, das Krisenmanagement und die Seuchenbekämpfung.

Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium für Verkehr Innovation und Technologie, Gesundheitsministerium, Verkehrsministerium
Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz
Ende März 2019 wurde die Ausschreibung für den Posten der Sektionsleitung im Amtsblatt der „Wiener Zeitung“ veröffentlicht

Die „kopflose Sektion“, wie es ein ehemaliger Beamter bezeichnet, sei aber nur ein Symbol des „allgemeinen Aushungerns der Verwaltung“. Während die Kabinette, die Gesetzesentwürfe abnehmen und sagen, ob noch Änderungen nötig sind, größer und moderner werden, spare man in der Verwaltung. Es sei immer schwieriger geworden, der Politik zu erklären, was rechtlich möglich ist und was nicht. „In den vergangenen Jahren hat quantitativ das juristische Know-how in den Ministerien immer abgenommen. Man probierte, ob man mit weniger Personal zum gleichen Endprodukt kommt“, sagt er. Durch den Druck sinkt auch die Attraktivität des Jobs. „Kein Jurist, der aufsteigen will, will in ein Ministerium.“

Demnächst soll das Gesundheitsministerium ohnehin ganz umgebaut werden. Die Sektion IX wird etwa aufgelöst, die Abteilungen werden auf andere Sektionen aufgeteilt. Nötig sei aus „sachpolitischen Gründen erforderlich“, hieß es von Gesundheitsminister Anschober zu einer FPÖ-Anfrage. Die Änderungen im Jahr 2018 – unter Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) – seien „von Anbeginn aufgrund der Zerschlagung der Strukturen für den Krisenfall im Zentrum der Diskussionen“ gestanden. Gerade die Coronavirus-Krise habe das bestätigt. Künftig soll es auch wieder einen Generaldirektor bzw. eine Generaldirektorin für Öffentliche Gesundheit geben.

Gerüchteküche brodelt

Knappe Personalressourcen und die schlechte Ausstattung im Ressort sowie eine politische Überkommunikation würden die Mängel bei Verordnungen und Gesetzen nur zum Teil erklären, sagt der ehemalige Spitzenjurist im Verfassungsdienst. „Die Legistik ist ein Handwerk, das funktionieren muss. Das klappt in einigen Rechtsabteilungen besser als in anderen“, sagt er. Ein externer Beraterstab könne zwar hilfreich sein, aber „wenn ich nicht in der Lage bin, einen Tisch zu bauen, dann hat es keinen Sinn, über die Lackierung zu sprechen“.

Seit Wochen wird dem ÖVP geführten Bundeskanzleramt, in dem der Verfassungsdienst sitzt, nachgesagt, das Gesundheitsministerium absichtlich auflaufen zu lassen. So würden etwa Gutachten nicht rechtzeitig geliefert werden. Der Grund: Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sehe in Anschober nämlich eine Konkurrenz. Deshalb müsse der Minister als „Sündenbock“ herhalten, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Sowohl in der Rechtsabteilung des Gesundheitsressorts als auch im Verfassungsdienst spricht man allerdings von einer guten Zusammenarbeit.

Dass die Juristen und Juristinnen des Bundeskanzleramts eine scharfe Stellungnahme zur Novelle des Epidemiegesetzes nachlieferten, obwohl man schon davor an den Änderungen mitgearbeitet hatte, sei vereinbart gewesen, sagte Hausreither. Die stellvertretende Sektionschefin wünscht sich mehr Zeit für die Erarbeitung und Finalisierung der Rechtstexte, „was allerdings von nicht beeinflussbaren Faktoren abhängt", wie sie im Gespräch sagt. Dass es im Herbst und Winter im Gesundheitsressort ruhiger wird, darf bezweifelt werden. Demnächst stehen nämlich weitere Verordnungen an – und auch die Arbeit, die abseits der Coronavirus-Krise noch anfällt.