Wahlplakat zur Wiener Gemeinderatswahl 2020
ORF.at/Peter Pfeiffer
Wien-Wahlkampf

Schützenhilfe aus der Bundespolitik

Wien wählt – doch auf den Wahlplakaten finden sich Gesichter, die mit den Landtags- und Gemeinderatswahlen nur bedingt zu tun haben. Spitzenpolitiker und -politikerinnen aus dem Bund lächeln den Wählern und Wählerinnen entgegen. Dass sie nicht zur Wahl stehen, spielt dabei keine Rolle. Im Kampf um Stimmen zählt alles, bei dem man gut dasteht.

Die Landesorganisationen aller fünf Parteien, die im Nationalrat sitzen, treten bei der Wien-Wahl am 11. Oktober an – drei davon setzen aber nicht nur auf ihre Spitzenkandidaten, sondern auch auf bekannte Bundespolitiker. So stellten die Wiener Grünen ihrer Spitzenkandidatin Birgit Hebein Gesundheitsminister Rudolf Anschober zur Seite. Neben dem für die ÖVP ins Rennen gegangenen Finanzminister Gernot Blümel wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz plakatiert. Und zu NEOS-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr gesellt sich seine Bundeschefin Beate Meinl-Reisinger, die – wie Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper – zuvor auch allein am Plakat zu sehen war.

SPÖ und FPÖ verzichteten bisher auf sichtbare Unterstützung aus ihren Bundesorganisationen. Weder SPÖ-Bundeschefin Pamela Rendi-Wagner noch FPÖ-Chef Norbert Hofer sind auf den Wien-Plakaten zu sehen. Für die Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller ist das alles wenig überraschend, wie sie im Gespräch mit ORF.at sagt. Denn die Expertin, die am Vienna Center for Electoral Research der Uni Wien forscht, hatte sich zuletzt genau damit beschäftigt: Womit wirbt eine Partei im Wahlkampf und warum gerade damit?

Wahlplakat zur Wiener Gemeinderatswahl 2020
ORF.at/Peter Pfeiffer
Gesundheitsminister Anschober wirbt für Grün-Kollegin Hebein

Abspringen oder mitfahren

„Grundsätzlich gilt, dass Parteien im Wahlkampf etwas hervorheben, bei dem sie glauben, besonders gut dazustehen“, sagt Partheymüller. Die Partei betont sozusagen ihre „Schokoladenseite“. Das kann ein bestimmtes Sachthema sein, bei dem man in den letzten Jahren kompetent aufgetreten ist, oder eben auch Personen, die nicht nur Sachkenntnis besitzen, sondern allem voran bekannt sind und vielleicht in der Bevölkerung gut ankommen. Der Wien-Wahlkampf sei ein gutes Beispiel für diese Kampagnenstrategie, so die Expertin. „Die Praxis hat die Theorie bestätigt.“

Landesparteien würden sich nämlich im Wahlkampf nur dann aus dem Potpourri der Bundespartei bedienen – sei es bei Sachthemen oder Persönlichkeiten –, wenn diese selbst gut dasteht. „Entweder springt man vom Bundeszug ab oder man fährt mit“, erklärt Partheymüller. Es sei deshalb wenig überraschend, dass in Wien ÖVP, Grüne und NEOS auf Bundespolitiker setzen. „Kurz und Anschober erhalten noch immer hohen Zuspruch aus der Bevölkerung und sind in der Krisenzeit medial präsenter als andere Politiker“, so die Expertin, für die NEOS-Chefin Meinl-Reisinger ebenfalls in diese Riege fällt.

ÖVP-Plakat mit Gernot Blümel und Sebastian Kurz
ORF.at
Die Wiener ÖVP setzt nicht nur auf Blümel, sondern auch auf Bundeskanzler Kurz

Die Frage, die sich stellt: Repräsentieren die Spitzenkandidaten die eigenen Themen nicht gut genug, um Stimmen zu bekommen? Es gehe nicht immer um gewinnen oder verlieren, sagt Partheymüller. Wichtig für eine Partei ist auch, das Bestmögliche rauszuholen. Die Forscherin spricht vom „Versuch einer Überstrahlung“, die sich jede Partei erhofft. Bei NEOS könne man etwa annehmen, dass mit den Sujets von Meinl-Reisinger – früher von Stephanie Krisper – bekannte Themen nochmals verstärkt werden sollen. Aber Tatsache sei auch, dass Spitzenkandidat Wiederkehr kaum bekannt ist.

Keine schlechten Erinnerungen wachrufen

Anders sieht es freilich bei den Spitzenkandidaten von ÖVP und Grünen aus. Blümel ist Finanzminister, Hebein Wiens Vizebürgermeisterin. An Bekanntheit mangelt es beiden freilich nicht. Jedoch genießen ihre Plakatpartner enormes Vertrauen. Sowohl Bundeskanzler Kurz als auch Sozialminister Anschober liegen bei Umfragen weit vor ihren Kollegen. Auffällig ist etwa, dass bei den Grünen nicht das Gesicht von Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler auf das Plakat gedruckt wurde. Hebein argumentierte bei der Präsentation, dass man Klima und Gesundheit verbinde und eben das betonen wollte.

Ein anderer Grund könnte freilich die Haltung der Wiener Grünen zur ÖVP-Grünen-Koalition im Bund sein. Bei der Nationalratswahl konnten die Grünen in allen Bundesländern dazugewinnen – mit einem Plus von knapp 15 Prozent aber am meisten in Wien. Die Wiener Grünen waren einer Regierungsbeteiligung mit der ÖVP allerdings abgeneigt. Möglich wäre, so Partheymüller, dass man deshalb auf Kogler auf dem Plakat verzichtete. „Zumindest indirekt könnte sich die Wiener Basis wieder an die Koalition im Bund erinnern, die ja auch negativ gesehen wird.“

Wahlplakat von NEOS
ORF.at/Günther Rosenberger
NEOS-Spitzenkandidat Wiederkehr soll von der Bekanntheit seiner Chefin profitieren

Dass Blümel nicht nur durch einen Bundespolitiker „beworben“ wird, sondern selbst einer ist, sei nicht „ganz ungefährlich“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Sie erinnert an Norbert Röttgen, den ehemaligen deutschen Umweltminister und CDU-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012. Nach einigen Patzern im Wahlkampf und der darauffolgenden Wahlschlappe galt Röttgen als „geschwächter Minister“. Wenige Tage später wurde er von seinen Aufgaben als Umweltminister entbunden. Blümel hatte zuletzt angekündigt, dass er als Vizebürgermeister nach Wien gehen würde.

SPÖ gibt sich „präsidial“, FPÖ „blickt nach vorn“

Im Gegensatz zu ÖVP, Grünen und NEOS springen SPÖ und FPÖ nicht auf den Zug der Bundesparteien auf. Die Sozialdemokraten in Wien setzen laut Partheymüller auf einen Wahlkampf, der sehr „präsidial“ angelegt sei. Der bisherige Bürgermeister werde auch so verkauft, eine andere bekannte Person auf dem Wahlplakat würde dieses Narrativ zerstören, so die Forscherin. Außerdem ähnelt die gesamte Kampagne an jene der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Jahr 2013. „Wie Ludwig hat auch sie ihre Hände prominent platziert: ‚Deutschlands Zukunft in guten Händen‘, hieß es. Das scheint fast wie abgeschrieben.“

Grafik zur Gemeinderatswahl in Wien 2015 und Nationalratswahl 2019
Grafik: APA/ORF.at, Quelle: APA

Hinzu kommt, dass Parteichefin Pamela Rendi-Wagner derzeit nicht die Werte hat, die Kurz, Anschober und Meinl-Reisinger haben. Unter ihrer Parteiführung hat es in den vergangenen Monaten auch öfters interne Reibereien über politische Positionen gegeben. Solche Erinnerungen gilt es freilich zu vermeiden, wenn gerade der Wahlkampf läuft. Ähnlich ist es bei der Wiener FPÖ unter Spitzenkandidat Dominik Nepp. „Die FPÖ richtet ihren Blick nach vorn“, sagte Partheymüller, „bloß nicht zurück in die Vergangenheit, es wird kein Bundespolitiker plakatiert.“

Auch Hofer, der nach der Bundespräsidentenwahl 2016 enorm an Beliebtheit gewonnen hatte, hat keinen Platz auf einem Plakat gefunden. Möglich sei, dass man auch die vergangene Nationalratswahl, bei der die FPÖ mit Spitzenkandidat Hofer stark verloren hatte, vergessen lassen will, sagt die Wissenschaftlerin. Es reicht aber auch ein Blick auf das Ergebnis der Nationalratswahl 2019: Die Gesichter jener Parteien, die gegenüber 2017 zulegten und quasi als Gewinner vom Platz gingen, sieht man heute auf den Wahlplakaten der Wiener Landesorganisationen.