Sterbehilfe: Grundsatzfrage vor Verfassungsgericht

Auf Antrag von vier Personen hat sich gestern der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einer öffentlichen Verhandlung mit der in Österreich verbotenen Sterbehilfe befasst. Konkret ging es um die beiden Verbote von „Tötung auf Verlangen“ und „Mitwirkung am Selbstmord“.

Einige wenige Aktivisten und Interessierte fanden sich vor dem Gerichtshof auf der Wiener Freyung ein. Drinnen durften nur Personen der Verhandlung beiwohnen, die zuvor per Los ausgesucht wurden – pandemiebedingt wurde der Zugang stark beschränkt.

Transparente der „Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende“  (ÖGHL)  vor Beginn einer öffentlichen Verhandlung des Verfassungsgerichtshofes (VFGH) zum Verbot der Sterbehilfe
APA/Herbert Neubauer

Wolfgang Obermüller erhielt keinen Zugang, kam aber dennoch in die Innenstadt. Er setzt sich seit Jahren im Rahmen der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) für die Aufhebung des Sterbehilfeverbots ein. Die „Zustände wie im Mittelalter“ im Land seien „nicht hinnehmbar“, so Obermüller zu ORF.at.

Der Staat müsse anfangen, die Selbstbestimmung jedes Menschen zu respektieren, sagte er. Seine Petition für einen Rechtsanspruch auf professionelle Sterbehilfe sei die größte einschlägige im deutschsprachigen Raum. Er tritt sowohl für aktive Sterbehilfe als auch die Assistenz beim Suizid ein. Die entsprechenden Gesetze zeigten den großen Reformbedarf, sowohl in Inhalt als auch Form, so Obermüller.

Nach Paragraf 77 und 78 des Strafgesetzbuches ist aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) sowie Mitwirkung am Suizid verboten. Beides ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

Regierung sieht Missbrauchspotenzial

Verteidigt wurde das Verbot bei der Verhandlung von Vertretern der Regierung, unter anderen vom Chef des Verfassungsdiensts im Kanzleramt, Albert Posch, sowie von den Justizsektionschefs Georg Kathrein und Christian Pilnacek.

„Wir haben ausreichend Möglichkeiten, um ein menschenwürdiges Sterben auf unseren Palliativstationen und anderen Stationen zu gewährleisten“, sagte in der Verhandlung der Palliativmediziner Herbert Watzke. Es sei schon jetzt möglich, Behandlungen zu verweigern – also etwa auch im Fall einer zusätzlich auftretenden Infektionskrankheit die Antibiotika abzulehnen. „Praktisch alle Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungen neigen zu Infektionen. Sie können diese Möglichkeit nutzen, selbstbestimmt mit unserer Betreuung würdevoll das Leben zu verlassen.“

Patientin gegen „Hintertürchen“

Nicht gelten lassen wollte das Nikola Göttling, selbst an Multipler Sklerose erkrankt und Auskunftsperson der Antragsteller. „Es gibt Hintertürchen, das stimmt“, sagte sie. „Ich muss mir nur eine Infektion zuziehen, dann ins Krankenhaus fahren und die Behandlung verweigern.“ Aber ihre Beine seien bereits gelähmt, und wenn die Lähmung in den nächsten Jahren auch ihre Arme erfasse, dann müsse sie gewickelt und gefüttert werden. Sie wolle daher kein „Hintertürchen“, sondern die Möglichkeit zu sterben, „weil mein Leben entwürdigend ist“.

Der Fall war bereits im Juni Gegenstand von Beratungen des VfGH. Nach der öffentlichen Verhandlung wird der Gerichtshof die Beratungen in seiner Oktober-Session fortsetzen und gegebenenfalls einen weiteren Verhandlungstermin anberaumen. Der Termin für die Verkündigung der Entscheidung wird später bekanntgegeben.