Filmszene aus Avatar2
Disney
„Avatar 2“ und Co.

Blockbuster-„Horten“ wird Kino verändern

Die Fortsetzungen von „Top Gun“, „Star Wars“ und „Avatar“, dazu die programmierten Disney-Straßenfeger „Black Widow“, „West Side Story“ und „Tod auf dem Nil“: Wer Hunderte Millionen Euro in seine Filme investiert, will sie dann nicht vor halbvollen Kinos zeigen. Immer weiter nach hinten werden die Blockbuster verschoben – mit weitreichenden Konsequenzen.

Wegen der Coronavirus-Pandemie hat das Disney-Studio den Kinostart von Filmen wie „Black Widow“, „West Side Story“ und „Tod auf dem Nil“ verschoben. Der Superheldenstreifen „Black Widow“ mit Scarlett Johansson soll nun statt in diesem November erst im Mai 2021 in die US-Kinos kommen. Kenneth Branagh muss die Premiere seiner Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ von Oktober auf Dezember verlegen. Der Start von Steven Spielbergs Neuverfilmung des Filmmusicals „West Side Story“ wird um ein ganzes Jahr geschoben, von Weihnachten 2020 auf Dezember 2021.

Wegen Kinoauflagen und Drehverzögerungen waren schon in den vergangenen Monaten zahlreiche Startpläne umgeworfen worden, auch für Filme wie „Top Gun: Maverick“ und Fortsetzungen der Blockbuster-Reihen „Star Wars“ und „Avatar“. Hollywood zieht die Notbremse, weil viele US-Kinos wegen der anhaltenden Coronavirus-Pandemie entweder geschlossen sind oder nur mit geringer Auslastung öffnen dürfen. Christopher Nolans durchaus bemerkenswerter Zeitreisenthriller „Tenet“ war Anfang September auf die Leinwand gekommen, enttäuschte aber an den Kinokassen.

„Vernünftige Entscheidung“

Betroffen ist auch der von Chloe Zhao inszenierte Marvel-Film „The Eternals“. In dem Streifen mit Angelina Jolie, Kit Harington und Kumail Nanjiani leben unsterbliche Wesen seit Jahrtausenden unerkannt auf der Erde und kommen plötzlich zum Vorschein. Statt bis Februar müssen sich die Fans nun bis November 2021 gedulden.

Schauspieler und Komiker Nanjiani (42, „The Big Sick“) begrüßte den Aufschub. „Marvel hat die richtige und vernünftige Entscheidung getroffen. Wir haben eine Pandemie. Nichts ist wichtiger als Gesundheit und Leben“, schrieb Nanjiani auf Twitter. Er könne den Leuten nicht zum Kinobesuch raten, bis er sich selbst sicher fühle. „Ich verspreche euch, das Warten wird sich lohnen!“

Universal-Deal für teures Kinostreaming

Die Aufschubstrategie hat weitreichende Konsequenzen. Erstens: Streaming spielt eine noch größere Rolle. Zweitens: Das Kinosterben kann nur noch durch massive staatliche Subventionen verhindert werden – gerade auf kleinen Märkten wie in Österreich. Zunächst zum Streaming. Universal Pictures wird seine Filme in den USA nun bereits 17 Tage nach dem Kinostart in den Onlineverleih bringen können. Dabei geht es zwar um Premiumangebote, bei denen Filme für 15 bis 20 Euro ausgeliehen werden können – also zum Preis eines Kinobesuchs. Dennoch hat der Deal zwischen Universal und der weltgrößten Kinokette AMC das Potenzial, die Branche zu verändern.

Denn bisher waren neue Filme üblicherweise mehrere Monate nur im Kino zu sehen – und die Kinobetreiber verteidigten diese Exklusivität. Das Zeitfenster ist in den vergangenen Jahren bereits kürzer geworden. Die Coronavirus-Krise beschleunigte diesen Wandel.

Der Streamingvormarsch

Kinostarts werden nicht nur aufgeschoben, und Filme kommen nicht nur schneller ins Streaming. Es verstärkt sich auch die von Netflix und Amazon Prime angeschobene Entwicklung, dass Filme gleich gar nie ins Kino kommen. Universal etwa brachte seinen Animationsfilm „Trolls World Tour“ im Frühjahr direkt in den Onlineverleih. Das zahlte sich aus: In drei Wochen spielte der Film allein auf dem US-Markt knapp 100 Millionen Dollar ein.

Der Chef des Konzerns NBCUniversal, Jeff Shell, geht davon aus, dass Filme in Zukunft grundsätzlich gleichzeitig im Kino und im Streaming starten sollen. Gerade für kleinere Kinos wäre das fatal. Sie sind in einer Art Doppelzange unter Druck. Zum einen haben sie oft nur einen einzigen Saal, in dem zwei bis maximal drei Filme pro Tag gezeigt werden. Durch Covid kommen ohnehin weniger Menschen ins Kino. Selbst bei groß angekündigten Arthouse-Filmen, die sonst für volle Säle sorgen, kann man momentan nur die Hälfte der Kinokarten verkaufen – bei gleichbleibenden Fixkosten.

Die Entwicklung zu Ende gedacht

Und das Verschieben der Blockbuster hat einen weiteren Effekt für kleinere Häuser, wie kürzlich die Betreiberin des Wiener Admiral Kinos, Michaela Englert, in einem Interview mit ORF.at erklärte. Die großen Kinoketten, die normalerweise kleinere, lokale Produktionen, wie sie üblicherweise in Arthouse-Kinos gezeigt werden, nicht einmal mit der Kneifzange angegriffen hätten, spielen diese nun in ihren kleineren Sälen. Das saugt von den Arthouse-Kinos weiter Publikum ab. Ohne massive Subventionen werden viele von ihnen schließen müssen – was sich nach einem Ende der Coronavirus-Krise nicht einfach rückgängig machen lässt. Dann werden die Ausspielungsorte für lokale Produktionen fehlen, denn die Blockbuster-Kinos haben ja wieder ihre Blockbuster.

Und wenn die Ausspielungsorte fehlen, bleibt für jene „leiseren“ Filme, die lokale Thematiken reflektieren, nur noch das Streaming. Das wiederum könnte die Produktionsbedingungen entscheidend verändern. Denn für die große Leinwand und ein ausgeklügeltes Soundsystem wird nach anderen Kriterien produziert. Und auch dramaturgisch muss anders gearbeitet werden, wenn auf kleinen Bildschirmen permanent gegen die Konkurrenz von Social-Media-Nachrichten angekämpft werden muss. Eine ganze Kunstgattung, die in den letzten 100 Jahren zum gesellschaftlichen Reflexionsprozess beigetragen hat, droht zu verschwinden. Fürs Kino bliebe dann nur noch Unterhaltung.