US-Präsident Donald Trump
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„Abwarten, was passiert“

Trumps Poker mit einer Wahlanfechtung

Man müsse erst einmal „abwarten, was passiert“. Mit diesen Worten hat US-Präsident Donald Trump zuletzt eine Garantie für eine friedliche Machtübergabe verweigert, sollte er in rund sechs Wochen die Präsidentschaftswahl gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden verlieren. Das Weiße Haus war am Donnerstag um Klarstellung bemüht. So wie viele andere zeigte sich zuvor auch Biden über die Aussagen des amtierenden US-Präsidenten irritiert: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

In der Folge versuchte der führende Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, die Wogen wieder zu glätten und versicherte, dass es im Fall eines Regierungswechsels nach der Wahl im November einen geordneten Übergang geben werde. „Der Sieger der Wahl am 3. November wird am 20. Jänner ins Amt eingeführt. Es wird einen geordneten Übergang geben, so wie es seit 1792 alle vier Jahre der Fall war“, schrieb McConnell am Donnerstag auf Twitter.

Kopfschütteln über die von Trump verweigerte Garantie gibt es aber auch im republikanischen Lager – etwa bei Mitt Romney, welchem bei der von Trump anvisierten schnellen Nachbesetzung beim US-Höchstgericht eine Schlüsselrolle zukommen könnte. Alles andere als eine friedliche Machtübergabe sei „sowohl undenkbar als auch inakzeptabel“. Ansonsten „gibt es Weißrussland“, wie Romney in Anspielung an die mittlerweile auch von den USA nicht anerkannte Wiederwahl des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko am Donnerstag via Twitter weiter mitteilte.

Garant für Senatsmehrheit?

Obwohl namentlich nicht erwähnt, steht etwa für das US-Portal The Hill außer Frage, dass Romney damit auf Trump abzielte. Als einer der prominentesten Widersacher Trumps innerhalb der Republikanischen Partei, mag Romneys Seitenhieb zwar wenig verwundern – der 73-Jährige stellte sich allerdings erst am Dienstag hinter Trump. Konkret kündigte Romney an, dass er sich einer Abstimmung über eine von Trump vorgeschlagene Nachfolgerin für die verstorbene Höchstrichterin Joan Ruth Bader Ginsburg nicht entgegenstellen werde. Die für eine schnelle Nachfolge notwendige Senatsmehrheit könnte somit stehen.

Demokraten verweisen auf Ginsburgs letzten Wunsch

Durch die anstehende Ginsburg-Nachbesetzung ist nun jedenfalls für zusätzlichen Zündstoff in der finalen Phase des Wahlkampfs gesorgt. Die Demokraten fordern, dass Ginsburgs Posten im Supreme Court vom Sieger der Präsidentenwahl am 3. November besetzt wird. Das war nach Angaben ihrer Enkelin Clara Spera auch Ginsburgs letzter Wunsch.

Dazu kommt aber auch Widerstand auf republikanischer Seite. Sie werde kein Senatsvotum über die Nachfolgerin oder den Nachfolger Ginsburgs „so kurz vor der Wahl“ unterstützen, sagte die Senatorin Lisa Murkowski aus dem Bundesstaat Alaska. Zuvor hatte sich bereits die republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine gegen das von Trump gewünschte schnelle Votum gestellt.

Vor Obersten Gerichtshof aufgebahrt

Nach Ginsburgs Tod hat Trump das Recht, eine neue Verfassungsrichterin oder einen neuen Verfassungsrichter zu ernennen. Der Republikaner kann damit die konservative Ausrichtung des Supreme Court verstärken und langfristig zementieren. Ginsburg war am Freitag im Alter von 87 Jahren an Krebs gestorben. Die höchst angesehene Juristin war eine von vier Linksliberalen in dem neunköpfigen Richterkollegium.

Proteste bei Besuch Trumps an Sarg von Richterin Ginsburg

Begleitet von Protesten hat US-Präsident Donald Trump der verstorbenen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg die letzte Ehre erwiesen.

Trump erwies der Verstorbenen am Donnerstag die letzte Ehre. Trump kam mit seiner Ehefrau Melania zum vor dem Obersten Gerichtshof in Washington aufgebahrten Sarg der Richterin. Der Präsident trug dabei – wie nur sehr selten – eine Gesichtsmaske zum Schutz vor dem Coronavirus. Gestört wurde der Besuch von Protesten: Demonstranten riefen unter anderem „wählt ihn ab“ und „respektiere ihren letzten Willen“.

„Wir brauchen neun Richter“

Trump rechtfertigte die von ihm angestrebte schnelle Nachbesetzung bei einer Pressekonferenz zuletzt offen mit etwaigen Rechtsstreitigkeiten nach der geschlagenen Präsidentschaftswahl. Aus diesem Grund sei es „wichtig, dass wir neun Richter haben“. Es gelte abzuwarten, was passiert, lautete schließlich Trumps Antwort auf die Frage, ob er bei „Sieg, Niederlage oder Unentschieden“ bei der Wahl „hier und heute“ eine friedliche Übergabe zusichere.

Der 74-jährige Republikaner sät schon lange Zweifel an der Zuverlässigkeit des Wahlablaufs. Seine Kritik bezieht sich auf die Briefwahl, die er als extrem anfällig für Manipulationen darstellt. Experten widersprechen dieser Einschätzung allerdings entschieden. Wegen der Coronavirus-Pandemie wird damit gerechnet, dass diesmal deutlich mehr Bürger die Briefwahl nutzen als bei der vergangenen Wahl.

Warnung vor Protesten

Mit „Werden Sie die Stimmzettel los, dann wird es sehr friedlich werden“ stellte Trump in diesem Zusammenhang nun in den Raum, dass er die Briefwahlstimmen bei der Wahl nicht anerkennen könnte. Beobachter orten hier dann auch einen direkten Zusammenhang mit dem Nominierungsverfahren für den Obersten Gerichtshof. Trump benötige dort seinen Kandidaten für eine etwaige Anfechtung der Präsidentschaftswahl, wie etwa ABC berichtete.

Letztlich wird der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, den Zeitplan für die Prüfung des Kandidaten des Präsidenten durch den Senat festlegen, den Trump am Samstag auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus bekanntgeben will, wie der TV-Sender hier noch erinnert. Dennoch könne der Eindruck entstehen, dass der Präsident vorschnell und zur Absicherung seiner Wiederwahl über die Nachfolge entscheide. Das sagte gegenüber ABC schließlich Alan Morrison von der Washington University. Diesem zufolge würde es bei einer etwaigen Wahlanfechtung dann wohl breite Zweifel an der Objektivität des Höchstgerichts und auch „eine Menge Proteste“ geben.

„In was für einem Land leben wir?“

Der Minderheitsführer der Demokraten, Chuck Schumer, wirft Trump indes ein verzweifeltes Festhalten an der Macht vor. In einem Twitter-Beitrag wertete Schumer Trumps jüngste Aussagen als Gefahr für die Demokratie. „Präsident Trump: Sie sind kein Diktator, und Amerika wird es Ihnen nicht gestatten, einer zu werden“.

So wie Schumer sprach auch Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi von einer in einer Demokratie bedenklichen Entwicklung. Trump habe die amerikanische Demokratie mit Füßen getreten, wie Pelosi via Twitter mitteilte.

Trumps Präsidentschaftsrivale Biden reagierte auf Trumps Aussagen ungläubig. „In was für einem Land sind wir?“, fragte er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wilmington im US-Bundesstaat Delaware. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, so Biden, dem zufolge Trump „die irrationalsten Dinge“ sage.

„Präsident wird Ergebnisse akzeptieren“

Am Donnerstag bemühte sich das Weiße Haus schließlich um Klarstellung: „Der Präsident wird die Ergebnisse einer freien und fairen Wahl akzeptieren“, erklärte Präsidialamtssprecherin Kayleigh McEnany am Donnerstag auf Nachfrage von Journalisten.

Doch schürte Trump selbst weiter Zweifel an der „Ehrlichkeit“ des Urnengangs. „Wir müssen sicherstellen, dass die Wahl ehrlich ist. Aber ich weiß nicht, ob sie es sein kann“, sagte er mit Blick auf per Post abgeschickte Stimmzettel. Trump behauptet bereits seit Wochen, dass millionenfach an US-Bürger verschickte Wahlunterlagen die Gefahr von Wahlfälschung drastisch erhöhten. Experten und Wahlverantwortliche bestreiten das.

Trumps „liebste Phrase“

Trump hat bereits in der Vergangenheit für Aufsehen damit gesorgt, dass er sich nicht darauf festlegen wollte, das Wahlergebnis anzuerkennen. So sagte der Präsident im Juli in einem Interview des Senders Fox News auf die Frage, ob er das Ergebnis akzeptieren werde: „Das muss ich sehen.“ Ähnlich gelagerte Ankündigungen gab es von Trump schließlich auch im Wahlkampf vor vier Jahren. So legte er sich bei einer Debatte mit der damaligen demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton im Oktober 2016 ebenfalls nicht darauf fest, ob er im Fall einer Niederlage die Wahl anerkennen werde.

Was Trump hier tut, ist, alle möglichen Optionen auf dem Tisch zu halten, und das wurde laut CNN auch zu einem Markenzeichen der laufenden Präsidentschaft. Erkennbar sei das auch an Trumps „liebster Phrase“, wie CNN einmal anhand einer Liste von Beispielen nachzeichnete. Demnach habe sich Trump weder bei Personalien wie dem 2017 zurückgetretenen Justizminister Jeff Sessions noch bei nordkoreanischen Raketenstarts festlegen wollen, sondern wollte vielmehr: „abwarten, was passiert“.