Ein Mann vor einer Fensterreihe mit Blick auf die Skyline von Hongkong
APA/AFP/Anthony Wallace
Von Peking entsandt

Chinas „Politexperten“ bauen Hongkong um

Die Angleichung von Hongkong an China schreitet offenbar rasch voran. Während die anstehende Wahl verschoben wurde – wegen des Coronavirus, wie es offiziell heißt –, arbeiteten Pekings Männer fürs Grobe, Vertraute der Regierung und des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, im Hintergrund zügig an dem politischen Umbau der bisher halbautonomen Wirtschaftsmetropole, wie der „Guardian“ schreibt.

An dem Aus für die alte Formel „ein Land, zwei Systeme“ werde derzeit gearbeitet. Die Stadt werde Peking unterworfen, so die Zeitung weiter. Das sei ein Regimewechsel, der bereits im Hintergrund stattgefunden habe, zitiert der „Guardian“ den Politikwissenschaftler John Burns von der Universität Hongkong.

Großbritannien und China hatten bei der Übergabe der ehemaligen britischen Kolonie 1997 einen Vertrag geschlossen, der die Meinungsfreiheit in Hongkong für 50 Jahre garantieren sollte. Das von China durchgesetzte Hongkong-Gesetz Ende Juni sieht allerdings lange Haftstrafen für Rufe nach mehr Autonomie oder Unabhängigkeit für Hongkong vor. Wegen des Gesetzes wurde bereits eine Reihe von Aktivisten festgenommen. Schulen und Bibliotheken in der Stadt haben manche Bücher aus ihren Regalen verbannt.

Demonstranten in Hongkong
Reuters/Danish Siddiqui
Alles noch beim Alten – der Schein trügt in Hongkong

Die unscheinbare Arbeit im Hintergrund

Nur eine Woche nachdem das Gesetz in Kraft trat, übernahmen laut dem „Guardian“ Sicherheitsoffiziere aus Festlandchina ein 33-stöckiges Hotel nahe dem Victoria Park, international bekannt geworden durch die Demonstrationen der Demokratiebewegung, als ihre Zentrale. Einen Kilometer entfernt liegt das von Hongkongern gern als eigentliche Machtzentrale bezeichnete Gebäude mit dem Verbindungsbüro der chinesischen Zentralregierung. Auch das Verbindungsbüro war ein Ziel der Protestmärsche.

Das sei das neue Normal, so Jean-Pierre Cabestan, Politikwissenschaftler mit einem China-Schwerpunkt an der Hong Kong Baptist University. „Die Verbindungsoffiziere arbeiten ruhig und unauffällig im Hintergrund“, doch man könne ihren Einfluss und ihre Handschrift in jeder Verhaftung erkennen, so Cabestan zum „Guardian“. Offiziell haben die Verbindungsleute allerdings kein Amt in Hongkong.

Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam
Reuters/Tyrone Siu
Hongkongs offizielle Regierungschefin Carrie Lam

Parteihardliner „berät“ Lam

Für die Spezialaufgabe in Hongkong aktivierte Xi auch Vertrauensleute die sich bereits halb im Ruhestand befanden, so der „Guardian“ weiter. Chef des Verbindungsbüros ist der 65-jährige Luo Huining, so der „Guardian“. Als Parteisekretär, dem höchsten Parteiamt in der Provinz, widmete er sich dem Kampf gegen Korruption. Korruption wird jedoch auch als Anklagepunkt für Regimekritiker und Regimekritikerinnen „verwendet“.

Seine vorherige Hongkong-Erfahrung habe sich auf eine kurze berufliche Reise 2018 nach Hongkong, beschränkt, so der „Guardian“ über den „Parteihardliner“. Zusätzlich sei er Berater in einem Gremium der offiziellen Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam. Das zeige, wer tatsächlich das Sagen habe, so der „Guardian“ mit Verweis auf Politikexperten. „Luo Huining sei die Person, die dort die Macht ausübe, nicht Carrie Lam“, so Suzanne Pepper, eine Schriftstellerin und Expertin für chinesische Politik gegenüber dem „Guardian“. Die Machtstruktur habe sich durch das neue Gesetz drastisch verändert.

Mitglied in Xis „eiserner Armee“

Laut dem „Guardian“ steht über Luo noch Xia Baolong. In seiner Zeit als Parteisekretär in der Provinz Zhejiang habe er die Schleifung von Kirchen 2014/15 beaufsichtigt. Xia gilt als Schützling von Präsident Xi und Mitglied in seiner „eiserne Armee“ von schlagkräftigen höheren Beamten und Parteigranden. Auch der 67-jährige Xia wurde von Xi wieder aus dem halben Ruhestand reaktiviert. Xia sitzt dem staatlichen Büro für Hongkong und Macau (HKMAO) in Peking vor.

Chinas Präsident Xi Jinping
AP
Der chinesische Präsident Xi Jinping

Im Laufe der Jahre hätten das Verbindungsbüro und die HKMAO ihren Einfluss in Hongkong sukzessive ausgebaut, so der „Guardian“. Der Ausbau des Einflusses habe sich allerdings seit dem neuen Gesetz drastisch beschleunigt. Lam müsse sich nun nach den Wünschen und Vorgaben des Verbindungsbüros in Hongkong und des HKMAO richten, so James Tien, ein früherer Hongkonger Abgeordneter im „Guardian“.

Experte: Eine richtig dunkle Wolke

Weder Xia noch Luo haben Erfahrung in Hongkong. Experten sehen das als Zeichen, dass in Hongkong nun die chinesischen Methoden gegenüber Dissidenten Einzug halten sollen – ein alarmierender Trend angesichts der enormen Befugnisse von Sicherheitsagenten in China und der Häufigkeit, mit der Dissidenten und Kritiker mit dem Argument des Verstoßes gegen die nationale Sicherheit verhaftet werden, so der „Guardian“.

Und genau darin liege auch die große Gefahr für Hongkong, so Cabestan. „Das ist eine richtig dunkle Wolke. Sie wenden dieselbe Methode wie in Festlandchina an, doch Hongkong ist sehr unterschiedlich und offener.“ Das klarste Zeichen dafür sei die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsbüros, das von Beamten und Sicherheitskräften vom Festland geleitet und betrieben wird.

Das Sicherheitsbüro habe die Aufgabe zahlreiche Informationen zu sammeln, Fälle der nationalen Sicherheit zu bearbeiten, aber auch sich mit ausländischen Medien und Organisationen auseinanderzusetzen. Was das Büro jedoch so gefährlich mache, sei, dass es nicht an die Gesetze Hongkongs gebunden sei und seine Arbeit im Geheimen verrichte, heißt es im „Guardian“.

Dorf wegen Protesten von Nachschub abgeschnitten

Der leitende Direktor Zheng Yanxiong sei dafür bekannt, Massenproteste zu unterdrücken, wie etwa in der Provinz Guangdong. Dort beendete er 2011 Proteste im Fischerdorf Wukan mit einer Belagerung durch die Polizei, damit keine Nahrungsmittel und anderer Nachschub die Protestierenden erreichten. Und auch Zhao Kezhi, Chinas Minister für öffentliche Sicherheit, ist in verschiedenen Gremien Hongkong betreffend vertreten. Es soll laut der Zeitung nicht nur in Hongkong ein „sicheres politisches Umfeld“ durch die Verfolgung von Andersdenkenden, Separatisten und religiösen Extremisten, schaffen.

Experte: Es wird noch schlimmer werden

Die Handschrift und der stetig wachsende Einfluss Pekings sei bereits jetzt in Hongkong überall erkennbar. Man sehe die Fingerabdrücke Chinas überall, so Ma Ngok, Professor an der Chinese University of Hong Kong. „Es wird noch schlimmer werden. Peking wird weiter eingreifen“, so Ma. Doch laut dem „Guardian“ stoßen Pekings „Anstrengungen“ auch auf Widerstand.

Die Beamten vom Festland operierten in einer Bevölkerung, die jahrzehntelang eine unabhängige Justiz, eine freie Presse und freien, unzensurierten Internetzugang genossen habe. „Die Mehrheit widersetzt sich Peking“, so die Politikexpertin Victoria Tin-bor Hui von der katholischen University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana. „Die Gesellschaft in Hongkong kann nicht auf einfache Art unterdrückt werden“, so die Expertin im „Guardian“.