Ein EU-Anhänger schwenkt eine EU-Fahne vor dem britischen Parlament in London
AP/Frank Augstein
Brexit

EU geht rechtlich gegen London vor

Ein umstrittenes britisches Gesetz, das in den Augen der EU den Brexit-Deal verletzt, sorgt nun auch für rechtliche Folgen. Am Donnerstag kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entsprechende Schritte an – London bleibt nun ein Monat, um auf ein Schreiben Brüssels zu reagieren. Sollte es zu keiner Einigung kommen, könnte das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landen.

Das Schreiben sei der erste Schritt in einem Vertragsverletzungsverfahren, so die EU-Kommission in einer Aussendung. Hintergrund für den rechtlichen Schritt sind einige umstrittene Klauseln in einem neuen britischen Binnenmarktgesetz, das bereits seit Wochen für Wirbel sorgt und erst am Dienstag vom britischen Unterhaus abgesegnet wurde.

Das Binnenmarktgesetz – das noch vom britischen Oberhaus behandelt werden muss – wäre ein Verstoß gegen das im Vertrag festgelegte Prinzip des „guten Glaubens“. Darüber hinaus stehe es bei einer endgültigen Annahme „in vollem Widerspruch“ zu den Vereinbarungen zu Nordirland und Irland, sagte von der Leyen. Ein Ultimatum an London, die beanstandeten Klauseln zu entfernen, verstrich am Mittwoch.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
AP/Johanna Geron
Von der Leyen kündigte ein Verfahren gegen London an

Die Kommission muss nach Ablauf der einmonatigen Frist entscheiden, ob die Antwort Londons ausreichend ausgefallen ist. Sie kann dann Großbritannien dazu auffordern, die Vereinbarungen zu erfüllen. Falls das nicht gelingen sollte, steht ihr der Weg zum EuGH offen.

Großbritannien sieht „Sicherheitsnetz“

Die EU hatte die Pläne von Premierminister Boris Johnson als Vertrauensbruch und Verstoß gegen internationales Recht verurteilt. Die britische Regierung bezeichnet sie hingegen als „Sicherheitsnetz“ für den Fall, dass vor Jahresende kein Handelsvertrag mehr mit der EU gelingt. Sie will damit vertraglich vereinbarte Sonderklauseln für Nordirland aushebeln. In einer ersten Reaktion am Donnerstag sagte ein britischer Regierungssprecher, dass man die Gründe für eine Abänderung des Brexit-Vertrags „klar dargelegt“ habe.

Nordirland soll nach dem Vertrag enger an den EU-Binnenmarkt und die Zollunion gebunden bleiben, was Kontrollen im Güterverkehr mit dem übrigen Vereinigten Königreich nötig macht. London warnt, damit könnte Nordirland abgekoppelt werden. Im Brexit-Vertrag hatte Johnson das jedoch akzeptiert.

Verhandlungen gehen unterdessen weiter

Trotz des nun gestarteten Verfahrens werde die EU weiter auf volle Einhaltung des Austrittsvertrags pochen und sich selbst auch daran halten. „Wir stehen zu unseren Verpflichtungen“, sagte von der Leyen. Das nun eingeleitete Verfahren erhöht den Druck auf Großbritannien allerdings deutlich. Auch im ab dem Nachmittag stattfindenden EU-Gipfel soll der Brexit zumindest angesprochen werden.

Unabhängig von dem Streit gehen unterdessen die Gespräche über die künftige Beziehung zwischen der EU und Großbritannien weiter. Es ist mittlerweile die neunte – und die letzte geplante – Runde. Eine baldige Einigung ist auch deshalb wichtig, weil aufseiten der EU erst die Staats- und Regierungschefs sowie das Parlament zustimmen müssen, das benötigt Zeit.

Insider: Gespräche in der Sackgasse

Die Verhandlungen sollen laut Diplomatenkreisen allerdings stocken. Unterhändler beider Seiten hätten es nicht geschafft, die Differenzen beim Thema Staatshilfen zu überbrücken, sagten mehrere Insider der Nachrichtenagentur Reuters.

Die EU-Kommission, die die Verhandlungen für die Mitgliedsstaaten führt, möchte erreichen, dass London breit gefassten Regeln für Staatshilfen zustimmt, die mit entsprechenden EU-Vorschriften vereinbar sind. Großbritannien lehnt das jedoch ab. Doch selbst wenn in letzter Minute ein Freihandelsabkommen vereinbart werden sollte, hänge die EU-Zustimmung laut den Insidern davon ab, dass das umstrittene Binnenmarktgesetz der Briten zurückgenommen werde.

Die Zeit drängt

Die Zeit wird jedenfalls knapp, denn Großbritannien hatte die EU bereits Anfang des Jahres verlassen, eine Übergangsphase endet laut Plan mit Ende des Jahres. Sollte es bis dahin keine Einigung zwischen der Union und London geben, droht ein harter wirtschaftlicher Bruch, wenn es nicht zu einem weiteren Aufschub des Übergangs kommt – etwas, das der britische Premier bisher vehement ablehnte.