Mann wird geimpft
Reuters/Murad Sezer
Coronavirus

Normalisierung dauert auch mit Impfstoff

Mitglieder der Ständigen Impfkommission (STIKO) des deutschen Robert-Koch-Instituts haben vor zu großen Erwartungen an Coronavirus-Impfungen gewarnt und dabei Geduld angemahnt. Die EU hat durch Verträge mit mehreren Pharmakonzernen eine gemeinsame Beschaffung für Europa gesichert. Doch eine Rückkehr zur Normalität wird auch mit der Zulassung eines Impfstoffs dauern.

Das STIKO-Mitglied Klaus Überla äußerte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) die Einschätzung, dass zunächst nur wenige Millionen Impfdosen zur Verfügung stehen werden. „Eine Zahl, die unter Fachleuten genannt wird, ist fünf Millionen Dosen“, sagte der Virologe an der Universität Erlangen-Nürnberg.

Und das STIKO-Mitglied Fred Zepp verwies im Gespräch mit der „FAS“ darauf, dass mehr als eine Dosis pro Geimpften benötigt werde. „Die meisten Impfstoffe, die im Moment in der Entwicklung sind, brauchen zwei Dosen, damit sie wirken. Um alle Menschen in Deutschland zu impfen, brauchen wir dann mehr als 160 Millionen Dosen“, sagte der Epidemiologe der Universität Mainz. In Österreich wären fast 18 Millionen Dosen nötig.

Fachleute erwarten monatelange Übergangsphase

Mitgliedern der Impfkommission zufolge wird es zudem viele Monate dauern, bis genügend Menschen geimpft sind, um CoV-bedingte Einschränkungen wie die Maskenpflicht und das Distanzgebot aufzuheben. Der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens vertrat die Auffassung, es müssten 60 Prozent der Deutschen geimpft sein, um einen „Herdeneffekt“ zu spüren und das Virus zu besiegen. Das werde nach seinem Dafürhalten viele Monate dauern, sagte der Virologe am Universitätsklinikum Ulm.

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Das STIKO-Mitglied Martin Terhardt, ein Münchner Kinder- und Jugendmediziner, schätzte die entsprechende Zeit in der „FAS“ auf acht Monate. Bis in Deutschland wieder ein normales Leben möglich sein werde, könnten eineinhalb bis zwei Jahre vergehen, schätzte Terhardt.

Kontrast zu politischen Ansagen

Diese Aussagen kontrastieren teils deutlich mit Angaben vieler Politiker weltweit, die häufig die Zulassung eines Impfstoffs und das Ausrollen einer Impfkampagne quasi als das Ende der Pandemie oder zumindest als „Licht am Ende des Tunnels“ darstellen. Darüber, wie es nach dem Vorhandensein einer Impfung weitergehen wird – und dass eine Normalisierung auch dann nicht schlagartig eintreten wird –, schweigen sich dagegen viele politisch Verantwortliche eher aus.

Johnson schaut bis Weihnachten

Der britische Premierminister Boris Johnson stellte seine Landsleute am Sonntag auf weitere schwierige Monate ein, aber eher mit dem Zeithorizont Weihnachten: „Ich muss in aller Offenheit sagen, dass es bis Weihnachten weiterhin unruhig sein wird, vielleicht sogar darüber hinaus“, sagte Johnson am Sonntag in einem Interview im BBC-Fernsehen. Er verstehe, dass viele Bürgerinnen und Bürger verärgert seien angesichts der Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie. „Aber wir müssen zusammenstehen“, sagte Johnson.

Zuvor war bekanntgeworden, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen in Großbritannien erstmals über die Marke von 10.000 gestiegen war. Am Samstag wurden 12.872 Fälle bekannt, fast doppelt so viele wie die 6.968 vom Vortag. Johnson macht technische Probleme für den sprunghaften Anstieg verantwortlich. Hintergrund sollen der Regierung zufolge verzögerte Meldungen zwischen dem 24. September und dem 1. Oktober sein, die nun und in den kommenden Tagen einliefen.

Johnson war Ende März selbst positiv auf Covid-19 getestet worden und lag eine Woche lang im Krankenhaus, wovon er drei Nächte auf der Intensivstation verbrachte. Er sagte, er sei inzwischen vollständig genesen.

Impfstoff zunächst für 300.000 in Österreich

Auch die heimische Regierung setzt erwartungsgemäß stark auf eine Entlastung durch einen Impfstoff. In einer ersten Phase sind für Österreich laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) Impfstoffe für 300.000 Menschen gesichert. Sie sollen vor allem jenen, die in Gesundheits- und Pflegeberufen tätig sind, zugute kommen. Anschober betonte allerdings auch, dass die Impfung nicht alle Probleme lösen werde, „aber die Risiken der Pandemie könnten dadurch beträchtlich gesenkt werden“.