Die Suchthilfeeinrichtung Na’Nizhoozhi Center in Gallup, New Mexico (USA)
AP/Morgan Lee
Opioidkrise in USA

Drogenkliniken oft keine Anlaufstation

In den USA wird das Ausmaß der sich im Zuge der Coronavirus-Pandemie verschärfenden Opioidkrise immer sichtbarer. Die Zahl der Menschen, die eine Überdosis erlitten, nahm heuer stark zu. Prekär ist das auch, weil viele Suchthilfeeinrichtungen jüngst schließen mussten, anderen fehlt schlichtweg das Geld, um sich – auch angesichts strenger CoV-Regeln – um Patienten kümmern zu können.

Massenentlassungen, Zwangsbeurlaubungen, Isolation und harte Einschnitte bei Ressourcen für Suchtkranke werden als die Hauptfaktoren für den Anstieg an Opioidkonsum und damit einhergehend der Zahl an Todesopfern während der Pandemie gesehen. Dabei starben bereits im Vorjahr knapp 72.000 Amerikanerinnen und Amerikaner an einer Überdosis Drogen oder Schmerzmitteln – noch bevor die Coronavirus-Krise überhaupt Thema war.

Laut einer aktuellen Umfrage der Nationalen Organisation für Verhaltensgesundheit (NCBH), die 3.000 psychologische Beratungsstellen und Suchthilfeeinrichtungen in den USA repräsentiert, mussten 54 Prozent der Einrichtungen ihre Programme einstellen, 65 Prozent mussten wiederum Patienten wegschicken und Termine verschieben.

Finanzielle Einbußen

Durch die CoV-Krise haben die Einrichtungen heftige finanzielle Einbußen erlitten – unter anderem weil durch Coronavirus-Schutzmaßnahmen höhere Kosten entstehen, während zugleich weniger Leute behandelt werden können. Gab es Anfang des Jahres noch 15.000 Suchthilfeeinrichtungen, so mussten 1.000 davon bis im Sommer schließen, schreibt das Nachrichtenportal Quartz.

patientin einer Suchthilfeeinrichtung wird auf das Coronavirus getestet
AP/Morgan Lee
Viele Suchthilfeeinrichtungen mussten Patientinnen und Patienten während der Krise wegschicken

Zum Teil war und ist psychologische Betreuung nur online oder telefonisch möglich. Auch der US-Verband von Suchthilfeanbietern (NAATP) berichtet, dass zwanzig Prozent seiner Einrichtungen coronavirusbedingt zur Gänze oder teilweise schließen mussten – kleine Einrichtungen seien stärker betroffen als größere.

Überdosis: Starker Anstieg im Mai

Während die professionelle Unterstützung für Betroffene rar ist, nimmt gerade die Zahl an Personen mit Überdosis zu: Laut Daten des Overdose Detection Mapping Application Program, das auf Bezirksebene Daten von Notfallstellen erhält, stieg die Zahl der Menschen, die an einer Überdosis Drogen oder Schmerzmitteln starben, im März 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent an.

Im April waren es bereits 29 Prozent. Im Mai wurde gar ein Anstieg um 42 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Über 40 Bundesstaaten der USA meldeten einen Anstieg an opioidbezogenen Todesfällen, berichtete die Standesvertretung der amerikanischen Ärzte (AMA) im September. Auch in der Umfrage des NCBH gab die Hälfte der Suchthilfeeinrichtungen an, dass die Nachfrage nach ihren Diensten gestiegen sei.

„Drogenkonsumenten doppelt gefährdet“

„Drogenkonsumenten sind momentan doppelt gefährdet. Sie sind gefährdet was das erhöhte Risiko eines Rückfalls, was das erhöhte Risiko eines Missbrauchs während der Pandemie betrifft, aber für sie ist auch das Risiko an Covid zu erkranken und einen schweren Covid-Verlauf zu haben erhöht“, wird Magdalene Cerda vom New York University Medical Center im „Guardian“ zitiert.

Cerda sieht Bundesstaaten in der Pflicht: Sie sollen von gelockerten Regelungen für Medikamente wie Methadon und Buprenorphin Gebrauch machen, um Substitutionstherapien mit ebendiesen Mitteln zugänglicher zu machen. Zudem fordert sie mehr Gelder für Suchthilfeeinrichtungen sowie eine Lockerung der Regeln für Naloxon. Bei einer Überdosis kann Naloxon als lebensrettendes Medikament eingesetzt werden.

Schwindender Zugang zu Behandlungsmethoden

„Genauso, wie wir versuchen, große Mengen an Covid-19-Impfstoffen zu bekommen und alle damit zu versorgen, sollten wir auch unsere Bemühungen, Behandlungsmittel für alle zugänglich zu machen, hochfahren“, sagte Caleb Banta-Green von der University of Washington gegenüber dem „Guardian“.

Während der Pandemie wurde nämlich nicht „nur“ ein Anstieg an Menschen, die an einer Überdosis gestorben waren, verzeichnet, der Zugang zu Subtitutionsmitteln nahm zugleich ab. Erschwerend kommt hinzu, dass Betroffene, die sich im Heilungsprozess befinden und rückfällig werden, noch gefährdeter sind, an einer Überdosis zu sterben.

Noch immer unzählige Opioidverschreibungen

Eine Recherche des öffentlich-rechtlichen Sendernetzwerks NPR im Juli ergab unterdessen, dass Ärzte, Ärztinnen und Gesundheitsdienste noch immer hohe Mengen an Opioiden verschreiben. Nach öffentlich zugänglichen Daten werden so viele Rezepte für Schmerzmittel ausgestellt, dass damit eine Hälfte der US-Bevölkerung versorgt werden könnte.

Patientinnen und Patienten erhalten doppelt so viele Opioide wie vor den 90er Jahren, als der Boom bei den Verschreibungen losging, so NPR. „Wir sind fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber wir nehmen 80 Prozent der weltweit verschriebenen Opioide ein“, zitierte der Sender einen Arzt und Forscher an der Stanford-Universität.

Rezept oft Basis für Abhängigkeit

Heikel ist das vor allem deshalb, weil die Mittel extrem schnell abhängig machen. In der Folge würden die Menschen auf illegale Opioide wie Heroin umsteigen – oder sie besorgen sich Fentanyl auf dem Schwarzmarkt. Fentanyl ist 70- bis 100-mal stärker als Morphin, eine zu hohe Dosis kann innerhalb von einer Minute zu Atemstillstand führen.

Ein Mann hält zerstoßenes Fetanyl in einer Alufolie
Reuters/Shannon Stapleton
Bei mehr als der Hälfte der Opioid-Toden 2019 wurde ein Zusammenhang mit Fentanyl und vergleichbaren Drogen nachgewiesen

Das schlägt sich nun auch in der aktuellen Statistik der US-Gesundheitsbehörde CDC nieder. Bei über 37.000 der 72.000 Todesfälle wurde ein Zusammenhang mit Fentanyl und vergleichbaren Drogen nachgewiesen, berichtete die „NYT“. Zum Vergleich: Heroin konnte in rund 14.000 Fällen ausgemacht werden, handelsübliche verschreibungspflichtige Opioide spielten bei 12.000 Todesfällen eine Rolle. Die Kategorien schließen sich nicht gegenseitig aus – oft wurden mehrere Substanzen nachgewiesen.

Umgang mit CoV-Krise zeigt Lücken auf

Es mag angesichts der momentanen Entwicklung in den USA tatsächlich paradox erscheinen, doch ausgerechnet der Umgang mit der Coronavirus-Krise könnte vorzeigen, wie eine Krise verläuft, wenn man genügend Geld investiert. Während laut „Guardian“ die US-Regierung sechs Billionen Dollar (rund 5,2 Billionen Euro) in die Coronavirus-Krise investiert hat, hat man im Vergleich nur sechs Mrd. Dollar (5,2 Mrd. Euro) zur Bekämpfung der Opioidabhängigkeit ausgegeben – obwohl die Todeszahlen vergleichbar sind. Und: Laut „Guardian“ wurde zur Bekämpfung des Coronavirus unter anderem ein Programm eingefroren, das alternative Schmerzmittel erforscht.