Peter Handke, Literatur-Nobelpreisträger 2019
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Literaturnobelpreis

Kontroversen werfen Schatten voraus

Am Donnerstag, frühestens um 13.00 Uhr, wird der prestigeträchtigste Literaturpreis der Welt verliehen. Im letzten Jahr dominierten heftige Kontroversen um den Preisträger Peter Handke die Debatte, zuvor war die Akademie selbst in der Kritik gestanden. Die Geschichte des Nobelpreises: eine Erfolgsstory der alten, weißen Männer? Jetzt soll jedenfalls alles anders werden.

„Wir hatten in der Vergangenheit eine eurozentrische Perspektive auf die Literatur, jetzt sehen wir uns die ganze Welt an“, hatte Anders Olsson, der Vorsitzende des Nobelpreiskomitees, vor der letztjährigen Entscheidung kühn angekündigt. Nach dem großen Skandal um die sexuellen Übergriffe eines Jurymitglieds, die zur Verschiebung und Doppelvergabe 2019 führten, war davon letztlich aber keine Rede mehr: Denn die Kommission zeigte wieder einmal, dass sie gut ist für Überraschungen, und zeichnete neben der Polin Olga Tokarczuk auch Peter Handke aus.

Während Tokarczuks fantastischer Feminismus rundum akklamiert wurde, entbrannte erneut eine Debatte rund um Handkes proserbische Haltung, die Schatten über seine „bahnbrechende Meisterschaft der Sprache“ (Olsson) warf. „Grotesk und beschämend“ lauteten damals die Reaktionen, als „mindestens mittelgroße Krise" nannte Björn Wiman, Kulturchef der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“, nun die Diskussion.

Mittlerweile haben sich die Wogen geglättet, und erneut tauchen die Fragen auf: Richtet sich heuer der Blick stärker auf „die Welt“? Holen die Frauen weiter auf? Und wird es wieder eine Würdigung des Alters?

Schriftstellerin Maryse Conde
APA/AFP/Martin Bureau
Die diesjährige Favoritin der Buchmacher: die aus Guadeloupe stammende Maryse Conde

Erste afrikanische Auszeichnung erst 1986

Ein Blick in die Statistik: Der Altersdurchschnitt der bisher Ausgezeichneten beträgt rund 60 Jahre, die älteste Preisträgerin war Doris Lessing mit 88. „Der Nobelpreis ist kein Debütantenpreis“, sagte der ehemalige Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie Horace Engdahl einmal dazu. Viel schwerer als die Priorisierung Älterer wiegt jedoch die Verteilung nach Ethnie und Geschlecht: 101 ausgezeichneten Männern stehen nur 15 Frauen gegenüber. Und der Preis, der eigentlich mit internationalen Ambitionen gegründet wurde, wurde bisher zu weiten Teilen an Autorinnen und Autoren aus Europa verliehen.

Nur fünf der insgesamt 116 Preisträger kommen aus Mittel- und Lateinamerika, fünf aus Asien und vier aus Afrika – die erste afrikanische Auszeichnung ging erst 1986 an den Nigerianer Wole Soyninka, kurz nachdem sich die Jury öffentlich auf einen internationaleren Fokus verständigt hatte.

Internationale Autoren in europäischer Schreibtradition

Wenn man die Sache positiv sehen will: Der Literaturnobelpreis hat viel für die Verbreitung europäischer Literatur getan. Er beflügelte nicht nur den Weltruhm eines Heinrich Böll und Elias Canetti, auch Autorinnen und Autoren von anderen Kontinenten wurden vor allem dann auserkoren, wenn sie im weiteren Sinn in der literarischen Tradition Europas standen.

Der Südafrikaner J. M. Coetzee etwa gilt als geprägt von Fjodor Dostojewski, Nagib Machfus wurde „der Balzac Ägyptens“ genannt, und der aus China stammende Gao Xingjian schreibt absurde Theaterstücke im Stile Samuel Becketts – und lebte schon 15 Jahre in Paris, als er 2000 den Nobelpreis bekam.

Maryse Conde oder Ljudmila Ulizkaja

Tatsächlich ausgezeichnet werden sollte die literarische Qualität eines humanistisch relevanten Stoffs: 197 nominierte Kandidaten stehen heuer dafür zur Disposition. Von einer „sicheren Wahl“ wird im Post-Handke-Jahr jedoch ausgegangen. „Sie werden den Preis einer Frau geben, die nicht aus Europa ist und die im Politischen, Ideologischen und im Auftritt für das Gegenteil von Handke steht“, meinte Wiman von „Dagens Nyheter“.

Diese Vermutung spiegelt sich auch in der Liste der Buchmacher wider: Auf Platz eins steht aktuell die aus Guadeloupe stammende Maryse Conde, die für ihr Anschreiben gegen Sklaverei und Rassismus bekannt wurde und schon 2018 den alternativen Literaturnobelpreis erhielt. Auf Platz zwei Ljudmila Ulizkaja, die große russische Gegenwartsautorin und Putin-Gegnerin, gefolgt vom japanischen Bestsellerautor Haruki Murakami und der kanadischen Grande Dame des literarischen Feminismus Margaret Atwood. Und schließlich: der Kenianer Ngugi Wa Thiong’o, der schon seit Jahren als Favorit gilt.