Jerewan
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Hilfe in Armenien

Österreichs unbekannte Rolle

Der wieder entflammte Konflikt um die Kaukasus-Region Bergkarabach hat die Welt den Blick auf jene zwei Länder richten lassen, die sich normalerweise eher abseits der öffentlichen Wahrnehmung befinden: Aserbaidschan und Armenien. Letzteres ist eines der insgesamt elf Länder, in denen Österreich Entwicklungszusammenarbeit leistet. Doch wie sieht diese aus? Warum gerade dort? Und wie ist es um die österreichische Entwicklungszusammenarbeit generell bestellt?

Der Bergkarabach­-Konflikt trat bereits vor 100 Jahren erstmals auf. Die Region, die sich selbst seit 2017 als unabhängige Republik Arzach bezeichnet, gehört seit dem Ende der Sowjetunion völkerrechtlich zum mehrheitlich muslimischen Aserbaidschan, ist aber christlich und armenisch geprägt. Beide Länder beanspruchen die Region für sich und sehen sie als historischen und rechtmäßigen Teil ihres jeweiligen Territoriums. Seit Ende September dauern die schwersten Gefechte seit Jahren an, die bisher mehr als 800 Menschenleben forderten.

Waffenruhen halten nur kurz, ein Krisengipfel am Freitag in Washington blieb ergebnislos, ein baldiges Ende des Konflikts ist nicht in Sicht. Experten warnten bereits beim Ausbruch der Gefechte vor einem möglichen blutigen Krieg – immerhin gehören sowohl Armenien als auch Aserbaidschan zu den zehn am stärksten bewaffneten Staaten der Welt. Beide Staaten finden sich aber auch auf einer anderen Liste wieder: nämlich auf jener der Entwicklungsländer. In einem Land leistet Österreich Entwicklungszusammenarbeit, in dem anderen nicht. Warum?

Schäden in Armenien
APA/AFP/Tofik Babyev
Schwere Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan – beide Staaten gelten als Entwicklungsländer

Wo leistet Österreich Entwicklungszusammenarbeit?

Insgesamt gibt es elf Schwerpunktländer der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Zwei davon befinden sich im Südkaukasus: Armenien und Georgien. Aserbaidschan zählt nicht dazu, schließlich handle es sich dabei um ein Land des oberen mittleren Einkommens sowie um einen „wirtschaftlich und ressourcenreichen Staat“ wie es auf Nachfrage im für Entwicklungszusammenarbeit zuständigen Außenministerium gegenüber ORF.at heißt. Die Frage, ob Religion bei der Auswahl eine Rolle spiele (schließlich sind sechs der elf Länder christlich geprägt), wurde verneint.

OEZA-Länder

Die Länder, in denen Österreich Entwicklungszusammenarbeit leistet, umfassen „ärmste Entwicklungsländer, Länder aus dem Westbalkan und Südkaukasus sowie fragile Staaten“, so das Außenministerium.

Zudem habe Österreich zwischen 2011 und 2018 insgesamt 26 Millionen Euro an ODA-Leistungen (Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit, Anm.) an Aserbaidschan zur Verfügung gestellt, etwa in Form von langfristigen Finanzierungen für Privatbanken zur Unterstützung von Mikro-, Klein- und Mittelbetrieben.

50 Millionen Euro an Armenien

Unterdessen betrugen die gesamten öffentlichen Entwicklungszusammenarbeitsleistungen Österreichs an Armenien zwischen 1995 und 2018 rund 37 Millionen Euro. Die Leistungen der OEZA im gleichen Zeitraum beliefen sich auf rund 13 Millionen Euro, heißt es seitens der Austrian Development Agency (ADA), der Agentur der OEZA.

2019 unterstützte Österreich das Partnerland mit etwa 2,9 Millionen Euro (vorläufige Zahl). Seit 2011 ist Armenien eines der elf OEZA-Schwerpunktländer. Ziel ist es, die Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig zu verbessern, schließlich lebt jeder vierte der rund drei Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze.

Schwerpunkt auf Landwirtschaftsförderung

Da mehr als ein Drittel der armenischen Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, wird dieser Bereich besonders gefördert. Durch die Modernisierung von Betrieben, die Unterstützung der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen im Aufbau nachhaltiger Vieh- und Landwirtschaft und die Verbesserung allgemeiner Rahmenbedingungen sollen die lokale Wertschöpfung erhöht und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Ein weiterer Bereich der Entwicklungszusammenarbeit erstreckt sich auf die „verantwortungsvolle Regierungsführung“. Hierbei geht es vor allem darum, effiziente Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Dabei wird auch die aktive Teilnahme von Frauen, ethnischen Minderheiten und marginalisierten Gruppen an politischen und wirtschaftlichen Prozessen forciert.

Da eine der ärmsten Bevölkerungsgruppen in Armenien syrische Geflüchtete darstellen, gibt es auch hier Unterstützung vonseiten Österreichs. Ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz soll den Geflüchteten nicht nur gesundheitliche, sondern auch soziale Unterstützung bieten – etwa in Form von „Mietsubventionen für gefährdete Familien, Schulungen für Lehrende im Umgang mit traumatisierten Kindern oder der Vermittlung von Praktika als ersten Schritt in den Arbeitsmarkt“, so die OEZA-Agentur ADA.

Initiative für Biolandwirtschaft in Armenien
ADA
Mehr als ein Drittel von Armeniens Bevölkerung ist in der Landwirtschaft aktiv – einem Bereich, in dem Österreich Entwicklungszusammenarbeit leistet

Rund eine Milliarde an Unterstützung

Insgesamt wandte Österreich laut Außenministerium im Vorjahr 1,096 Milliarden Euro für Entwicklungzusammenarbeit auf, das sind 0,28 des Bruttonationaleinkommens (BNE). Laut einer UNO-Resolution von 1970 sollten es 0,7 Prozent sein. Um der UNO-Quote näher zu kommen, wurden sowohl die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit als auch für den Auslandskatastrophenfonds erhöht, wie aus dem Mitte Oktober veröffentlichten Budgetbericht hervorgeht.

1.096 Mio. Euro

2019 gab Österreich laut Außenministerium 1.096 Mio. Euro für Entwicklungszusammenarbeit aus (vorläufige Zahl).

Der Auslandskatastrophenfond wurde von 25 auf 50 Millionen Euro jährlich verdoppelt, für die Entwicklungszusammenarbeit gibt es um elf Millionen Euro mehr als im Voranschlag geplant. Insgesamt ergibt das eine Summe von 1.610 Millionen Euro, also rund 0,39 Prozent des BNE. Doch ohne eine „übergreifende Strategie für eine globale nachhaltige Entwicklung“ werde sich die 0,7-Prozent-Quote in Österreich auch langfristig nicht erreichen lassen, kritisiert Michael Obrovsky von der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (OEFSE) in einem Kommentar.

„Größtes Hilfsprogramm“ des Auslandskatastrophenfonds

Mit zwölf Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds sollen Programme österreichischer NGOs unterstützt werden, um an Ort und Stelle auch bei der Linderung der Coronavirus-Folgen zu helfen. „Österreich leistet erneut einen substanziellen Beitrag, damit Menschen in den betroffenen Gebieten besser durch die Krise kommen, sei es in Afrika, am Westbalkan oder im Südkaukasus“, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) begrüßte „das größte Hilfsprogramm in Kooperation mit österreichischen Hilfsorganisationen in der Geschichte des Auslandskatastrophenfonds“.

Laut dem Antrag sind je vier Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für das südliche und östliche Afrika sowie je zwei Millionen Euro für den Westbalkan und den Südkaukasus vorgesehen. ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg sagte, er freue sich, „dass vor allem die Schwerpunktländer der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit mit diesem Beitrag besonders unterstützt werden“.

Während das Außenministerium für die strategische Ausrichtung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZD) verantwortlich ist, werden die Projekte in den Schwerpunktländern von der OEZD-Agentur ADA geplant, finanziert und begleitet. So ist das Außenministerium etwa für die Ausarbeitung des Dreijahresprogramms der österreichischen Entwicklungspolitik zuständig, das die thematischen und geografischen Themen vorgibt, während die ADA die Schwerpunkte umsetzt.

Initiative für Biolandwirtschaft in Armenien
CARD
An der Entwicklungszusammenarbeit gibt es aber auch Kritik – viel zu wenig Geld würde für Projekte in den Ländern selbst eingesetzt werden

Kritik von Expertin: Mittel zu gering und falsch eingesetzt

Die Expertin für Entwicklungszusammenarbeit, Hedwig Riegler, übte vergangenes Jahr aber heftige Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit Österreichs. So seien die aufgebrachten finanziellen Mittel nicht nur viel zu gering, sondern sie würden auch falsch eingesetzt. Da das 0,7-Prozent-Ziel jedoch ohnehin nur ganz wenige Staaten erreichen würden und „um sich nicht völlig unglaubwürdig zu machen“, habe es immer wieder Versuche gegeben, die Definition von Entwicklungszusammenarbeit zu erweitern.

So seien in den 1980er und 1990er Jahren Dinge wie indirekte Studienplatzkosten oder die Kosten für Asylwerber dazugekommen. „Im Fall Österreichs sind diese Positionen so überproportional groß, dass es wirklich ein Skandal ist“, sagte Riegler, die eine Rückbesinnung auf die Kernaufgabe der Entwicklungszusammenarbeit forderte. Wohin das Geld wirklich fließe, werde auf Basis politischer Überlegungen entschieden und komme daher oft nicht jenen Ländern zugute, die es wirklich brauchen würden, sagte Riegler.

Laut Recherchen von Addendum gehen nur etwa zehn Prozent wirklich in Projekte in ärmeren Ländern: „Vom Afrikafest bis zum Studienplatz“ sei in der OEZA eigentlich alles enthalten. Die Hälfte des Entwicklungsbudgets gehe an internationale Organisationen, vor allem an die EU und die Vereinten Nationen, was eine eindeutige Zuordnung der österreichischen Gelder „unmöglich“ mache, so Addendum.