Zerstörtes Wohnhaus in Bergkarabach
Reuters/Umit Bektas
Südkaukasus

Brüchige Waffenruhe in Bergkarabach

In der Konfliktregion Bergkarabach im Süden des Kaukasus ist nach schweren Gefechten mit Hunderten Toten am Samstag eine Waffenruhe in Kraft getreten. Die Kämpfe zwischen den beiden verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Aserbaidschan sollten seit 10.00 Uhr MESZ (12.00 Uhr Ortszeit) ruhen.

Die Sprecherin des armenischen Militärs, Schuschan Stepanjan, bestätigte einen entsprechenden Befehl, die Kämpfe zu stoppen. Die Feuerpause wurde in der Nacht auf Samstag nach stundenlangen Verhandlungen in Moskau durch Russland vermittelt. Unklar war zunächst, wie lange sie gelten soll und ob sie Bestand hat. Die Kämpfe um die Region Bergkarabach, die sich selbst seit 2017 als unabhängige Republik Arzach bezeichnet, waren Ende September ausgebrochen.

Seither wurden auf beiden Seiten mehrere hundert Menschen getötet. Allein auf armenischer Seite sollen mehr als 400 Soldaten getötet worden sein. Aserbaidschan macht bisher keine Angaben zu Verlusten in den eigenen Truppen, spricht aber von etwa 30 getöteten Zivilisten. Zudem sind Tausende Menschen aus Bergkarabach auf der Flucht. International löste die Entwicklung große Sorge aus.

Lage nach wie vor angespannt

Bereits kurz nach Inkrafttreten warfen sich beide Konfliktparteien gegenseitig Angriffe vor. Die armenische Armeesprecherin Stepanjan sprach kurz nach Beginn der Waffenruhe von aserbaidschanischen Angriffen. Das Nachbarland ignoriere die Vereinbarung, worauf die Streitkräfte von Bergkarabach mit „angemessenen Maßnahmen“ reagieren müssten. Aserbaidschan warf Armenien vor, mit Artilleriefeuer auf zahlreiche Orte begonnen zu haben. Alle Angriffe seien abgewendet worden.

Rauchwolke nach Angriff in Bergkarabach
Reuters/Umit Bektas
Angriffe nahe der Stadt Terter

Am Vormittag habe es zahlreiche Luftangriffe gegeben, hieß es seitens Armeniens. Auch die Stadt Kapan in Armenien an der Grenze zu Bergkarabach soll angegriffen worden sein. Es soll Verletzte und Toten geben. Das wies Baku jedoch als „Lüge“ und „Provokation“ zurück. Aserbaidschan habe versucht, sich vor der Waffenruhe noch einen Vorteil zu verschaffen, erklärte die armenische Armeesprecherin auf Facebook. Baku wirft hingegen Eriwan vor, Siedlungen mit Raketen beschossen zu haben.

Bergkarabach: Einigung auf Waffenruhe

In der schwersten Gewalteskalation seit Jahren in der Südkaukasus-Region Bergkarabach mit Hunderten Toten haben sich Armenien und Aserbaidschan auf eine Waffenruhe geeinigt.

Aserbaidschan und Armenien befinden sich seit Jahrzehnten im Streit um Bergkarabach. Die Region gehört seit dem Ende der Sowjetunion völkerrechtlich zum muslimischen Aserbaidschan, ist aber christlich und armenisch geprägt. Beide Länder beanspruchen die Region für sich und sehen sie als historischen und rechtmäßigen Teil ihres jeweiligen Territoriums. Der Streit hat auch dazu geführt, dass sich seit Jahren armenische Truppen in einer Pufferzone rund um Bergkarabach befinden. Aserbaidschan fordert ihren Abzug. Die jüngsten Kämpfe waren die heftigste Eskalation in dem jahrzehntealten Konflikt seit Einigung auf einen Waffenstillstand 1994.

Austausch von Opfern

Die neue Feuerpause solle dazu genutzt werden, Gefangene auszutauschen und die Körper toter Soldaten in ihre Heimat zu übergeben, hieß es in der Moskauer Erklärung. Details sollen zusätzlich vereinbart werden. Grundlegende Friedensverhandlungen soll es dann unter Führung der Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geben. Die Gruppe wird von Russland, den USA und Frankreich angeführt.

Die Verhandlungen zur Feuerpause in Moskau zwischen den Außenministern Jeyhun Bayramov und Sohrab Mnazakanjan der verfeindeten Nachbarn dauerten mehr als zehn Stunden. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte beide Länder zuvor eindringlich zu einer Waffenruhe aufgerufen. Russland hat zu beiden Ex-Sowjetrepubliken diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen, verkauft etwa an beide Seiten Waffen. Jene mit Armenien sind jedoch intensiver. Dort hat Russland auch eine Militärbasis.

Baku sieht „letzte Chance“

Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev nannte das Treffen in Moskau die „letzte Chance“ auf eine friedliche Lösung. Vermittlungsversuche in den vergangenen Jahren hätten keine für ihn zufriedenstellende Lösung gebracht, sagte er in einer Ansprache am Freitag. Aserbaidschan bekommt in dem Konflikt Rückendeckung von der Türkei. Auch ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen sollen an den Gefechten beteiligt sein. Eindeutige Beweise gibt es dafür bisher nicht.