Violinistin mit Mund-Nasen-Schutz bei einem Künstlerprotest in London
Reuters/Toby Melville
„Cyber“ statt Ballett

Zwist um Umschulungen für Kreative

Ein Plakat hat in Großbritannien die Wogen hochgehen lassen. Darauf zu sehen: eine Ballerina, der angesichts der CoV-Wirtschaftskrise die Umschulung zur Cybersecurity-Expertin vorgeschlagen wird. An der Kampagne entzündete sich eine heftige Debatte über den Stellenwert von Kulturberufen in der Krise und die Sinnhaftigkeit von Umschulungen für Kunstschaffende.

„Fatimas nächster Job könnte in Cyber sein (sie weiß es nur noch nicht)“: Dieser Slogan, daneben das Bild der jungen Ballerina, wurde in den vergangenen Tagen zum Politikum. Die Debatte verlief so heftig, dass sich Kulturminister Oliver Dowden von der Werbung distanzieren musste und das Sujet wieder in der Schublade verschwand. Es sei „zu grob“ gewesen, hieß es seitens der Regierung.

Die von der Regierung unterstützte Kampagne einer Firma für Erwachsenenbildung soll eigentlich dazu animieren, in der zukunftsträchtigen und einträglichen IT-Branche Fuß zu fassen. Und tatsächlich richtet sie sich nicht nur an Künstlerinnen und Künstler, sondern an alle Berufssparten: Auf anderen Plakaten sind etwa eine Bäckerin oder ein Tischler zu sehen, die zu einer Karriere „in Cyber“ aufgerufen werden.

„Fatima braucht keine Umschulung“

Doch unter Großbritanniens Kreativen traf das Sujet mit der Ballerina einen Nerv: Der Regierung wurde vorgeworfen, den Kulturbetrieb in der Krise sträflich zu vernachlässigen, künstlerische Berufe gering zu schätzen und Umschulungen gegen den Willen der Menschen forcieren zu wollen. „Fatima braucht keine Umschulung – was Fatima als freischaffende Künstlerin braucht, ist eine adäquate staatliche Unterstützung, die sie bisher nicht bekommen hat“, kritisierte laut dem „Guardian“ Gewerkschafterin Charlotte Bence.

Die aufgeheizte Debatte macht die kritische Lage sichtbar, in der sich auch die britische Kunstszene befindet. Wie im Rest der Welt haben der Stillstand im Kulturbetrieb und das Herunterfahren des öffentlichen Lebens britische Kunstschaffende hart getroffen. Dabei hat der Kulturbetrieb in Großbritannien noch einmal erhöhtes wirtschaftliches Gewicht: Laut dem Arts Council England steuert die Kreativbranche mehr als zehn Milliarden Pfund pro Jahr zur Wirtschaft bei und beschäftigt über zwei Millionen Menschen.

Pantomimen bei einem Künstlerprotest
AP
Eine Protestveranstaltung gegen den „Shut-down“ der Kultur in London

Die Branche kritisiert, dass sie in der prekären Lage trotzdem alleingelassen wird. Für scharfe Kritik sorgte zuletzt der britische Winterplan für die Wirtschaft, in dem der Fokus auf „existenzfähige“ („viable“) Jobs gelegt werden soll. Die Kunstbranche warf der Regierung angesichts dieser Parole vor, Kreativberufe als „Luxushobbys“ herunterzuspielen. Protest meldeten dabei auch zahlreiche namhafte Künstler, darunter der Musiker Liam Gallagher, die Band The Prodigy und der Krimiautor Ian Ranking.

Starten soll jetzt in Großbritannien jedenfalls ein Weiterbildungsprogramm für Erwachsene. Für sie soll es kostenlose, vom Staat finanzierte Kurse geben, in denen Qualifikationen für die Arbeitswelt nach der Pandemie – insbesondere in Digitalberufen – erworben werden können. Dafür will die Regierung zusätzliche 2,5 Milliarden Pfund (2,75 Mrd. Euro) in die Hand nehmen.

Deutschland: Ruf nach Staatshilfen

Ähnliche Debatten und Befürchtungen zur Zukunft der Kulturbranche gibt es auch in anderen Ländern. In Deutschland ist die Kultur-, Veranstaltungs- und Kreativwirtschaft der sechstgrößte Wirtschaftszweig, beschäftigt sind über eine Million Menschen – und auch dort bleiben Theater, Clubs und Konzerthallen weitgehend leer. Zwar gibt es für Kunstschaffende einen „erleichterten Zugang“ zur Grundsicherung, die Antragstellung erweist sich aber als bürokratisch und – je nach Wohnort – als wenig treffsicher. Viele Künstler müssen ihre Altersvorsorge angreifen oder rutschen in Hartz IV.

Musikerinnen mit Mund-NAsen-Schutz und Streichinstrumenten bei einem Künstlerprotest in London
Reuters/Toby Melville
Künstlerinnen und Künstler pochen allerorts auf Unterstützung

Je länger die Krise dauert, desto intensiver wird das Thema Umschulung deswegen auch in der deutschen Kulturszene diskutiert. Kunstschaffende und -vertreter warnen davor, dass über Jahre gewachsene Strukturen vernichtet werden könnten. Ein Wiederaufbau wäre langwierig und kostspielig. Gefordert wird deswegen auch angesichts der großen Zahl an Beschäftigten in der Kulturbranche ein Ausbau der Staatshilfen, der sich an den Unterstützungen für große Konzerne orientieren soll – denn die Kultur sollte nicht nur in rosigen Zeiten beliebt sein, hieß es zuletzt in einem offenen Brief mehrerer prominenter deutscher Musiker.

Hilfsfonds in Österreich hat noch Spielraum

Die Thematik beschäftigt bekanntlich auch Österreich. Aus einem mit 90 Millionen Euro dotierten Überbrückungsfonds für Künstlerinnen und Künstler wurden laut Grünen-Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer seit Juli rund 25 Millionen Euro an rund 5.000 Personen ausgeschüttet. Bisher waren bis zu 6.000 Euro an Einmalzahlung möglich, die Maximalsumme wurde mittlerweile auf 10.000 Euro erhöht. Die Hilfe kann bis Ende des Jahres beantragt werden, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) stellte aber bereits eine Verlängerung bis Mitte März in Aussicht. Künstlerinnen und Künstler warnten angesichts der zahlreichen Veranstaltungsabsagen bereits vor einem „harten Winter“.

Unabhängig von der Kulturbranche setzt die Regierung auch in Österreich große Hoffnungen auf Umschulungen als Arbeitsmarktinstrument, unter anderem im Rahmen einer „Corona-Arbeitsstiftung“. Vorgesehen ist unter anderem ein „Bildungsbonus“ für all jene, die während der Arbeitslosigkeit eine Aus- oder Weiterbildung absolvieren. Dieser soll 180 Euro betragen und zusätzlich zum Arbeitslosengeld ausgezahlt werden. Wie die britische Regierung hat man vor allem den Bereich IT sowie auch Pflege im Visier.