Menschen mit Nasen-Mund-Schutzmaske am Flughafen Düsseldorf
picturedesk.com/dpa/Roberto Pfeil
Merkel soll schlichten

Ärger über innerdeutsches Reisechaos

Deutschland ist im Kampf gegen die Pandemie vom Vorreiter zum Nachzügler geworden. In etlichen Landesteilen stiegen die Zahlen der Neuinfektionen auf das Niveau vom Frühjahr. Zudem sorgen Beherbergungsverbote für Deutsche aus Hotspot-Regionen für Streit. Der Ruf nach überschaubaren Regeln ist laut, die Umsetzung schwierig.

In Deutschland steigen die CoV-Zahlen momentan deutlich: Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Dienstag erneut mehr als 4.000 Neuinfektionen innerhalb eines Tages, bei einer Einwohnerzahl von knapp über 83 Millionen. In Deutschland blickt man auf die „Sieben-Tage-Inzidenz“: Diese Kennzahl soll das Infektionsgeschehen regional vergleichbar machen und sagt aus, wie viele Menschen in der untersuchten Region in sieben Tagen neu erkrankt sind, und zwar bezogen auf jeweils 100.000 Einwohner. Die Grenze, bei der strengere Maßnahmen greifen sollen, liegt bei 50.

Laut RKI liegen derzeit 30 Städte bzw. Landkreise über diesem wichtigen Wert. Und Bürgerinnen und Bürger aus Orten mit diesen hohen Infektionszahlen dürfen nun bei Reisen innerhalb Deutschlands nur noch dann beherbergt werden, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen CoV-Test vorlegen können. Dieses Beherbergungsverbot hatten vorige Woche die meisten der deutschen Bundesländer beschlossen.

Kopfschütteln bei Touristikern

Die Folge ist, dass – trotz einer für alle geltenden Richtlinie – für Dutzende Städte und Bezirke eigene Regeln gelten. Nicht nur die Opposition in Berlin übt scharfe Kritik am „Flickenteppich“, auch Hausärzte, die Tourismusbranche, Virologen und die Kassenärztliche Vereinigung stimmten mit ein. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, normalerweise strengeren Maßnahmen zugeneigt, lehnte die Regelung ebenfalls ab. Weil Reisen innerhalb Deutschlands kaum zu neuen Infektionsfällen beitrügen, wirke die Regelung wie eine „Gängelei“ und untergrabe die nötige Akzeptanz für Einschränkungen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der auch die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) anstrebt, wies darauf hin, dass nun ein Mainzer in Köln, aber kein Kölner ohne negatives Testergebnis in Mainz übernachten könne – obwohl beide Städte mittlerweile mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einem Sieben-Tages-Zeitraum ausweisen. Andere bemängelten, es gebe überhaupt keine Hinweise darauf, dass Hotels oder der Verkehr mit Bus und Bahn Hotspots für die Verbreitung des Virus seien.

Täglich würden Hundertschaften an Pendlerinnen und Pendlern Bundeslandgrenzen überschreiten, die nun ständig negative Tests vorweisen müssten. Zudem gebe es wiederum jeweils andere Regeln für private Übernachtungen oder Geschäftsreisende. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) prüft auch juristische Schritte gegen das Beherbergungsverbot.

Föderalismusproblem tritt zutage

In den Streit soll am Mittwoch die Kanzlerin eingreifen. Bei der Ministerpräsidentenkonferenz kommen Bund und Länder zusammen, erstmals seit Juni wieder im Kanzleramt in Berlin statt per Videokonferenz. Dabei soll eine einheitliche Linie herauskommen. Merkel ließ ausrichten, sie höre sich die Argumente aller Seiten gern an, es handle sich aber um Länderregelungen. Denn im deutschen Infektionsschutzgesetz ist geregelt, dass die „zuständigen Behörden“ über Einschränkungen etwa bei Kontakten, Veranstaltungen oder im Einzelhandel entscheiden – in der Regel die örtlichen Gesundheitsämter und die Bundesländer. Der Bund hat nicht allzu viele Kompetenzen in dieser Frage.

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpäsident Markus Söder
APA/AFP/Kay Nietfeld
Söder und Merkel: In Pandemiefragen im Einklang

Und zwischen den Ländern herrscht alles andere als Konsens: Anders als etwa das CDU-regierte Nordrhein-Westfalen wollen das rote Mecklenburg-Vorpommern und das grüne Baden-Württemberg an den Berherbergungsverboten festhalten. Eine gemeinsame Linie zu finden werde „eine schwierige Kiste“, so der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Söder will Maskenpflicht ausweiten

Ein gewichtiges Wort mitzureden hat auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in Bayern mit hohen CoV-Zahlen kämpft. „Wir müssen jetzt Corona ausbremsen, bevor wir eine echte Notbremsung machen müssen“, sagte Söder am Dienstag. Der überzeugte Föderalist betonte auch, Bund und Länder müssten nun einen gemeinsamen Regelungskanon beschließen. Einheitliche Maßnahmen würden nicht nur helfen, die Zahlen in den Hotspots zu senken, sondern auch dazu beitragen, dass die niedrigen Zahlen nicht steigen.

Dazu sprach sich Söder auch für eine erweiterte Maskenpflicht in ganz Deutschland, etwa auf öffentlichen Plätzen, aus. Er hoffte auf „den großen Wurf“ bei der Konferenz am Mittwoch. Die „Bild“-Zeitung zitierte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) mit den Worten, angesichts der dramatischen Infektionslage könne die Debatte eine „historische Dimension“ annehmen.