Menschen geben ihre Wahlkarten ab
AP/MediaPunch/mpi04
Briefwahl in USA

Von Frühwählern und späten Auszählungen

Zu den Eigenheiten von US-Präsidentschaftswahlen zählt zum einen, dass es seit nunmehr 175 Jahren einen landesweit einheitlichen Wahltermin an einem Dienstag im November, konkret am Dienstag nach dem ersten Montag dieses Monats gibt. Zum anderen unterscheiden sich die Regelungen zur Stimmabgabe von Bundesstaat zu Bundesstaat – und das betrifft nicht zuletzt die diesmal im Fokus stehende Briefwahl.

Deren Auftakt erfolgte mit dem Versenden der ersten Wahlunterlagen bereits am 4. September im US-Bundesstaat North Carolina, und bis Mitte Oktober haben laut einer Erhebung der Universität von Florida quer durch die USA rund 27,5 Millionen Wählerinnen und Wähler bereits ihre Stimme abgegeben. Mit geschätzten 80 Millionen Briefwahlstimmen könnten es laut „New York Times“ („NYT“) in Summe mehr als doppelt so viele werden wie bei der letzten Präsidentschaftswahl.

Grund ist die Coronavirus-Pandemie. Viele US-Bundesstaaten haben aus Sorge über eine mögliche Übertragung des Virus in den Wahllokalen die an sich überall mögliche, allerdings nicht überall in gleichem Maß zugängliche Briefwahl weiter forciert. Mehr Gewicht bekommt dadurch freilich die Frage, bis wann es ein Wahlergebnis gibt – denn auch in Sachen Briefwahlauszählung unterscheidet sich das Prozedere von Bundesstaat zu Bundesstaat und kann sich teils über Wochen ziehen.

Das verdeutlicht ein Blick auf die letzte Präsidentschaftswahl, bei der die Auszählung aller Stimmen über einen Monat dauerte. Dass die von den meisten Umfragen als Favoritin gehandelte Demokratin Hillary Clinton die Wahl gegen ihren republikanischen Herausforderer Donald Trump verloren hat, war 2016 allerdings schon in der Wahlnacht klar.

Fleckerlteppich mit Verzögerungsfaktoren

Auch im Vorfeld der anstehenden 59. US-Präsidentschaftswahl wird immer wieder die Möglichkeit eines etwaigen Auszählungskrimis in den Raum gestellt. Ob dem so ist, bleibt abzuwarten – außer Frage steht: Faktoren, die die Auszählung verzögern, gibt es im US-Briefwahlfleckerlteppich einige. Allein wegen der Unterschriftenüberprüfung dauert die Auswertung der Briefwahlstimmen generell etwas länger als jene der im Wahllokal abgegebenen Stimmen.

Mitarbeiter zählen Wahlkarten in Glen Burnie, Maryland
APA/AFP/Getty Images/Drew Angerer
Die Durchführung der Briefwahl unterscheidet sich in den USA von Bundesstaat zu Bundesstaat

Wenn es um eine mögliche Verzögerung beim Wahlergebnis geht, spielt schließlich die Frage, ab bzw. bis wann die Briefwahlstimmen bei den zuständigen Behörden sein müssen, eine zentrale Rolle. Denn während einige Bundesstaaten nur die bis zum offiziellen Wahlschluss am Wahltag eingetroffenen Briefwahlstimmen berücksichtigen, fließen in anderen Bundesstaaten auch Tage später eingehende Briefwahlstimmen noch ins Ergebnis ein.

Späte vs. frühe Vorverarbeitung

Vieles hängt schließlich an der Frage, ab wann die zuständigen Behörden mit der Auszählung bzw. den Auszählungsvorbereitungen wie dem Öffnen der Umschläge und der Überprüfung der Unterschriften beginnen dürfen. Aus dem Rahmen fallen hier etwa Wisconsin und Pennsylvania, wo selbst die Vorverarbeitung der Stimmzettel erst am Wahltag beginnt.

Deutlich früher dran sind etwa Arizona und Florida, wo die „NYT“ bereits in der Wahlnacht mit aussagekräftigen Briefwahlergebnissen rechnet. Dasselbe gilt auch für North Carolina. Die dort für die Wahl Verantwortliche Karen Brinson Bell sagte gegenüber NBC, der Staat könne vermutlich schon am Wahlabend rund 80 Prozent der Stimmen ausgezählt haben. Bei einem engen Rennen – Stichwort „too close to call“ – gilt es somit aber auch hier weiter abzuwarten.

In Wisconsin dürfen die Briefwahlkuverts indes erst nach 7.00 Uhr (Ortszeit) am Wahltag geöffnet werden – bereits zuvor können die zuständigen Sachbearbeiter die notwendigen Unterschriften, Zeugenunterschriften und Zeugenadressen kontrollieren und die Wähler kontaktieren, um diesen die Möglichkeit zu geben, etwaige Fehler zu beheben.

Verpackte Wahlkarten vor dem Versenden
Reuters/Mike Blake
Pandemiebedingt wählen diesmal so viele US-Wahlberechtigte per Brief wie nie zuvor

Beispiellose Anti-Briefwahl-Kampagne

In Michigan, wo die Vorverarbeitung erst zehn Stunden vor dem Öffnen der Wahllokale beginnen darf, geht man indes bereits von einer um einige Tage verzögerten Bekanntgabe der Ergebnisse aus. „Wir sollten darauf vorbereitet sein, dass es dieses Mal eher einer Wahlwoche als einem Wahltag ähneln wird“, sagte die für die Durchführung der Abstimmung verantwortliche Politikerin Jocelyn Benson gegenüber dem TV-Sender NBC.

Auch für Amtsinhaber Trump ist es „sehr unwahrscheinlich“, dass man bereits am Wahlabend einen Sieger sehen wird. Trump spielte damit auf Gerichtsentscheidungen an, wonach etwa in Michigan, Wisconsin und North Carolina auch nach dem Wahltag per Post eintreffende Stimmzettel gezählt werden müssen.

Es ist nur ein Detail von vielen, das Trump an der Briefwahl stört. Der amtierende US-Präsident führt in seinem Wahlkampf eine bisher wohl beispiellose Anti-Briefwahl-Kampagne. Er befürchtet Beobachtern zufolge offenbar, dass die Demokraten und damit sein Herausforderer Joe Biden von einer Zunahme der Briefwahlstimmen mehr profitieren könnte als er.

Etliche laufende Verfahren

Im Streit über die Stimmabgabe per Brief schüren Trump und seine Parteifreunde immer wieder Zweifel an deren Legitimität. In vielen Bundesstaaten sind etliche von den Republikanern eingebrachte Gerichtsverfahren über die Briefwahl anhängig.

Manche Verfahren haben bereits die Instanzen durchlaufen. Zuletzt beschäftigte sich das US-Höchstgericht mit einem Verfahren zur Briefwahl in Pennsylvania, auch hier dürfen nach dem Wahltag eingetroffene Briefwahlstimmen weiter ausgezählt werden.

Das Urteil war mit vier zu vier Stimmen denkbar knapp, wobei neben den drei liberalen Höchstrichtern auch der konservative Supreme-Court-Vorsitzende John Roberts für die verlängerte Auszählungsfrist stimmte. Wäre die von Trump als Nachfolgerin der im September verstorbenen Ruth Bader Ginsburg nominierte erzkonservative Richterin Amy Coney Barrett bereits im Amt, wäre das Urteil wohl anders ausgefallen, wie es dazu in US-Medien heißt.

Grafik zur Briefwahl in den USA
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: New York Times

Über 40 Millionen müssen Grund angeben

Wie es in weiteren im Zusammenhang mit der Briefwahl stehenden Verfahren weitergeht und welche Auswirkungen diese noch auf die Wahl haben könnten, wird sich weisen. Hinter den Verfahren stehen meist Klagen gegen Maßnahmen zur Förderung der Briefwahl – und davon gibt es diesmal viele.

So werden heuer in neun Bundesstaaten und Washington DC alle Wahlunterlagen automatisch per Post zugesandt. Vorreiter ist hier Oregon – in diesem Bundesstaat wurde schon bei der Präsidentschaftswahl 2004 ausschließlich per Brief gewählt. Erst im August beschloss – begleitet von republikanischen Klagsdrohungen und Klagen – der Bundesstaat Nevada, allen registrierten Wählern die Briefwahlunterlagen automatisch zuzuschicken.

In 34 Bundesstaaten ist diesmal eine Briefwahl ohne Angabe von Gründen möglich – entsprechende Unterlagen müssen aber eigens angefordert werden. In sieben Bundesstaaten benötigen geschätzte 46 Millionen registrierte Wahlberechtigte hingegen nach wie vor eine Art offizielle Entschuldigung, wobei die Angst vor einer CoV-Ansteckung nicht überall reicht. Dennoch wurde auch hier der Zugang zur Briefwahl vielfach gelockert.

Wahl in Pennsylvania 1864
US Library of Congress
US-Soldaten bei der Stimmabgabe für die Präsidentschaftswahl 1864 (Illustration von „Harper’s Weekly“)

Lange Tradition

Bereits lange Routine ist die Wahl abseits der Wahllokale indes bei US-Soldaten, und zwar seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg. So änderten viele Unionsstaaten, die bis dahin nur eine persönliche Stimmabgabe vorgesehen hatten, vor der im November 1864 anstehenden US-Präsidentschaftswahl ihre Wahlgesetze. Diese Vorgangsweise sorgte für heftige Debatten zwischen den beiden politischen Lagern, wobei die mit George McClellan antretenden Demokraten den Republikanern vorwarfen, die Wahl zugunsten von Amstinhaber und dem späteren Wahlsieger Abraham Lincoln zu manipulieren.

„Grundsätzlich übertrieben“

156 Jahre später wittert nun der Republikaner Trump den „größten Wahlbetrug in unserer Geschichte“. Neben Experten wollen aber selbst viele Republikaner Trumps Schwarzmalerei nicht teilen. Dass ein Amerikaner die Briefwahl manipuliere, sei weniger wahrscheinlich als vom Blitz getroffen zu werden, heißt es dazu vom überparteilichen Brennan Center for Justice.

Diesen Angaben zufolge waren bei untersuchten Abstimmungen lediglich 0,0025 Prozent der in Wahllokalen abgegebenen Stimmen von Betrug betroffen, bei Briefwahl noch weniger. Und geht es nach der Arizona State University, sei diese Gefahr auch diesmal verschwindend klein.

In einer Studie der Stanford-Universität kamen die Autoren zudem zu dem Schluss, „dass die Vorteile der Briefwahl für die eine Partei gegenüber der anderen grundsätzlich übertrieben erscheinen“. Schließlich sprachen sich in einer Umfrage des PEW Research Centers über 70 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Briefwahl jedem erlaubt werden soll, „wenn er das wünscht“.