Julia Garner in „The Assistant“
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„The Assistant“

Dunkler Thriller zum Weinstein-Skandal

Acht Monate nach seiner Verurteilung als Sexualstraftäter kommt der erste Spielfilm über den Filmproduzenten Harvey Weinstein in Österreich ins Kino – ohne Weinstein namentlich zu erwähnen. „Letztlich ist es in allen Branchen gleich“, sagt Regisseurin Kitty Green gegenüber ORF.at.

Sie putzt Flecken von der Besetzungscouch, räumt aus dem Mistkübel fragwürdige Medikamentenverpackungen und retourniert das verlorene Schmuckstück von vergangener Nacht an seine Besitzerin: Jane (gespielt von Julia Garner, Star der Serie „Ozark“), beliebig austauschbar, ist die Assistentin eines mächtigen Mannes. Dieser Mann ist im stillen Thriller „The Assistant“ Filmproduzent. Genausogut könnte er aber auch Werbechef, Bankmanager, Operndirektor oder Abteilungsleiter eines Technikkonzerns sein.

Zu Janes Job gehört es, die zornige Ehefrau anzulügen, Limousinen zu mieten, Termine zu koordinieren. Sie muss Schecks ausstellen, Locations organisieren, mit quengelnden Kindern fertig werden. Und sie wird zur Mitwisserin, als ihr mächtiger Chef eine sehr junge, sehr hoffnungsvolle Schauspielerin in ein Nobelhotel einlädt und mehrere Stunden mit ihr verschwindet. Ist das im gegenseitigen Einverständnis geschehen? Es wirkt nicht so. Doch was kann eine Assistentin wie Jane tun, wenn ihr der Verdacht kommt, dass Machtmissbrauch stattfindet?

Julia Garner in „The Assistant“
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Jane (Julia Garner) ist Mädchen für alles im Büro eines mächtigen Filmproduzenten

Die unsichtbare Frau im Fokus

„The Assistant“ ist der erste Spielfilm, der den Weinstein-Skandal zum Anlass nimmt, ohne jedoch dessen Namen zu nennen. Der Film verzichtet dabei auf jede Sensationslust: Nicht um Täter oder Opfer geht es Regisseurin Green, sondern den Horror eines Umfeldes, das das Verhalten mächtiger Personen vielleicht nicht gutheißt, aber jeden Widerspruch erstickt und so Übergriffe erst ermöglicht. Warum hat niemand Weinstein an seinem Tun gehindert?

Der Film erkundet, welche Mechanismen hier greifen, und holt die Person ins Zentrum, die die wenigste Macht hat: „Wenn wir Berichte über jene Leute lesen, die für solche Täter arbeiten, heißt es oft, sie seien Ermöglicherinnen“, so Green. „Aber es ist komplizierter als das. Wenn man eine junge Frau in einer solchen Umgebung ist – wo gibt es die Möglichkeit einzugreifen, wenn man Zeugin von Fehlverhalten wird?“

Die Handlung bleibt in „The Assistant“ fast immer innerhalb des tristen Büros, in dem Jane und ihre männlichen Kollegen die Anweisungen des Chefs befolgen. Das trägt zum Eindruck der Unausweichlichkeit bei: Tageslicht gibt es keines für Jane, Pausen nur am Schreibtisch. In jeder Szene steht sie im Fokus, die Frau, die normalerweise unsichtbar ist. Der Chef hingegen kommt höchstens am Bildrand vor, oder als zornige, undeutliche Telefonstimme.

Kitty Green

Die australische Regisseurin Kitty Green setzt sich in ihren Filmen immer wieder mit sexueller Diskriminierung auseinander. Ihr Dokumentarfilm „Die Ukraine ist kein Bordell“ (2013) etwa befasste sich kritisch mit der ukrainischen feministischen Widerstandsgruppe Femen. „The Assistant“ ist ihr Spielfilmdebüt.

Bedrohlich wie der Weiße Hai

„Ich wollte keinen Film über den bösen Mann machen. Ich finde, wir haben schon genug Filme über böse Männer. Wie können wir Frauen ins Zentrum dieser Erzählung rücken? Das war das erklärte Ziel“, so Green. „Ich wusste, dass wir die allumfassende Macht dieses Mannes in seinem Arbeitsumfeld greifbar machen müssen – letztlich so wie den Hai in ‚Der weiße Hai‘: Wir spüren die Bedrohung durch die Reaktion der Menschen auf ihn, aber wir sehen ihn fast nie.“

Auch wenn seit der Verurteilung Weinsteins im Februar gefühlt Jahre vergangen sind: Das Anliegen von „#MeToo“, aufzuräumen mit einem Verhalten, das verletzliche Personen einschüchtert und Karrieren nur um den Preis sexueller Erniedrigung erlaubt, ist nicht weniger dringlich geworden. Weinstein ist nur der Anlass, sagt Green: „In Wahrheit ist es in keiner Branche anders. Es wird nur umfassend über Hollywood berichtet, weil uns ständig jemand ein Mikrofon ins Gesicht hält.“

Julia Garner in „The Assistant“
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Überlebenstipp der lieben Kollegen: Wenn Jane ihren Job behalten will, muss sie sich dem Chef unterwerfen

Green war im Herbst 2017 mitten bei der Recherche für ein Filmprojekt über sexuelle Übergriffe an Colleges, als der Weinstein-Skandal losbrach. „Ein paar meiner Freundinnen haben bei der Weinstein Company gearbeitet. Ich habe sie also kontaktiert und über ihre Arbeitsbedingungen ausgefragt.“ Wie ist es, für einen so einflussreichen Mann zu arbeiten, über den immer wieder üble Gerüchte laut werden?

Regisseurin Kitty Green
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Regisseurin Kitty Green

Kadavergehorsam im Großraumbüro

Green weitete ihre Recherche aus: „Ich habe dann über die Filmindustrie hinaus Frauen interviewt, die für sehr mächtige Männer arbeiten, in Finanzunternehmen ebenso wie in Technologieunternehmen, in Los Angeles, Melbourne, New York, London. Ich habe immer wieder dieselben Geschichten gehört.“ „The Assistant“ beruht auf den Erfahrungen dieser Frauen, die Green zu einem Arbeitstag im öden Leben einer gestressten 23-jährigen Assistentin zusammenfügt.

Was an diesem Tag geschieht, ist vordergründig banal – und doch entwickelt sich gerade daraus zwingend das Grauen: von den Spuren der letzten Nacht im Chefbüro über die sexistischen Sticheleien der Kollegen, den möglicherweise geschehenen Missbrauch, einen besorgten Besuch Janes beim Personalchef, eingeforderte Unterwerfung. So entsteht Kadavergehorsam.

Sexismus im Arbeitsalltag

Wie nebenbei protokolliert Green noch ein zweites Unrecht, das stillschweigend geduldet wird: „Auch wenn sie auf dem Papier dieselbe Position haben wie ihre männlichen Kollegen, wird von Assistentinnen erwartet, dass sie Kaffee kochen, Kinder betreuen und mit der Familie kommunizieren – und damit waren sie aus Zeitgründen wiederum von wichtigen Meetings ausgeschlossen, die für einen Karrierefortschritt notwendig wären“, so Green.

Durch diese präzis inszenierte Arbeitssituation weist „The Assistant“ über den Anlassfall Weinstein hinaus auf eine systematische Geringschätzung weiblicher Arbeit. Green gelingt es, trotz des schmalen Handlungsspielraums enorme Spannung zu entwickeln: Nichts, was hier passiert, ist offensichtlich. Das Grauen findet im Unausgesprochenen statt.